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© Tagesspiegel / European Focus

European Focus #14: Wie werden wir wohnen?

+++ Beengtes Wohnen in Polen +++ 45 +++ Die spanische Mietfalle +++ Halbierte Wohnkosten +++ Unser Haus brennt +++

Hallo aus Madrid, 

in Spanien beginnen wir das neue Jahr im Wohnzimmer: Wir versammeln uns um den Fernseher, sehen dort die Uhr auf dem Hauptplatz und essen 12 Weintrauben, je eine mit jedem Glockenschlag. Es ist eine Familientradition in den eigenen vier Wänden.

In Spanien ist die Gründung einer Familie fast untrennbar mit dem Besitz eines eigenen Hauses oder einer eigenen Wohnung verbunden. Dies ist allerdings auch ein Problem in unserem Land: Die spanische Immobilienblase droht erneut zu platzen; mit ihr kommen auch die posttraumatischen Belastungen durch die Krise von 2008 wieder hoch – und die Mieten steigen weiter.

Wir haben eine vertrackte Beziehung zum Wohnen. Das spanische Problem wird nun offenbar zu einem europäischen Phänomen, von Polens Lebewohl zu billigen Immobilien bis hin zu Estlands nahezu „heiliger“ Auffassung von Wohneigentum. Ist Wiens (sicherlich auch nicht ganz perfekte) Lösung für erschwingliche Mieten der richtige Weg, oder sollten wir auf die deutschen Ökos hören? In diesem Newsletter denken wir über eine der wichtigsten Fragen unserer Zukunft nach: Wo und wie werden wir wohnen?

Alicia Alamillos, dieswöchige Chefredakteurin

Beengtes Wohnen in Polen

Wer in Polen auf Wohnungssuche ist, muss sich auf hohe Kosten einstellen. Im vergangenen Jahr sind die Mieten um fast 18 Prozent gestiegen. In den fünf größten Städten Warschau, Krakau, Breslau, Posen und Danzig war der Anstieg mit 30-40 Prozent deutlich höher. Eine 45 Quadratmeter große Zweizimmerwohnung kostet in einer polnischen Großstadt 800 Euro pro Monat. Das landesweite Durchschnittseinkommen liegt derweil bei 1.050 Euro.

Die Preise sind schon vor dem Krieg in der Ukraine rapide gestiegen, aber als mehr als eine Million geflüchtete Menschen aus der Ukraine nach Polen kamen, wurde der Wohnungsmarkt noch viel angespannter. Verschärft wird das Problem durch die Energiekrise und die Inflation.

Die Ursprünge gehen auf den Wohnungsmangel in der Zeit des Kommunismus zurück, doch auch nach der Wende hat keine einzige Regierung ausreichend Sozialwohnungen geschaffen. Die Auswirkungen sind heute deutlich zu spüren: Laut Eurostat hat Polen innerhalb der EU die geringste Anzahl von Zimmern pro Person (nur 1,1). Gleichzeitig sind die polnischen Familien zahlenmäßig am größten (im Durchschnitt 2,8 Personen pro Haushalt).

Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich die Situation bald verbessern wird. Der jüngste Bauboom hat zwar dazu beigetragen, den Mangel auf dem Wohnungsmarkt etwas zu entschärfen, ausreichend war dies aber nicht. Im vergangenen Jahr hat die Zentralbank aufgrund der Inflation die Zinssätze erhöht. Dadurch wurden Kredite wieder teurer.

Es ergibt sich ein Dominoeffekt: Die Anträge auf Hypotheken sind 2022 um 63 Prozent zurückgegangen. Auch die Investitionen verlangsamen sich: Angesichts der höheren Zinsen investieren die Bauunternehmer immer weniger. Wenn die Inflation fällt, dürften auch die Zinsen wieder gesenkt werden, doch der Markt hat sich bereits verändert. Die Polen sind angesichts der verfügbaren Wohnungen wortwörtlich in die Enge getrieben. Eine wirkliche Besserung auf dem Wohnungsmarkt ist aktuell nicht in Sicht.

