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Wahlsieger Petteri Orpo

© IMAGO/Lehtikuva/IMAGO/Antti Aimo-Koivisto

Von Selfies zu politischen Differenzen: Sondierungsgespräche in Finnland ziehen sich

Der Richtungswechsel will nicht richtig klappen. Der Konservative Petteri Orpo muss schlichten, zehn Wochen nach der Wahl stocken die Verhandlungen. Was will der Wahlsieger?

Die fröhlichen Selfies der von Frauen geführten Regierung von Sanna Marin gehören in Finnland der Vergangenheit an. Zu groß scheinen die politischen Differenzen einer möglichen neuen Regierung.

Fast zehn Wochen nach den Parlamentswahlen Anfang April wird in Helsinki noch immer sondiert – bislang ohne Erfolg.

Schon vor der Wahl deutete sich ein knappes Rennen zwischen der konservativen Nationalen Sammlungspartei (KOK), Marins Sozialdemokrat:innen und den rechten Wahren Finnen (PS) an.

Im extremen Sparkurs geeint

Marins Linksbündnis unterlag, das Land schwenkte, wie Schweden ein halbes Jahr zuvor, nach rechts. Seitdem versucht der KOK-Vorsitzende Petteri Orpo als Wahlsieger, die zweitplatzierte Rechtsaußenpartei PS mit der kleinen Zentrumspartei und der liberalen Schwedischen Volkspartei (RKP) zusammenzubringen.

Es war von Anfang an klar, dass es große ideologische Differenzen zwischen den vier Parteien geben würde.

Jenni Karimäki, Politikwissenschaftlerin an der Universität Helsinki

Die wochenlangen Koalitionsgespräche seien „einfach eine schwierige Sache“, sagte Orpo am Freitag auf einer Pressekonferenz in Helsinki. „Es müssen noch einige Dinge geklärt werden.“ Es sei aber realistisch, dass die Verhandlungen kommende Woche beendet werden.

„Es war von Anfang an klar, dass es große ideologische Differenzen zwischen den vier Parteien geben würde“, sagt die Politikwissenschaftlerin Jenni Karimäki von der Universität Helsinki dem Tagesspiegel. Daher sei es nicht verwunderlich, dass sich die Verhandlungen in die Länge ziehen.

Hinter Petteri Orpo liegen harte Verhandlungswochen. Seine Nationale Sammlungspartei KOK und die Wahren Finnen stehen für einen extremen Sparkurs – sechs Milliarden Euro weniger wollen sie ausgeben, die Staatskasse von Grund auf sanieren.

Seit der Finanzkrise 2008 hat sich die Staatsverschuldung in Finnland verdreifacht. Ungewöhnlich für Nordeuropa: Im Nachbarland Schweden sinkt die Schuldenquote seit fast einem Jahrzehnt.

Die enge Verbindung zwischen der konservativen KOK und den rechten Wahren Finnen sei daher „vor allem wirtschaftlich“, sagt Niko Pyrhönen von der Universität Helsinki.

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Millionen Finninnen und Finnen waren im April wahlberechtigt.

Doch selbst bei diesem Kernthema können sich beide Parteien kaum einigen. Am Freitag berichtete der öffentlich-rechtliche Sender Yle, dass die Wirtschaftsdelegation der Wahren Finnen die Gespräche frühzeitig verlassen habe.

Für die Konservativen bleibt es ein großes Risiko, die eigene politische Agenda mit Unterstützung der als wankelmütig geltenden Wahren Finnen durchzusetzen.

Mögliche Koalitionspartner: Riikka Purra (Wahre Finnen) und Petteri Orpo von der Nationalen Sammlungspartei

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„Aber für sie steht viel auf dem Spiel und sie sind bereit, dieses Risiko einzugehen.“ Denn wenn es für Orpo in diesem Viererbund nicht klappt, muss er mit den Sozialdemokrat:innen von Sanna Marin sprechen. Und die wollen mehr statt weniger Staatsausgaben.

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Milliarden Euro wollen Konservative und Rechte im öffentlichen Haushalt einsparen.

Orpo muss naber icht nur seine eigene Partei mit den Wahren Finnen versöhnen. Seine schwierigste Aufgabe bleibt, die Finnenpartei mit den liberaleren Juniorpartnern zu vereinen, vor allem mit der Schwedischen Volkspartei.

Die Wahren Finnen wollen aus der Europäischen Union austreten, den obligatorischen Schwedischunterricht abschaffen, Einwanderung nach dänischem Vorbild unmöglich machen und die ehrgeizigen Klimaziele der rot-grünen Regierung unter Sanna Marin zurückschrauben.

Unvereinbarer können zwei Koalitionspartner kaum sein.

Trotz hoher Beliebtheitswerte abgewählt: Finnlands noch amtierende Ministerpräsidentin Sanna Marin.

© AFP/Jonathan Nackstrand

Das größte Problem des KOK-Vorsitzenden: Er braucht beide Parteien, will er eine stabile Mehrheitsregierung führen. Anders als in den nordeuropäischen Nachbarländern sind Minderheitsregierungen in Finnland nicht üblich. Eine schwedische Lösung – die Rechten offiziell aus der Regierung herauszuhalten – ist in Helsinki kein Thema.

Doch die Risse zwischen liberalen Schweden und rechten Finnen sind in den vergangenen Tagen immer deutlicher geworden. Erste RKP-Mitglieder verließen vergangene Woche die Koalitionsgespräche, eine Abgeordnete träumte öffentlich vom Ende der Zusammenarbeit. Noch ehe sie begonnen hat.

Angesichts der Parteiprogramme der Koalition werden wohl vor allem die Unternehmen und der Mittelstand von der neuen Regierung profitieren.

Jenni Karimäki, Politikwissenschaftlerin an der Universität Helsinki

Doch Petteri Orpo gilt als zielstrebiger und vor allem hartnäckiger Verhandler. „Die Gespräche wurden von Orpo und seiner Partei dominiert“, sagt Jenni Karimäki.

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Sitze haben die Nationale Sammlungspartei und die Wahren Finnen zusammen, sieben weniger als für eine Mehrheit nötig.

Um die Gespräche nicht zu gefährden, würde er die Meinungsverschiedenheiten zwischen den liberalen Schweden und den Wahren Finnen „zumindest öffentlich nicht kommentieren. Eigentlich hält er sich da komplett raus“.

Auch weil er Finnland endlich in eine neue Richtung lenken will. Weg von Marins links-grüner Politik, die ihr vor allem im Ausland viele Fans bescherte, hin zu einer rechtsliberalen Regierung.

„Angesichts der Parteiprogramme der Koalition werden wohl vor allem die Unternehmen und der Mittelstand von der neuen Regierung profitieren“, prognostiziert Karimäki.

Orpo selbst rechnet damit, dass die neue Regierung noch vor dem traditionellen Mittsommerfest am 24. Juni vereidigt wird. Mit der Sommersonnenwende würde in Finnland dann auch politisch eine neue Zeitrechnung beginnen.

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