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Zeugin des Konflikts: Mauer in der geteilten kosovarischen Stadt Mitrovica

© Reuters/ Florion Goga

EU-Visafreiheit für Kosovo: In Pristina herrscht Erleichterung - doch Jubelstürme bleiben aus

Gestern stimmte das EU-Parlament für die visafreie Einreise kosovarischer Bürger in den Schengenraum. Die Entscheidung fällt in eine Zeit der steigenden Spannungen mit dem Nachbarstaat Serbien.

Eher ungläubig als begeistert reagierten die von heimischen TV-Teams befragten Kosovaren in der Warteschlange vor dem Schweizer Konsulat in Pristina auf die frohe Kunde aus Straßburg vom baldigen Ende aller Wartequalen. „Schön wäre es, aber persönlich kann ich nicht daran glauben“, so der Familienvater Adem Alijaj.

Jubelstürme über die überfällige Aufhebung der Visapflicht sind bei dem seit 2008 unabhängigen Staatenneuling zwar ausgeblieben. Doch die Erleichterung im letzten Visumreservat auf dem Balkan über den baldigen Wegfall der zeitraubenden und kostspieligen Visumsprozedur bei Reisen ins Schengenreich ist groß:

Spätestens ab dem 1. Januar 2024 sollen auch die 1,7 Millionen Kosovaren für 90 Tage in die Staaten der Schengenzone ohne Visa einreisen können – wie fast alle anderen Europäer auch.

Wenn unsere jungen Leute reisen können, werden sie endlich ein realistisches Bild erhalten, wie das Leben im Westen ist.

Veton Mujaj, kosovarischer Bürgerrechtler

„Endlich werden sich unsere Bürger gleichberechtigt mit den anderen europäischen Nationen fühlen“, freute sich Staatschefin Vljosa Osmani. Begeistert reagierte auch die EU-Mission in Pristina in einer Erklärung zum verspäteten grünen Reiselicht für die Bewohner ihres Gastlandes: „Großartige Nachrichten – für Kosovo und die EU!“

Schon 2018 waren alle Bedingungen erfüllt

Dabei waren es zögerliche EU-Partner wie Frankreich oder die Niederlande, die kräftig auf die Bremse traten..Die Visapflicht wurde für die benachbarten EU-Anwärter Montenegro, Nordmazedonien und Serbien bereits 2009 aufgehoben, bevor 2010 auch noch Albanien und Bosnien und Herzegowina folgten.

Während die Moldawier seit 2014 und die Georgier und Ukrainer seit 2017 weitgehend visafrei durch Europa reisen können, stehen sich die Kosovaren noch immer vor den Auslandskonsulaten die Beine in den Bauch.

Zwar hatte die EU-Kommission bereits 2018 alle ihre Bedingungen für den Wegfall der Visapflicht für erfüllt erklärt. Doch auch die Tatsache, dass noch immer fünf EU-Staaten die Eigenstaatlichkeit des Kosovo nicht anerkannt haben, verzögerte lange die längst versprochene Liberalisierung.

Schätzungen zufolge hatten die Bewohner des bitterarmen Balkanstaats allein in den letzten fünf Jahren 89 Millionen Euro für Reisevisa und den dafür nötigen Papierberg zu zahlen.

Nachbar Serbien beklagt eine „schlechte Entscheidung“

Erst der Ukrainekrieg hat die EU-Partner aus Angst vor einem Ausweiten des russischen Einflusses auf dem Westbalkan daran erinnert, die Kosovaren nicht weiter endlos in der Warteschleife hängen zu lassen.

Sorgen, dass der Wegfall der Visapflicht den Exodus junger Kosovaren in den Westen beschleunigen könnte, werden zumindest von dem Bürgerrechtler Veton Mujaj in Peja (Pec) nicht geteilt: „Wenn unsere jungen Leute reisen können, werden sie endlich ein realistisches Bild erhalten, wie das Leben im Westen ist.“

Vor zehn Jahren feierten die Kosovaren ihre Unabhängigkeit überschwänglich.