Michał Kokot arbeitet im Auslandsressort der Gazeta Wyborcza und befasst sich dort mit Politik und Gesellschaft Mitteleuropas.

Zahl der Woche: 45

Aufgrund der steigenden Zinssätze werden die durchschnittlichen Hypothekenraten in Estland in diesem Jahr voraussichtlich um bis zu 45 Prozent steigen. Damit fehlen den Familien jeden Monat hunderte Euro in der Geldbörse.

Den Esten ist Wohneigentum heilig. Verstärkt wurde der Wunsch nach (und die Möglichkeiten für den Kauf von) Wohneigentum durch jahrelange Niedrigzinsen und boomende Immobilienpreise. Angesichts dieser günstigen Bedingungen stieg bei vielen im Land die Angst, die goldene Chance auf eine Immobilie zu einem erschwinglichen Preis zu verpassen.

Eine Inflation auf Rekordniveau und explodierende Nebenkosten rufen den Menschen in Estland nun die Finanzkrise von 2008 in Erinnerung. Nicht wenige verloren damals ihre Eigentumshäuser und -wohnungen.

Holger Roonemaa ist Leiter des Investigativ-Teams bei Delfi aus Tallinn. 

Die spanische Mietfalle

Wie so viele „junge, aber nicht mehr ganz so junge“ Europäer in ihren Dreißigern stehen meine Partnerin und ich vor einer großen Frage: Sollen wir weiterhin zur Miete wohnen oder ein Haus kaufen? Egal, ob die Antwort „Ja“ oder „Nein“ lautet, eines ist klar: dass wir uns diese Frage überhaupt stellen können, ist in Spanien ein Glücksfall.

Für die meisten jungen Menschen im Land ist das Wohnen zur Miete keine bewusste und gezielte Entscheidung. Es ist schlichtweg die einzige Möglichkeit. Vorbei sind die goldenen Zeiten, als Banken Kredite ohne Eigenkapital vergaben. Heutzutage verlangen die Finanzinstitute mindestens 20 Prozent des Immobilienpreises als Anzahlung. Das ist für fast alle jungen Leute in Spanien nur zu stemmen, wenn die älteren Verwandten aushelfen können.

In Spanien wird der Wohnungskauf traditionell gegenüber dem Mieten bevorzugt. Ich habe keinen einzigen Bekannten, der lieber zur Miete wohnen würde als ein Haus/eine Wohnung zu besitzen. Dennoch hat sich der Anteil der Eigenheimbesitzer unter den Unter-35-Jährigen im vergangenen Jahrzehnt fast halbiert.

Die Alternative ist jedoch auch keine echte Lösung. Trotz des viel beschworenen digitalen Wandels müssen die meisten jungen Spanierinnen und Spanier nach wie vor nach Madrid oder Barcelona ziehen, um dort einen Job zu finden. Dadurch steigen die Mieten in den Metropolen immer weiter. 2022 gab es durchschnittliche Steigerungen von 15,4 beziehungsweise 19,9 Prozent. 

Das ist die spanische Mietfalle. Mit ständig steigenden Mieten wird es immer schwieriger, Geld zu sparen, um eine Immobilie zu kaufen. Das wiederum führt dazu, dass junge Menschen länger in Mietwohnungen bleiben. Es ist ein Teufelskreis, aus dem meine Partnerin und ich – zwei der wenigen Glücklichen – vielleicht ausbrechen können. Insbesondere die uns nachfolgenden Generationen dürften aber auf Jahrzehnte in der Mietfalle sitzen.

Lucas Proto ist Journalist bei El Confidencial aus Madrid.

Halbierte Wohnkosten

„Ich bin so froh, dass ich eine Gemeindewohnung bekommen habe. Für eine Zweizimmerwohnung auf dem freien Markt reicht mein monatliches Einkommen einfach nicht aus. Die Mietkosten im Gemeindebau sind nur halb so hoch wie die für eine normale Wohnung.

