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Shukrallah und Malonda kritisieren, dass der Berliner CSD ein "durchkommerzialisiertes Event" sei.

© Imago/ Fotostand

Alternative Pride im September: „Wir müssen Kapitalismus als das Problem benennen”

Achan Malonda und Tarek Shukrallah fordern, die Pride intersektional zu denken. Ein Gespräch über regenbogenfarbene Autos, Nazi-Tattoos und die Wohnungsfrage.

Achan Malonda ist Sängerin, Songwriterin und war im vergangenen Jahr Teammitglied des CSD Berlin Pride.

Tarek Shukrallah ist Politik- und Sozialwissenschaftler*in und aktiv in migrantisch-antirassistischen sowie queeren Bewegungen.

Achan Malonda und Tarek Shukrallah, gemeinsam mit dem QTI*BIPoC UNITED Collective, einem Kollektiv queerer BIPoCs, fordern Sie die Pride intersektional zu denken. Was bedeutet das?
Shukrallah: Die historischen Erfahrungen vieler Aktivist*innen in Deutschland und andernorts zeigen, dass immer wieder versucht wurde, an der Idee einer gemeinsamen queeren Bewegung zu arbeiten, aber das immer wieder gescheitert ist. Schwarze Menschen und People of Color werden auf der kommerziellen Pride entweder zu Tokens gemacht oder an den Rand gedrängt.

Themen dieser Gruppen bleiben randständig, dienen dem diversen Look der Pride, aber an den Strukturen ändert sich nichts. Davon wollen wir uns abgrenzen, um Raum für unsere politische Meinungsäußerung und für das Setzen von Themen zu schaffen.

Wir wollen, dass unsere Stimmen gehört und nicht nur unsere Körper gesehen werden. Wir wollen uns artikulieren und Raum nehmen, ohne Konsumzwang und Ausgrenzung in der Pride Season.

Wir denken intersektional - ausgehend von unseren eigenen Erfahrungen als Schwarze Menschen und als People of Color, die unterschiedliche Formen von Diskriminierung und Ausbeutung gleichzeitig erfahren. Wir organisieren uns in dem Wissen, dass wir ganz unterschiedlich sind, aber Erfahrungen von Ausbeutung und Ausgrenzung teilen.

Malonda: Es ist tatsächlich so, dass wir in dieser Unterschiedlichkeit trotzdem ähnliche strukturelle Erfahrung machen. Rassismus ist für BIPoCs in queeren Bewegungen ein sehr zentrales Thema. Insofern ist das, was vor dem CSD passiert ist, sehr emblematisch für die historischen Geschichten von BIPoc Queers, die sich seit Jahre weißen Prides häufig nicht anschließen.

Was ist vor dem CSD passiert?
Malonda: In diesem Jahr sollte uns als Kollektiv rückwirkend für 2021 vom Berliner CSD der sogenannte Soul of Stonewall Award verliehen werden. Aber weniger als 24 Stunden vor dem Event wurde die Übergabe abgesagt, weil das Bühnenprogramm voll sei. Das ist nur ein Beispiel von vielen dafür, dass für den CSD e.V. Bemühung um Diversität zu bedeuten scheint, Aktivist*innen wie uns vor allem dekorativ einzubinden und noch nicht einmal das richtig hinzubekommen.

Und da geht es noch nicht einmal darum, dass unseren Forderungen zugehört wird. Auch die Pride-Bewegung in Deutschland ist von Stonewall inspiriert, trotzdem ist sie ein weißer Space. Das hat natürlich mit den Themen Weiß-Sein und Rassifizierung in Deutschland allgemein zu tun.

In Berlin wurden in diesem Jahr etliche Prides angemeldet. Ist das ein Zeichen für das Phänomen, das Sie beschreiben, nämlich, dass beim CSD viele Perspektiven keine Plattform haben?
Shukrallah: Es gibt in den USA Bewegungen, die ähnlich wie wir mit dem Begriff Reclaiming Pride arbeiten und versuchen, die Pride zurückzuerobern. Es ist eine Geschichte von Aufruhr, von Widerstand und in erster Linie von Schwarzen Menschen, People of Color, migrantisierten Menschen, Sexarbeiter*innen und trans Personen, die im Laufe der Zeit aus Pride Kontexten verdrängt wurden.