© Daniel Mihailescu, AFP

Die für Kosovo wichtige Nachricht trifft in eine Zeit neuer starker Spannungen zwischen Pristian und Serbien, dem in gegenseitiger Abneigung verbundenen Nachbarn.

89
Millionen Euro haben kosovarische Bürger in den vergangenen fünf Jahren für Reisevisa ausgegeben.

Die Kosovo-Albaner hätten mit ihrer jahrelangen Weigerung, den bereits 2013 zugesicherten serbischen Kommunalverband zu schaffen, „uns und die ganze Welt betrogen“, wettert Serbiens Außenminister Ivica Dacic. Die Aufhebung der Visapflicht für Kosovaren sei daher eine fragwürdige Belohnung und „schlechte Entscheidung“.

Als „Satellit Russlands“ bleibe Serbien für die Sicherheit des Kosovo „die ernsthafteste Bedrohung“, warnt umgekehrt Kosovos Präsidentin Vjosa Osmani. Belgrad versuche vor den am Sonntag angesetzten Kommunalwahlen im überwiegend serbisch besiedelten Nordkosovo, „die lokalen Serben von der Wahrnehmung ihrer demokratischen Rechte abzuschrecken“, erregt sich ihr Kabinettschef Blerim Vela.

„Furcht vor einer neuen Eskalation der Gewalt im Nordkosovo“, titelt die Belgrader Zeitung „Blic“ angesichts der nahenden „Hochspannungswahl“. Doch nicht nur wegen des von den Kosovo-Serben in Abstimmung mit Belgrad weitgehend boykottierten Urnengangs knistert es erneut kräftig in der labilen Nachbarschaftsehe.

Endlich werden sich unsere Bürger gleichberechtigt mit den anderen europäischen Nationen fühlen

Vljosa Osmani, kosovarische Staatschefin

Auch die Umsetzung der ihnen vor Monatsfrist von der EU im mazedonischen Ohrid aufgenötigten Zwangseinigung gibt den Ex-Kriegsgegnern erneut Grund für Streit.

Zwar hatten sich die Dauerstreithähne auf starken Druck des Westens auf die Annahme des EU-Kosovo-Plans zur Normalisierung ihrer Beziehungen verständigt, diesen allerdings nicht unterzeichnet.

Serbiens Präsident Aleksandar Vucic stellt keine Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo in Aussicht.

© picture alliance/dpa/AP

Und bisher machen die unwilligen Nachbarn nur wenig Anstalten zur Umsetzung des Abkommens. Im Gegenteil.

Eine Normalisierung der Beziehungen sei mit Kosovos derzeitiger Regierung „nicht realistisch“, verkündet Serbiens Präsident Aleksandar Vucic. Bereits nach dem Treffen von Ohrid hatte er eine Unterschrift auch künftig ausgeschlossen.

Pristina setzt derweil gegenüber den Serben in Nordkosovo unverändert auf einen harten Kurs der Konfrontation, der das Misstrauen der Minderheit eher verstärkt als vermindert.

Kein Interesse an Kompromissen oder der EU

Die EU-Vermittler versichern zwar, dass mit der Aufnahme der Vereinbarungen von Ohrid in den EU-Integrationsprozess eine „neue Dynamik“ in den lange festgefahrenen „Nachbarschaftsdialog“ gekommen sei. Doch die letzten Wochen haben – neben den fehlenden Unterschriften – bereits weitere Webfehler der Vereinbarung offenbart.

Bis auf die eher schwammige Vorgabe, dass sich Kosovo „sofort“ an die Schaffung des Verbands der serbischen Kommunen machen sollte, fehlt es an klaren Fristen. Zudem scheinen die Anreize nicht verlockend oder die angedrohten Sanktionen nicht beängstigend genug, um vor allem Belgrad dazu zu bringen, entschlossener auf die Karte Verständigung zu setzen.

Die EU-Möhren seien „nicht besonders schmackhaft und die Knüppel nicht hart genug“, zitiert „Radio Free Europe“ einen namentlich nicht genannten Diplomaten.

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