Allerdings ist es nicht leicht, eine Wohnung im Gemeindebau zu bekommen. Am Anfang musste ich immer wieder bei den Behörden vorsprechen und diverse Anforderungen erfüllen. Letztendlich hat es mehrere Monate gedauert, bis ich eine Wohnung bekam. Das erfordert wirklich Geduld.“

Vor 100 Jahren wurden die ersten Gemeindewohnungen in der Zwei-Millionen-Metropole Wien gebaut. Heute gibt es 220.000 solcher Wohnungen in der Stadt. In ihnen leben rund 500.000 Menschen. Die 57-jährige Edit Gyimesi ist eine von ihnen; sie ist seit drei Jahren im Gemeindebau.

Peter Bognar ist freier Journalist in Wien. Er schreibt über österreichische und ungarische Politik.

Unser Haus brennt

Mehr Bauen ist nicht die Lösung für die Wohnungskrise. Vielmehr wird dadurch eine andere Krise weiter angeheizt: der Klimawandel. Die Baubranche ist für fast 39 Prozent der energie- und betriebsbedingten CO2-Emissionen verantwortlich. Allein acht Prozent werden durch die Zementproduktion verursacht. Vielleicht sollten wir einfach weniger bauen.

Denn in Deutschland gibt es gar keinen so krassen Mangel an Wohnfläche. Stattdessen haben wir ein Verteilungsproblem: ältere Menschen leben weiterhin in den Häusern, in denen sie ihre Kinder großgezogen haben, und diese Kinder haben immer größere Schwierigkeiten, eine eigene Wohnung zu finden. Die Zahl der Single-Haushalte nimmt zu, und alle dieser Haushalte brauchen eine Küche und ein Bad für ihren einzelnen Bewohner. Das sind eine große Menge an zusätzlich benötigten Quadratmetern.

Seit 1960 ist die durchschnittlich verfügbare Wohnfläche pro Person um fast das Eineinhalbfache gestiegen: von damals 19 auf fast 48 Quadratmeter im Jahr 2021. In Berlin wurde seit 1989 rund 25 Prozent zusätzlicher Wohnraum geschaffen, während die Bevölkerung lediglich um zehn Prozent wuchs. Dennoch leben auch heute gerade ärmere Menschen in überfüllten Wohnungen.  

Was wir brauchen, ist ein Perspektivenwechsel: Wir müssen nach Lösungen suchen, wie wir den Wohnraum, den wir bereits haben, besser verteilen können. Das könnte bedeuten, dass wir die Wohnungen zwischen denen, die mehr Platz brauchen, und denen, die ihn nicht brauchen, untereinander tauschen oder neue Wohnmodelle entwickeln. Wenn wir derartige Lösungen vorantreiben, könnten wir viel weniger bauen und somit auch die Klimaschäden verringern (was dringend notwendig ist).

„Unser Haus brennt“, hat Greta Thunberg gewarnt. Wir sollten uns darum kümmern, das Haus, das wir haben, zu löschen, statt durch immer mehr Neubau weiter den Brand anzuheizen.

Teresa Roelcke ist Journalistin beim Tagesspiegel aus Berlin.

Danke, dass Sie die 14. Ausgabe von European Focus gelesen haben!

Die Wohnungsfrage wird in den kommenden Jahren eine der drängendsten Themen für alle Regierungen in Europa sein. Wir haben es mit einer Krise zu tun, die hochkocht und das Potenzial hat, das gesamte Gefüge unserer Gesellschaften zu erschüttern.

Die Probleme sind bekannt; nun müssen Lösungen gefunden werden.

Bis nächste Woche.

Alicia Alamillos

Der Newsletter European Focus wird von der Europäischen Union finanziert. Die geäußerten Ansichten und Meinungen sind ausschließlich diejenigen der Autor:innen und spiegeln nicht notwendigerweise die der Europäischen Union oder von „Creative Europe“ wider. Weder die EU noch die ausstellende Behörde können für sie zur Verantwortung gezogen werden.

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