In Deutschland ist das anders. Hier gibt es keine Geschichte von Verdrängung, es waren weiße Bewegungen. Das, was in den 70er Jahren an feministischen und schwulen Bewegungen passiert ist, war vor allem weiß.

Gegenbewegung zur kommerziellen Pride haben dazu geführt, dass es inzwischen acht Prides gibt, von denen viele sagen: Wir müssen erst über Politik reden, über soziale Gleichheit und Intersektionalität, bevor wir regenbogenfarbene Teslas fahren können.

Achan Malonda ist Sängerin, Songwriterin und war im vergangenen Jahr Teammitglied des CSD Berlin Pride.

© Ben Jenak

Malonda: Die intersektionale Erfahrung ist in Deutschland nicht der historische Ausgangspunkt von Pride. In der deutschen Geschichte wurden Schwarze Personen und People of Color in der Bewegung immer wieder zu Fremden gemacht. Deswegen bringt es nichts, wenn der CSD e.V. einfach eine Schwarze Person oder eine Person of Colour in den Vorstand hievt. Das Problem ist strukturell und bereits in die Vereine eingeschrieben. Uns wird oft vorgeworfen, dass wir nicht mitmachen wollen. Dabei sind die Räume so konstruiert, dass wir gar nicht mitmachen können.

Wenn immer mehr Prides angemeldet werden, droht dann aber nicht auch die Gefahr einer Zersplitterung?
Shukrallah: Die Prides sind der Versuch, Stimmen einzubringen, die sonst nicht dabei wären. Der kommerzielle CSD ist ja sozusagen nicht allgemein oder universell, sondern eben ein kommerzielles Mainstream-Event. Wenn Menschen ausgebeutet und ausgegrenzt werden, dann ist das Spaltung. Das aber zu benennen ist eine Intervention dagegen.

Malonda: Bei mittlerweile sieben alternativen Prides ist die politische Aussagekraft des kommerziellen CSDs offensichtlich nicht ausreichend. In diesem Zusammenhang dann von Spaltung zu sprechen, halte ich für unsinnig. Das ist lediglich ein Strohmann, der der Aufrechterhaltung von Dominanzstrukturen dient.

Beim CSD sind in diesem Jahr 350.000 Menschen mitgelaufen. Ist das in Sachen Sichtbarkeit nicht auch ein Erfolg?
Malonda: Sichtbarkeit für wen? Wenn Unternehmen ihren Regenbogenkapitalismus zur Schau stellen und weiße schwule cis Männer die eigene Befreiung feiern, inwiefern sind unsere Anliegen als Schwarze Queers und Queers of Color dann abgebildet? Das ist überspitzt, denn natürlich wurde „Diversität“ in diesem Jahr großgeschrieben.

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Aber Sichtbarkeit ohne echte Teilhabe ist letztlich nur Tokenism, die Kommodifizierung unserer Körper. Das ist in weißen Strukturen Teil des Unterdrückungsmechanismus. Wenn wir uns gut benehmen, dürfen wir mittanzen - sind wir zu kritisch, werden wir ausgeladen.

Shukrallah: Sicher kann das individuell Menschen etwas bringen, als queere Personen unter vielen im öffentlichen Raum sichtbar zu sein. Aber mit einer Demonstration hat das deshalb noch nichts zu tun, und macht auch nicht die vorhandenen Gewaltverhältnisse ungeschehen.

Dem Berliner CSD wollen sie mit der Pride am 10. September etwas entgegensetzen. Was ist geplant?
Malonda: Wir haben in die Communities hinein kommuniziert und gefragt, wer mitmachen will. Dabei haben wir erneut festgestellt, dass das Problem strukturell ist und einen Großteil der Pride-Veranstaltungen mit ihrem Pinkwashing und der fadenscheinigen Diversity betrifft.

Deshalb verwerfen wir nicht nur den CSD Berlin, sondern die weiße Pride Season als solche. Am 10. September wollen wir demonstrieren und feiern für Emanzipation. Wir wollen eine Pride, in der Menschen Platz haben, die sonst keine Repräsentation finden.

