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Chinas Volksbefreiungsarmee bei einer Militärübung in der Stadt Kashgar.

© AFP/STR

Lager, Folter, Massenkontrolle: Wie China Millionen Uiguren quält

Am Donnerstag ist Annalena Baerbock für Gespräche in Peking. Der Menschenrechtsaktivist Abduweli Ayup wünscht sich von der Außenministerin nur eines: dass sie das Leid der Uiguren in Xinjiang anspricht.

Hoffnung ist in den chinesischen Internierungslagern in Xinjiang das Wichtigste, sagt Abduweli Ayup. Und er muss es wissen. Der 50-Jährige war selbst dort im Gefängnis. Nach seiner Freilassung und Flucht in die Türkei sprach er zudem mit Hunderten Uiguren im Ausland, die wie er die Unterdrückung durch die Kommunistische Partei nicht länger ertragen konnten.

„Stellen Sie sich vor, Sie sind aus Xinjiang geflohen, Ihre Freunde und Familienmitglieder sind in chinesischen Lagern, darin vielleicht sogar gestorben. Und dann sehen Sie im Fernsehen, wie Frankreichs Präsident die Menschenrechtslage in China mit keinem einzigen Wort erwähnt“, sagt der 50-Jährige dem Tagesspiegel. Ihm ist anzusehen, wie enttäuscht er von Emmanuel Macrons Treffen vergangene Woche mit Chinas Machthaber Xi Jinping ist.

Die Uiguren riskierten ihr Leben, um Beweise aus China zu schicken, die die Verbrechen dort dokumentieren, erzählt er. „Sie hoffen auf Hilfe, müssen dann aber feststellen, dass die Welt nicht alles unternimmt, um diesem Unrecht ein Ende zu bereiten.“

Ab Anfang 2017 begannen in Xinjiang große Inhaftierungswellen durch die chinesischen Behörden, bei denen Hunderttausende Männer und Frauen aus überwiegend muslimischen Gruppen in Gefängnisse gesteckt wurden. Bis zu einer Million Menschen wurden zudem UN-Schätzungen zufolge in Umerziehungslager geschickt.

Abduweli Ayup war in China in Haft, floh 2015 in die Türkei.

© privat

Zeugenberichten zufolge müssen sich uigurische Frauen ab 18 Jahren zwangssterilisieren lassen und das Zertifikat bei der Polizei vorlegen. Zudem werden offenbar muslimische Zwangsarbeiter in Fabriken auch in anderen chinesischen Provinzen eingesetzt. Uigurische Kinder werden gezwungen, staatliche Internate zu besuchen, und bekommen dort Unterricht in Mandarin, der Sprache der Han-Chhinesen.

Mithilfe öffentlicher Überwachung, Straßencheckpoints und der Auswertung von Handy- sowie Internetdaten findet Menschenrechtsreorganisationen zufolge eine regelrechte Massenüberwachung statt. Die chinesischen Behörden erstellen demnach elektronische Akten für Mitglieder der Minderheiten – mit umfassenden Informationen zu ihren Familien, Vorfahren, Freunden, der religiösen Einstellung. Dazu kommen DNA-Proben, Foto- und Filmmaterial.

Ayup wurde erstmals im August 2013 festgenommen, weil er Sprachschulen und Kindergärten für uigurische Kinder betrieb und angeblich Spendengelder veruntreut hatte. Menschenrechtler gehen davon aus, dass die chinesische Regierung mit seiner Festnahme verhindern wollte, dass die uigurische Sprache und Kultur gelehrt wird.

„Außerdem warf man mir vor, für das Ausland zu spionieren und die Unabhängigkeit Xinjiangs anzustreben. Als Beweise führten sie auf, dass ich als Linguist ein Stipendium für ein Studium in den USA bekommen und dort Kontakt zu anderen Uiguren im Exil hatte. Das waren meine Freunde. Nach meiner Festnahme merkte ich schnell: Alles war vorbereitet. Ich sollte nur noch mein Geständnis unterschreiben. Als ich mich weigerte, begann die Folter.“

Elektroschocks und Tigerstuhl

Bei den Verhören setze die chinesische Polizei alles ein, sagt er, deutlich mitgenommen. „Das ist Folter, die die CIA wahrscheinlich nicht einmal kennt. Bei mir begannen sie mit dem Elektroschocker. Dann prügelten sie auf mich ein, beschimpften und beleidigten mich. Am Ende setzten sie sexuelle Gewalt ein. Man kann sich das nicht vorstellen, wenn man das nicht erlebt hat.“ In einem Bericht für die Organisation Uyghur Tribunal sagte Ayup aus, dass die chinesischen Polizisten ihn zwangen, sich nackt auszuziehen, und zuließen, wie eine Gruppe Häftlinge ihn vergewaltigte.

Mit Drogenabhängigen und Mördern steckten sie den Lehrer und Sprachwissenschaftler in eine Massenzelle. Dort habe er die Abgründe der Gesellschaft erlebt, sagt er.

Im November 2014 kam er frei, nur um wenige Wochen später wieder für einige Stunden eingesperrt und festgenommen zu werden. Danach habe sich Ayup zur Flucht entschieden. Zuerst reisten seine Frau und seine beiden Kinder nach Japan. Als sie in Sicherheit waren, reiste er im August 2015 in die Türkei, weil er dort am einfachsten ein Visum bekommen konnte. Seit 2019 lebt die Familie in Norwegen, von wo aus sich der Uigure weiter dafür einsetzt, dass die Verbrechen in seiner Heimat bekannt werden.

Sowohl sein Bruder Erkin als auch seine Schwester Sajidugul wurden im Rahmen der systematischen Massenverhaftungen im Jahr 2017 in Xinjiang inhaftiert und werden in Internierungslagern festgehalten. „Sie haben nichts getan, sie sind nur mit mir verwandt“, sagt Ayup. Auch seine Nichte Mihray Erkin wurde in ein Lager gebracht. Sie war verhaftet worden, nachdem sie 2019 von Japan, wo sie einen Universitätsabschluss in Pflanzenbiologie gemacht hatte, nach Xinjiang geflogen war, um ihre Eltern zu besuchen. Offiziell starb sie in einem Krankenhaus in Kasghar, ihr Körper zeigte jedoch Spuren von Folter.

Das Schicksal der jungen Frau, die vor ihrer Reise nach Xinjiang eine Stelle an einem japanischen Forschungsinstitut in Nara angenommen hatte, nimmt Ayup sichtlich mit: „Ich mache trotzdem weiter. Die Welt muss von dem Unrecht erfahren, das in meiner Heimat jeden Tag geschieht. Meine Geschwister wissen, wo auch immer sie sind, dass ich für ihre Freilassung und für ihr Leben kämpfe.“ Aus seiner eigenen Haftzeit wisse er, dass Hoffnung das Wichtigste sei.

Von Außenministerin Baerbock wünsche ich mir deshalb nur eine Sache, ein einziges Wort“, sagt Ayup. „Sie soll bei ihren Treffen in Peking die Uiguren erwähnen. Sie soll zeigen, dass sie weiß, was die Kommunistische Partei in Xinjiang macht, und nicht wie andere die Augen davor verschließen.“

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