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Der Campus der Hamline University in St. Paul, Minnesota, USA.

© imago images/ZUMA Wire

Verletzte religiöse Gefühle: In den USA steht eine Kunsthistorikerin am Pranger

Eine Lehrbeauftragte wird entlassen, weil sie Abbildungen des Propheten Mohammed gezeigt hatte. Die Universitätsleitung wirft ihr Islamophobie vor. Der Fall wird zum Politikum.

Sie hatte ihre Studenten gewarnt. In wenigen Minuten würde sie zwei Darstellungen des Propheten Mohammed aus dem 14. und 16. Jahrhundert zeigen. Wer die Abbildungen nicht sehen wolle, solle seinen Bildschirm ausschalten.

Schon zu Beginn ihres Online-Kurses über globale Kunstgeschichte hatte Erika López Prater die Teilnehmer darauf hingewiesen, dass auch religiöse Darstellungen – etwa von Buddha und Mohammed – zu sehen sein würden. Wer damit Probleme habe, könne sich an sie wenden. Niemand tat es.

Was dann folgte, zog Kreise, die immer größer wurden. Zu einem landesweiten Thema in den USA wurde der Fall am vergangenen Sonntag durch einen Bericht in der „New York Times“. Es geht um verletzte religiöse Gefühle, Islamophobie, akademische Freiheiten, „cancel culture“. Das ist ein toxisches Gebräu, das oft Reflexe freisetzt, bevor reflektiert wird.

Sie habe sich ausgeschlossen gefühlt aus der Gemeinschaft

Der Ort der Kontroverse ist die private Hamline University in der Stadt St. Paul im Bundesstaat Minnesota. Unmittelbar nachdem die Lehrbeauftragte die historischen Mohammed-Abbildungen gezeigt hatte, das war Anfang Oktober 2022, beschwerte sich eine Studentin bei der Universitätsleitung. Die Präsentation der Darstellungen sei ein Angriff auf ihre Religion, sagte Aram Wedatalla, die auch Vorsitzende der „Muslim Student Association“ (MSA) an Hamline ist. Unterstützt wurde sie von muslimischen Kommilitonen, die keine Kurs-Teilnehmer waren.

Diese Abbildung zeigt den Propheten Mohammed, wie er seine erste Offenbarung vom Engel Gabriel erhält. Die Abbildung stammt aus der Weltgeschichte von Rashid al-Din aus dem Jahr 1307.

© imago images/UIG / imago images/UIG

Als eine schwarze Muslima aus dem Sudan, sagte Wedatalla in einem Interview im Dezember, habe sie sich ausgeschlossen gefühlt aus einer Gemeinschaft, „die mich als Mitglied nicht schätzt und die mir nicht ebenso respektvoll begegnet wie ich ihr“.

Sie verlor ihren Job, seitdem wird gewettert

Erika López Prater wandte sich ihrerseits an die Fachbereichsleitung und schilderte den Vorfall. Sie habe offenbar alles richtig gemacht, wurde ihr versichert, man glaube an die Wissenschaftsfreiheit und unterstütze sie. Um die Kontroverse zu entschärfen, schrieb die Kunsthistorikerin in einer Stellungnahme, Diversität erfordere auch die Bereitschaft, „sich widersprechende, unbequeme und nebeneinander bestehende Wahrheiten“ in ein gemeinsames Gespräch einzubringen.

Doch eine Verständigung war nicht mehr möglich. In einer Petition forderten muslimische Studenten die Universitätsleitung zu Konsequenzen auf. Die reagierte auf den Druck und bewertete die Unterrichtseinheit der Kunsthistorikerin als eindeutig islamophob. Die Präsidentin der Hamline-University, Fayneese S. Miller, die erste schwarze Frau in diesem Amt, unterzeichnete eine Email, in der es hieß, der Respekt vor den muslimischen Studenten hätte stärker gewichtet werden müssen als die akademische Freiheit.

Schließlich wurde Erika López Prater mitgeteilt, dass man ihre Dienste künftig nicht mehr in Anspruch nehmen werde. Sie verlor ihren Job.

Das sei wie „Lobreden auf Hitler“

Seitdem wird gewettert. Der PEN-Club protestierte gegen die Entlassung und sah darin „eine der gröbsten Verletzungen der akademischen Freiheiten in der jüngsten Geschichte“. Kunsthistoriker und Theologen wiesen darauf hin, dass die gezeigten Mohammed-Darstellungen – im Unterschied zu den Karikaturen in der dänischen Zeitung „Jyllands Posten“ und der französischen Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ – von Muslimen angefertigte bedeutende Kulturwerke seien. Mit ihnen solle der Prophet geehrt, nicht geschmäht werden. Seit dem 13. Jahrhundert werde Mohammed in der islamischen Malerei bildlich dargestellt.

Dagegen verglich ein Sprecher des „Council on American-Islamic Relations“ (CAIR) in Minnesota die Präsentation der Gemälde mit „Lobreden auf Hitler“. Der CAIR hat Sektionen im gesamten Gebiet der USA und in Kanada und versteht sich als Bürgerrechtsorganisation.

Viele Religionen kennen ein Abbildungsverbot. Das erste der zehn Gebote, die Moses von Gott auf dem Berg Sinai empfing, postuliert: „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder des, das oben im Himmel, noch des, das unten auf Erden, oder des, das im Wasser unter der Erde ist.“ Für Juden und Christen sind die zehn Gebote zentrale ethische Normen.

Den Reformatoren im 16. Jahrhundert, den Bilderstürmern, galten Skulpturen und Gemälde gar als eine Art Götzendienst. Sie zerstörten Tausende von Kunstwerken. Der Gedanke dahinter: Wort und Schrift sind wichtiger als Bild und Malerei. Das Wort ist Träger der Offenbarung.

Darf man Mohammed zeigen? Darüber gibt es keinen Konsens

Ähnlich ist es im Islam. Zwar enthält der Koran kein Bilderverbot, aber schon früh war man sich einig, dass Gott selbst nicht dargestellt werden dürfe. In mehrheitlich von Sunniten bewohnten Gegenden übertrug sich dieses Dogma auch auf den Propheten. In schiitischen Regionen gilt das überwiegend nicht. Darf man Mohammed zeigen? Die meisten Muslime würden das wohl verneinen, doch auch unter islamischen Rechtsgelehrten besteht darüber kein Konsens.

Dass es in der Hamline-Kontroverse nicht nur um einen Konflikt zwischen verletzten religiösen Gefühlen und akademischer Freiheit geht, illustriert ein Essay der muslimischen Historikerin Amna Khalid im „Chronicle of Higher Education“. Vor allem als Muslima, schreibt sie, habe sie die Entlassung der Kunsthistorikerin empört. Damit habe sich die Universitätsleitung auf die Seite der „extremsten und konservativsten“ islamischen Haltung gestellt. Dabei gebe es einen monolithischen Islam eben so wenig wie einen authentischen Islam.

Die Wellen der Affäre schlagen allerdings auch deswegen so hoch, weil sie die Folgen von religiöser, ethnischer und anderer Pluralität thematisiert. Wird durch Diversität der Raum für Widerspruch, Anders-Sein und Herausgefordert-Werden erweitert? Oder wird er verengt, weil im Namen von Respekt und Toleranz bestimmte Dinge nicht mehr gesagt oder gezeigt werden dürfen, durch die andere Menschen in ihren Gefühlen verletzt werden könnten?

Erika López Prater wusste, was sie tat. Sie hatte die Studenten gewarnt. Geholfen hat es ihr nicht.

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