Shukrallah: Wir müssen die Unterdrückung aufgrund von Klasse, „Rasse“, Geschlecht, Sexualität und Körper zusammendenken. Und wir müssen Kapitalismus als das Problem benennen. Wenn wir das nicht tun, dann kämpfen wir keine Kämpfe, sondern feiern nur ein Fest.

Zu Ihren Forderungen zählt auch Abolitionismus, also die Abschaffung der Polizei. Warum?
Malonda: Um aggressiven Rassismus zu erfahren, reicht eine Begegnung mit der Berliner Polizei. Da kann es passieren, dass man als Schwarze Person in der Stadtmitte mit dem Gesicht auf dem Boden und Handschellen auf dem Rücken landet. Formen von institutionellem Rassismus und Racial Profiling erleben wir auf dem Weg zum CSD, währenddessen und im Anschluss daran.

Im Forderungskatalog, den der CSD Berlin e.V. 2022 an die Berliner Polizei übergeben hat, stand nicht eine Zeile zu Racial Profiling oder dem Schutz von trans* und queeren Sexarbeiter*innen. Bei Stonewall ging es aber vor allem darum, dass sich mehrfach Marginalisierte gegen Polizeigewalt gewehrt haben.

Tarek Shukrallah ist Politik- und Sozialwissenschaftler*in und aktiv in migrantisch-antirassistischen sowie queeren Bewegungen.

© Martin Müllner / 1EyeOpen

Da der Verein dieses Thema nicht eindeutig adressiert, ist es wirklich ein Hohn, den Soul of Stonewall Award zu verleihen - als weiße Institution erst recht. Wenn sich die Seele von Stonewall irgendwo finden lässt, dann in abolitionistischen Bewegungen, die sich gegen Polizeistrukturen und für neue Formen der Gerechtigkeitsfindung einsetzen.

Shukrallah: Wir wollen die Verhältnisse in Frage stellen, die Polizei muss sie mit Gewalt verteidigen. Dieser Widerspruch ist nicht auflösbar. Es deutet viel darauf hin, dass die Berliner Polizei eine problematische Rolle beim Neukölln Komplex, Angriffen auf migrantische Gewerbe und dem sogenannten NSU 2.0 eingenommen hat.

Dass diese Polizei dann beim CSD mitläuft, ist einfach absurd. Es ist gewaltverharmlosend, rassistisch und queerfeindlich. Polizeistrukturen sind auf Autoritarismus, Korpsgeist und Gruppendiziplin ausgelegt. Mit solchen Strukturen kann man keinen Wandel erzeugen.

In diesem Jahr waren Ordner mit rechtsextremen Tattoos unterwegs beim CSD…
Malonda: Wir wissen doch alle, dass Menschen mit Nazi-Tattoos im Sicherheitssektor arbeiten. Es ist sehr seltsam, dass der CSD sich aus der Verantwortung für die personelle Besetzung gezogen hat. Sie müssen vorher überprüfen, wer für den Event eingesetzt wird.

Sie fordern auch den Volksentscheid umzusetzen und Deutsche Wohnen zu enteignen. Welche Bedeutung hat diese Forderung aus queerpolitischer Perspektive?
Shukrallah: Wir kommen um die Klassenfrage nicht herum, wenn wir über race und Queerness sprechen. Die Mieten schießen exponentiell in die Höhe, aber die Rot-Rot-Grüne Landesregierung findet keine Mehrheit, um Menschen, denen diese Stadt gehört, zu versichern, dass sie hier überleben können.

Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass die Stadt freigemacht werden soll von Schwarzen Menschen, People of Color und von sichtbarer Armut. Verdrängung ist Klassenkampf von oben.

Gerade in Zeiten der Inflation wird die Frage der Wohnräume deshalb umso wichtiger. Verdrängung trifft arme Queers, Schwarze Menschen und People of Color als allererstes, weil Armut uns in besonderer Weise betrifft und weil unsere Kämpfe verknüpft sind mit breiteren Kämpfen.

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