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Dr. Magnus Heier

© Stefan Braun

Im weißen Kittel: 10.000 Schritte? Die magische Zahl ist uralt – und der menschliche Körper komplizierter

10.000 Schritte pro Tag sollen gesund sein und fit halten. Doch hinter der Empfehlung steht keine wissenschaftliche Erkenntnis, sondern ein Marketinggag aus Japan.

Eine Kolumne von Dr. Magnus Heier

Ungefähr jeden zweiten Tag werde ich gelobt: „Glückwunsch“, sagt meine Uhr, sobald ich 10.000 Schritte gegangen bin (Radfahren zählt sie leider nicht mit). Aber ist diese Schrittzahl wirklich die entscheidende Schallmauer für die Gesundheit? Reichen nicht auch die Hälfte oder zwei Drittel? Oder gilt, umgekehrt, die alte medizinische Regel: „Viel hilft viel“? Sind damit 12- oder 15.000 Schritte noch gesünder als die magischen 10.000?

Auf der Suche nach dem Ursprung dieser Zahl findet man Verblüffendes: Sie ist ein Marketinggag aus dem Jahr 1964! Bei den Olympischen Spielen in Tokio hat eine japanische Firma ein Gerät verkauft, das Schritte zählt. Der Name des „Zehntausend-Schritt-Meters“ war eine Marketingentscheidung, keine medizinische Erkenntnis. Trotzdem hat die magische Zahl überlebt, bis heute, 59 Jahre später.

Das ist erstaunlich, denn eine medizinische Grundlage hatte sie nie. Klar scheint nur zu sein: Weniger als ungefähr 5000 tägliche Schritte sind für einen gesunden Menschen zu wenig. Aber es gibt noch ganz andere Fragen: Wie entscheidend ist etwa das Tempo? Ist es wichtig, kurze Strecken in großer Geschwindigkeit zurückzulegen, um Herz und Kreislauf hochzutreiben (immerhin wird beim Joggen ein Intervalltraining empfohlen: mit schnellen und langsamen Phasen statt gleichmäßigem Laufschritt)?

Und gelten die 10.000 Schritte für jedes Alter gleichermaßen? Oder bekommen Ältere eine Art „Seniorenrabatt“ – einfach, weil der ältere Körper weniger belastbar ist? Und sollte man die Schritte am Stück gehen – oder besser auf den ganzen Tag verteilen? Sollte man sich den Amisch-People in den USA anschließen, einer religiösen Gemeinschaft, die täglich im Schnitt zwischen 14- und 18.000 Schritte zurücklegen soll?

Es gibt auf diese Fragen nur eine Antwort: Wir wissen es einfach nicht! Die 10.000er-Regel ist richtig und falsch gleichermaßen. Richtig, weil sie über die Fitnessuhren ihre Träger zu mehr Bewegung motiviert. Falsch, weil die Zahl 10.000 keine Schallmauer ist, ab der alles plötzlich gut ist. Sie ist willkürlich. Und trotzdem gut: Denn Bewegung ist gesund, hilft beim Abnehmen, hebt die Stimmung – und vieles mehr. Das Lob meiner Uhr motiviert!

Alle bisher erschienenen Folgen der Kolumne „Im weißen Kittel“ finden Sie online auf der Kolumnenseite des Tagesspiegels

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