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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan neben seiner Ehefrau

© AFP/Adem Altan

Update

Historischer Sieg der Opposition: Erdogan räumt Wahlniederlage ein und will „Fehler beheben“

Die Erdogan-Partei AKP erlebt ihr schlimmstes Wahldebakel seit zwei Jahrzehnten, wie am Tag danach feststeht. Der türkische Präsident zeigt sich demütig.

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat den historischen Sieg der Opposition bei den Kommunalwahlen eingeräumt und dabei eine Kurskorrektur signalisiert. „Wenn wir einen Fehler gemacht haben, werden wir ihn beheben“, sagte Erdogan am Montag in der Parteizentrale in Ankara.

Welche Änderungen er innerhalb seiner Partei oder in der Politik vornehmen wolle, ließ er allerdings offen. Er sprach am Sonntag von einem „Wendepunkt“ für sein Lager, das seit 2002 an der Macht ist.

„Leider haben wir nicht die Ergebnisse erzielt, die wir uns gewünscht haben“, sagte Erdogan vor der ungewöhnlich stillen Menschenmenge, die sich in der Parteizentrale versammelt hatte. „Wir werden natürlich die Entscheidung der Nation respektieren.“

Erdogans islamisch-konservative AKP erlebte ihr schlimmstes Wahldebakel seit zwei Jahrzehnten. Die Wahlbehörde bestätigte am Montag den überraschenden Wahlausgang, der sich bereits in der Nacht abgezeichnet hatte.

Die Oppositionspartei CHP habe vorläufigen Ergebnissen zufolge landesweit 35 der 81 Bürgermeisterposten gewonnen, sagte der Leiter der Wahlbehörde, Ahmet Yener. Die islamisch-konservative AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan wurde damit erstmals seit ihrer Gründung 2002 nur zweitstärkste Kraft. Sie gewann 24 Bürgermeisterämter. Ein amtliches Endergebnis steht noch aus.

CHP landet knapp vor AKP

Die prokurdische Dem-Partei gewann zehn der Ämter, der ultranationalistische Regierungspartner Erdogans, die MHP, gewann acht, wie der Wahlbehördenleiter weiter sagte. Die islamistische Yeniden Refah Partei gewann zwei der Ämter, wurde aber im prozentualen Landesdurchschnitt drittstärkste Kraft (6,2 Prozent) – wenn auch mit großem Abstand zur zweitplatzierten AKP (35,5 Prozent) und der erstplatzierten CHP (37,7 Prozent).

Kurz vor Erdogans Eingeständnis verkündete der amtierende Bürgermeister der größten Stadt Istanbul, Ekrem Imamoglu, seine Wiederwahl. „Wir stehen an erster Stelle mit einem Vorsprung von mehr als einer Million Stimmen“, sagte er vor Journalisten. „Wir haben die Wahl gewonnen“, fügte er hinzu. „Morgen ist ein neuer Frühlingstag für unser Land.“

Ekrem Imamoglu, Bürgermeister von Istanbul

© Reuters/Umit Bektas

Imamoglus Anhänger waren zuvor zum Sitz der Stadtverwaltung geströmt. Der 52-jährige CHP-Politiker hatte 2019 überraschend die Bürgermeisterwahl in der Metropole gewonnen. Vor dem Sitz der Oppositionspartei in Istanbul versammelte sich eine große Menschenmenge. Türkische Flaggen wurden geschwenkt und Fackeln angezündet, um das Ergebnis zu feiern.

AKP verliert auch erneut in Ankara

In Ankara erklärte sich der amtierende Bürgermeister Mansur Yavas von der CHP ebenfalls zum Wahlsieger. Vor einer jubelnden Menge sagte er, dass „diejenigen, die ignoriert wurden, eine klare Botschaft an diejenigen gesendet haben, die dieses Land regieren“.

Der CHP-Vorsitzende Özgür Özel sagte, „die Wähler haben dafür gestimmt, das Gesicht der Türkei zu verändern“. Er fügte hinzu: „Sie wollen die Tür öffnen für ein neues politisches Klima in unserem Land.“

Erdogan verpasst Hauptziel der Kommunalwahlen

Präsident Erdogan, der seit 21 Jahren an der Macht ist, hatte die Rückeroberung des Bürgermeisteramts von Istanbul für seine AKP zu einem Hauptziel der Kommunalwahlen erklärt. Vor Imamoglus Wahlsieg 2019 war Istanbul 25 Jahre lang in der Hand der AKP und deren Vorgängerparteien gewesen.

Der Verlust des Rathauses in der Wirtschaftsmetropole Istanbul 2019 gilt als eine von Erdogans schlimmsten Wahlniederlagen. Er war selber in den 90er Jahren Bürgermeister der Millionenstadt, bevor er 2003 auf nationaler Ebene an die Macht kam, zunächst als Ministerpräsident und seit 2014 als Präsident. Im vergangenen Jahr wurde Erdogan für ein drittes und nach aktuellem Recht letztes Mandat im Amt bestätigt.

In mehreren Großstädten in Anatolien wie Konya oder Erzurum und an der Schwarzmeerküste – Hochburgen von Erdogan – blieben die AKP-Kandidaten jedoch vorne. In mehreren großen Städten im kurdisch geprägten Südosten der Türkei erzielte die pro-kurdische Partei DEM einen komfortablen Vorsprung, darunter in Diyarbakir.

Aus dem kurdisch geprägten Südosten des Landes wurden derweil Zusammenstöße gemeldet. Ein Mensch sei getötet worden, zwölf weitere seien verletzt worden, sagte ein örtlicher Beamter. Die DEM teilte mit, sie habe Unregelmäßigkeiten „in fast allen kurdischen Provinzen“ festgestellt, insbesondere durch verdächtige Fälle von Stimmrechtsvertretung. Französischen Wahlbeobachtern wurde der Zugang zu einem Wahllokal in der Region verwehrt, wie die Anwaltsvereinigung MLSA mitteilte.

61 Millionen Wähler in allen 81 Provinzen der Türkei waren aufgerufen, Bürgermeister, Gemeinderäte und andere Kommunalvertreter zu wählen. Für Erdogans AKP könnte die Niederlage bei den Kommunalwahlen – insbesondere in Istanbul – weitreichende Folgen haben. Bürgermeister Imamoglu gilt zunehmend als größter AKP-Rivale vor der nächsten Präsidentschaftswahl im Jahr 2028. (AFP, dpa)

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