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Erdogan steht seit 2014 an der Spitze des türkischen Staats.

© picture alliance / AA/MURAT KULA

Verfassungsstreit im türkischen Wahlkampf: Darf Erdogan zum dritten Mal kandidieren?

Am 14. Mai soll in der Türkei ein neuer Staatschef gewählt werden. Recep Tayyip Erdogan strebt eine weitere Amtszeit an. Die Opposition wirft ihm vor, er breche damit die Verfassung.

In der Türkei ist ein Streit um die Kandidatur von Präsident Recep Tayyip Erdogan für eine dritte Amtszeit entbrannt. Die Opposition hält Erdogans Bewerbung für verfassungswidrig und will sie juristisch anfechten. Erdogan weist die Vorwürfe zurück und sagt, seine Gegner wollten nur von der eigenen Konzeptlosigkeit ablenken.

Der Streit dreht sich um den Paragrafen 101 der türkischen Verfassung, der eine Höchstgrenze von zwei Amtszeiten für den Staatspräsidenten festlegt. Weil Erdogan bereits 2014 zum Präsidenten gewählt und 2018 im Amt bestätigt wurde, könne er nicht noch einmal antreten, sagt die Opposition.

Falsch, kontert Erdogan. Im Jahr 2018 sei eine neue Verfassung in Kraft getreten: Damals sei „die Uhr auf null gestellt“ worden, sagte der 68-jährige Präsident am Samstag. Deshalb stehe seiner Bewerbung um eine weitere fünfjährige Amtszeit nichts im Wege.

Beide Seiten führen verfassungsrechtliche Argumente ins Feld. Die Opposition verweist auf die generelle Aussage des Paragrafen 101, die keine Interpretationsmöglichkeiten zulasse.

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Parteien bilden das Oppositionsbündnis. Sie wollen Erdogans Herrschaft beenden.

Erdogan ignoriere die Verfassung, wenn er erneut antrete, erklärte ein Block aus sechs Oppositionsparteien, die sich zusammengeschlossen haben, um bei den Wahlen am 14. Mai die Herrschaft des Präsidenten und dessen Regierungspartei AKP zu beenden.

Dagegen erklärte Bülent Turan, Vizechef der AKP-Parlamentsfraktion, Erdogan trete nach der geltenden Verfassung von 2018 erst zum zweiten Mal an.

Welche Rolle spielt die Wahlkommission?

Die Verfassung sieht einen dritten Weg vor. Das Parlament könnte mit Dreifünftel-Mehrheit die vorzeitige Selbstauflösung beschließen und damit Neuwahlen erzwingen; in diesem Fall würde Erdogans laufende Amtszeit als unvollendet gelten – eine neue Kandidatur wäre juristisch über jeden Zweifel erhaben.

Doch Erdogan bekommt im Parlament die nötige Mehrheit nicht zusammen, weil die Opposition nicht mitspielt. Deshalb will er kraft seines Amtes als Staatschef die Wahlen von Juni auf Mai vorziehen, weil er sich Vorteile von einem früheren Termin verspricht. Damit verkürze er seine Amtszeit selbst und dürfe deshalb nicht noch einmal kandidieren, argumentiert die Opposition.

Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu könnte gegen Erdogan antreten.

© Imago/Zuma Wire/Tolga Ildun

Eine Einigung ist nicht in Sicht. Der inhaftierte Ex-Vorsitzende der Kurdenpartei HDP, Selahattin Demirtas, kündigte an, er werde bei der Wahlkommission gegen Erdogans Kandidatur Beschwerde einlegen, sobald diese offiziell angemeldet wird; auch der zum Sechser-Block gehörende Ex-Minister Ali Babacan will klagen.

Dass die Wahlkommission der Opposition recht gibt, ist unwahrscheinlich. Ihre Mitglieder werden von Gerichten ernannt, die in den vergangenen Jahren größtenteils mit Erdogan-Anhängern besetzt worden sind. Kritiker werfen dem Gremium vor, schon bei früheren Wahlen zugunsten der Regierung eingegriffen zu haben.

Bei der Volksabstimmung über die Einführung von Erdogans Präsidialsystem im Jahr 2017 änderte die Kommission in der Wahlnacht plötzlich die Regeln für die Auszählung. Damit habe sie dem Präsidenten einen knappen Sieg beschert, kritisierte die Opposition damals.

Die Opposition hat sich noch nicht auf einen Kandidaten geeinigt

Dennoch trifft Erdogans Vorwurf, die Opposition breche die Debatte um seine Kandidatur nur vom Zaun, um von eigenen Problemen abzulenken, die Regierungsgegner an einem wunden Punkt. Das Sechser-Bündnis hat dreieinhalb Monate vor der Wahl noch keinen Präsidentschaftskandidaten gekürt und will erst Mitte Februar darüber entscheiden.

Hinter den Kulissen gibt es Krach im Oppositionsbündnis. Die Vorsitzende der konservativen IYI-Partei, Meral Aksener, favorisiert den Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu als Kandidaten und lässt schon Plakate aufhängen, die sie zusammen mit Imamoglu zeigen.

Doch Kemal Kilicdaroglu, Vorsitzender der linksnationalen CHP, beansprucht als Chef der größten Oppositionspartei die Kandidatur für sich – obwohl er laut Umfragen weniger Siegeschancen hätte als Imamoglu.

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