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Im Libanon gibt es immer mehr Drag Queens wie Anissa Krana (im Bild).

© Getty Images/The Washington Post

Situation queerer Menschen im Libanon: „Die korrupten Politiker benutzen uns als Sündenbock“

Nach dem Angriff auf eine queere Bar in Beirut stehen viele Menschen unter Schock. Drag Queen Narcissa sieht dahinter eine langjährige politische Entwicklung.

Sie werfen die Haare nach hinten, setzen ihre funkelnden Outfits in Szene und lassen sich vom Publikum für politische Statements feiern. Die Drag Queens von Beirut sind leidenschaftlich, kreativ und mutig. Denn in einem Land, wo Homosexualität kriminalisiert wird, bergen solche Momente ein Risiko.

Diese Woche war das Risiko zu hoch: Eine Drag Show im beliebten Viertel Mar Mikhael musste aus Sicherheitsgründen abgesagt werden. Nach dem Angriff auf eine queere Bar in Beirut am vergangenen Mittwoch stehen viele Menschen ist die Angst zu groß, dass es erneut zu einer Attacke kommt.

„Ich habe in diesem Moment ganz unterschiedliche Dinge gefühlt“, sagt Ahmed, der an dem Abend dabei war. „Ich war wütend, panisch, angeekelt und schockiert. Ich wollte die jüngeren Leute schützen, die dabei waren. Und ich habe damit gerechnet, in wenigen Minuten tot zu sein.“

Politiker haben sich wiederholt queerfeindlich geäußert

Anhänger der ultrachristlichen Gruppe „Jnoud al-Rab“, auf Deutsch so viel wie „Soldaten Gottes“, attackierten die Om Bar im Viertel Mar Mikhael, wo an diesem Abend eine Drag Show stattfand. Sie beleidigten Gäste und blockierten die Türen. „Es war eine Mischung aus Terror, Angst und Unsicherheit, dass wir es lebend hinausschaffen“, sagt Ahmed.

„Wir haben uns im Hinterzimmer an die Wand gedrängt und mussten dabei zusehen, wie unsere Freunde verprügelt wurden. Es hat sich angefühlt wie eine Ewigkeit, in der wir darauf warteten, dass sich die Situation beruhigte und wir einer nach dem anderen fliehen konnten.“

Im Libanon wird Homosexualität kriminalisiert. Laut Artikel 534 des libanesischen Strafgesetzbuches, der noch aus der französischen Kolonialzeit stammt, kann rechtlich verfolgt und mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft werden, was „den Gesetzen der Natur widerspricht“. Libanesische LGBTIQ*-Organisationen wie Helem machen sich seit Jahren für die Abschaffung des Paragrafen stark.

Wir müssen an der Hoffnung festhalten, dass bessere Zeiten kommen.

Drag Queen Narcissa

Als die Polizei vergangenen Mittwoch zum Tatort kam, habe sie „schnell angefangen, uns Fragen zu stellen“, berichtet Ahmed. „Sie stellten unser Recht infrage, so eine Show zu veranstalten. Und sie sagten, dass die Show den religiösen Glauben der Angreifer verletzten könnte. Als wollten sie deren Verhalten rechtfertigen.“

In diesem Moment habe er sich alles andere als sicher gefühlt. „Ich habe einem Polizisten gesagt, dass es sein Job ist, uns zu beschützen, diese Monster wegzuschicken und uns sicher nach Hause zu bringen. Aber das hat er ignoriert.“

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Queere Menschen in Beirut verlassen sich nicht auf Polizei und Sicherheitskräfte. Auch Politiker haben sich in den vergangenen Monaten wiederholt queerfeindlich geäußert, darunter der ehemalige Außenminister Gebran Bassil (Aoun-Partei) und der Parlamentsabgeordnete Kabalan Kabalan (Amal-Bewegung). Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah rief sogar zur Gewalt gegen queere Menschen auf.

Und es mangelt an Solidarität und Unterstützung von nicht-queeren Personen. „Durch das Schweigen der sogenannten Allies in der Stunde der Not fragen wir uns, wer wirklich auf unserer Seite steht“, sagt Ahmed.

Die Drag Queen Narcissa glaubt, der Angriff ist Resultat einer jahrelangen Entwicklung: „Spätestens seit dem Zusammenbruch des Landes im Jahr 2019 und den eskalierenden Angriffen auf die Community war so etwas zu befürchten.“

Schwere Explosion im August 2020

Der Libanon litt besonders unter der Corona-Pandemie. Im August 2020 ereignete sich außerdem die schwerste nicht-nukleare Explosion im Hafen Beiruts, bei der mehrere hundert Menschen ums Leben kamen und Tausende ihr Zuhause verloren.

Der Hafen von Beirut nach der schweren Explosion im August 2020.

© imago/Xinhua/IMAGO/Bilal Jawich

Bis heute hat die Regierung es versäumt, den Vorfall umfassend aufzuklären und Betroffene zu entschädigen. Besonders schwer getroffen wurde ein Viertel nahe dem Hafen, in dem viele queere Menschen lebten.

„Die korrupten Politiker benutzen unsere Community als Sündenbock“, sagt Ahmed. „Sie versuchen, die öffentliche Aufmerksamkeit wegzulenken von ihrem eigenen Versagen und hin zu einem gemeinsamen Feind: uns.“ Die Anhänger der Regierungsparteien hätten nicht gezögert, ihren Hass zu verbreiten.

Auch Drag Queen Narcissa spricht von der „höchsten Alarmstufe“ und einer „Welle des Hasses“. In den letzten Monaten war es zu einer Vielzahl kleinerer Vorfälle gekommen. Sie sieht dahinter vor allem radikal-religiöse, extremistische Kräfte. „Sicherheit für queere Menschen gibt es nicht mehr. Ich weiß nicht, was man tun kann. Wir müssen an der Hoffnung festhalten, dass bessere Zeiten kommen.“

Narcissa sollte eigentlich Host der Drag Show sein, die diese Woche abgesagt wurde. Wann die nächste Show stattfinden kann, ist bislang unklar.

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