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Das atombetriebene U-Boot der US-Marine wird im südkoreanischen Hafen begrüßt.

© REUTERS/THE DEFENSE MINISTRY

70 Jahre nach Ende des Koreakriegs: Die deutsche Wiedervereinigung ist kein Vorbild mehr

Militärisch so angespannt war die Lage zwischen Süd- und Nordkorea lange nicht mehr. Jungen Südkoreanern wäre eine Vereinigung auch zu teuer – das deutsche Beispiel schreckt eher ab.

Am Mittwoch vergangener Woche stand Yoon Suk-yeol, Südkoreas Präsident, am Deck eines US-amerikanischen U-Boots in der Hafenstadt Busan. Mit ernster Miene sagte der rechtskonservative Yoon in die Kameras: „Hierdurch stellen wir sicher, dass Nordkorea gar nicht erst an Provokationen in Form von Atombomben denkt. Wir warnen: Falls es dies doch tut, wird es das Ende des Regimes bedeuten.“

Zum ersten Mal seit mehr als 40 Jahren befindet sich ein mit ballistischen Raketen ausgestattetes U-Boot in einem südkoreanischen Hafen.

Dass Südkoreas Sicherheitspartner USA diese Unterstützung für notwendig hält, spricht Bände über die Anspannung, die auf der koreanischen Halbinsel herrscht. Nordkorea reagierte flugs mit neuerlichen Raketentests und ließ außerdem wissen, dass man jeden Grund hätte, auch mit Atomwaffen zu reagieren. Das Risiko eines bewaffneten Konflikts schien lange nicht so hoch wie jetzt.

Der Verzweiflung nahe

Dabei ist man den Zustand zumindest auf formaler Ebene gewöhnt. Seit dem Koreakrieg von 1950 bis 1953 – der rund fünf Millionen Todesopfer forderte und zehn Millionen Menschen von ihren Familien trennte – befinden sich Nord- und Südkorea miteinander im Kriegszustand.

46
Prozent der Menschen in Südkorea wollten im vergangenen Jahr die Wiedervereinigung.

Als die Parteien am 27. Juli 1953 – vor genau 70 Jahren – ein Ende der Kampfhandlungen beschlossen, wurde nur ein Waffenstillstand erreicht. Offiziell wollen das totalitäre Nordkorea und das liberale Südkorea die Wiedervereinigung. Aber wie genau das gehen soll, weiß niemand.

Yoon Mee-hyang bringt das beinahe zur Verzweiflung. In ihrem Abgeordnetenbüro zitiert die liberale Oppositionspolitikerin aus Umfragen, deren Ergebnisse ihr nicht gefallen. „Im Jahr 2007, als die Regierungen von Nord und Süd noch miteinander redeten, wollten 63,8 Prozent der Menschen in Südkorea die Wiedervereinigung. Aber im vergangenen Jahr war dieser Anteil auf 46 Prozent gesunken.“

Besonders deutlich sei dies unter jungen Menschen: Eine andere Umfrage der Seoul National University zeigte nämlich, dass im Jahr 2018, als die Beziehungen zwischen Nord und Süd vergleichsweise positiv waren, noch 54 Prozent der Menschen im Alter von 19 bis 29 Jahren die Wiedervereinigung für notwendig hielten.

„Heute liegt dieser Anteil nur bei 27 Prozent“, fügt Yoon Mee-hyang hinzu. „Aber die Maßnahmen der Politik spielen für das Stimmungsbild eine wichtige Rolle.“ Nur seien die Maßnahmen der letzten Zeit nicht gerade förderlich gewesen.

Seit 2022 weht ein rauer Wind

Seit Anfang 2022 Yoon Suk-yeol knapp ins südkoreanische Präsidentenamt gewählt wurde, weht ein rauerer Wind. Der mittlerweile 62-jährige Yoon erklärte, er werde dem gut 20 Jahre jüngeren Kim Jong-un, Nordkoreas Regierungschef, „Manieren beibringen.“

Der südkorenaische Präsident Yoon Suk Yeol.

© AFP/WOJTEK RADWANSKI

Zuletzt hat nicht nur Nordkorea die Frequenz von Raketentests erhöht, sondern auch Südkorea die von Militärmanövern mit den USA und Japan. Im Juni wurde bekannt, dass Südkoreas neuer Minister für Wiedervereinigung ein Mann wird, der an anderer Stelle zum Sturz des nordkoreanischen Regimes aufgerufen hat.

„Aber gerade jetzt“, sagt die Oppositionspolitikerin Yoon Mee-hyang, „sollten Bereiche unterstützt werden, wo Austausch noch möglich ist. Zum Beispiel Maßnahmen gegen die Klimakrise oder im Gesundheitswesen.“ Vielleicht nicht sofort auf Regierungsebene, gesteht die 58-Jährige. „Aber auf zivilgesellschaftlichem Niveau sollte das möglich sein.“

Yoon Mee-hyang, Oppositionspolitikerin

© Felix Lill

„Die Regierung unterbindet jetzt aber auch das.“ Yoon Mee-hyang habe in ihrem Leben achtmal die Gelegenheit gehabt, Pjöngjang zu besuchen. „Mein Eindruck war immer, dass persönlicher Dialog dazu beiträgt, dass Animositäten abnehmen.“

Die junge Generation hat eigene Probleme

Vor einem halben Jahrzehnt – um die Olympischen Winterspiele 2018 im südkoreanischen Pyeongchang, als Nord und Süd sogar gemeinsam auftraten – war Austausch noch en vogue. Der liberale Präsident Moon Jae-in bemühte sich, mit Blick auf die deutsche Wiedervereinigung, um Annäherung.

„Es war eine Art koreanische Ostpolitik“, sagt Kim Nury, Professor für Deutsche Literatur an der Chungang Universität in Seoul. „Aber aus der damals positiven Stimmung wurde fast nichts gemacht. Das hat auch Kim Jong-un enttäuscht. Er wollte dann mit Moon nicht mehr sprechen.“

Kim Nury, Professor an der Chungang Universität

© Felix Lill

Seither besteht Ernüchterung. Und je länger die Teilung andauert, desto weniger können gerade jüngere Menschen mit dem Gedanken einer Wiedervereinigung anfangen. „Die älteren Menschen kommen zum großen Teil aus Familien, die durch den Krieg zerrissen wurden“, sagt Cho Il-joon, ein Journalist der Zeitung Hankyoreh. „Aber für die Jüngeren ist die koreanische Einheit ein abstraktes Konzept. Sie haben auch ihre eigenen Probleme.“

Cho Il-joon, Journalist bei Hankyoreh

© Felix Lill

Südkorea ist eine leistungsorientierte Gesellschaft, in Seoul ist das Leben teuer.“ Wer solle da an Träume denken?

Wiedervereinigung ist vielen zu teuer

Zumal sie mit zunehmender Zeit auch immer teurer wären. Und insofern ist Deutschland wiederum weniger das schillernde Beispiel einer friedlichen Einigung. Kim Nury lächelt bitter, wenn er auf die Finanzfrage angesprochen wird: „Viele sagen: Die deutsche Wiedervereinigung war zu teuer. Solche Behauptungen haben viele Koreaner beeinflusst, besonders jüngere Generationen.“

Gerade jetzt sollten Bereiche unterstützt werden, wo Austausch noch möglich ist. Zum Beispiel Maßnahmen gegen die Klimakrise oder im Gesundheitswesen.

Yoon Mee-hyang, Oppositionspolitikerin.

Im Jahr 1989, als die Berliner Mauer fiel, war das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bundesrepublik Deutschland knapp dreimal so hoch wie das der DDR.

Jenes von Südkorea aber ist heute laut UN-Statistiken etwa 50 mal so hoch wie das von Nordkorea. Die Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Soforthilfen, die für eine Angleichung der Lebensstandards in Nord und Süd nötig wären, könnte Südkorea trotz seines Wohlstands kaum alleine tragen, hat etwa der Ökonomieprofessor Park Sangin von der Seoul National University vorgerechnet.

Von einer Vereinigung nach deutschem Modell rät er daher ab. Wobei auch die Regierung Nordkoreas wenig Interesse hätte, vom Süden geschluckt zu werden, wie es einst mit der DDR geschah.

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