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Die TCG Anadolu, das neue Kriegsschiff der Türkei.

© REUTERS/MURAD SEZER

Erdogans neues Kriegsschiff: Türkischer Präsident mit der „TCG Anadolu“ auf Kurs zum Wahlsieg?

Ein neues Flaggschiff der türkischen Marine erfüllt die Menschen im Land mit Stolz, denn es wurde in der Türkei entwickelt. Erdogans Partei will Wähler damit begeistern.

Eine Meeresbrise zerrt an Arzu Saris offenen Haaren, ihr Mann Ömer hat sich einen Pferdeschwanz gebunden. Vier Stunden steht das Paar schon in der Menschenschlange. Sie zieht sich um die Altstadt von Istanbul kilometerweit am Bosporus entlang – und das Ziel ist endlich in Sicht: die „TCG Anadolu“, das neue Flaggschiff der türkischen Kriegsmarine, der erste türkische Flugzeugträger. Das Schiff der Juan-Carlos-I-Klasse liegt unterhalb der Hagia Sophia im Goldenen Horn vertäut und kann über die Ramadan-Feiertage vom Volk besichtigt werden.

Schon der Anblick erfülle sie mit Stolz, sagt die 40-jährige Sekretärin Arzu über den Stahlkoloss, der mit Hubschraubern und Kampfdrohnen bestückt ist: „Wir können jetzt selbst Hochtechnologie entwickeln, genauso gut wie andere Länder.“ Ein Nachbar in der Schlange wirft ein: Bald werde die Türkei vielleicht sogar Deutschland überholen.

TCG Anadolu, Erdogans neues Kriegsschiff.

© REUTERS/YORUK ISIK

In der Menge vor dem Schiff herrscht Volksfest-Stimmung; von Inflation, der Erdbeben-Katastrophe und anderen Sorgen ist keine Rede. Drei Wochen vor den Wahlen am 14. Mai mag Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in den meisten Umfragen hinter Kemal Kilicdaroglu liegen, seinem Herausforderer von der Opposition, doch verloren hat Erdogan noch nicht.

Seine Botschaft an die Wähler lautet, dass das „Jahrhundert der Türkei“ anbricht. Mit dem Slogan und dem neuen Kriegsschiff trifft er den Nerv vieler Türken, die sich stets unterlegen fühlten und mit ihm auf neue Stärke hoffen.

„Schau, das ist der Albtraum der Deutschen“, ruft ein Mann in der Schlange triumphierend und zeigt auf das Kriegsschiff. Mehmet Ünlü ist Busfahrer, er wartet seit dem frühen Morgen. „Ich warte notfalls den ganzen Tag und die ganze Nacht“, sagt der 55-Jährige. „Weil ich so stolz bin auf das Schiff und auf unser Land.“

Als türkischer Soldat habe er sich von amerikanischen Ausbildern 1988 sagen lassen müssen, dass die Türken immer unterlegen sein würden, weil sie technologisch rückständig seien, erzählt Ünlü. „Und nun haben wir das gebaut“, sagt er und zeigt wieder auf das Schiff. „Das haben wir geschafft.“ Jetzt würden technologisch führende Länder wie Deutschland wohl Respekt vor der Türkei bekommen, glauben die Menschen in der Warteschlange.

Sie kommen aus dem ganzen Land

Aus dem ganzen Land sind sie nach Istanbul gepilgert, um die „Anadolu“ zu sehen. „Dieses Schiff symbolisiert die Souveränität der Türkei“, sagt der 27-jährige Fabrikarbeiter Emre, der aus dem nordwesttürkischen Gebze gekommen ist und seinen Nachnamen nicht preisgeben will. Emre sitzt auf einer Parkbank und betrachtet das Schiff von außen, weil seine Zeit nicht reicht, um sich in die Warteschlange für die Besichtigung einzureihen. Es sei ihm schon genug, dieses Zeichen türkischer Stärke und Unabhängigkeit mit eigenen Augen gesehen zu haben, sagt der junge Arbeiter.

Dieses Schiff symbolisiert die Souveränität der Türkei.

Emre, Fabrikarbeiter

Fast tausend Kilometer weit ist die Familie Kara aus dem ostanatolischen Sivas angereist, um das Schiff zu sehen – und steht mit zwei Kindern schon den zweiten Tag an. „Normalerweise würden wir an den Ramadan-Feiertagen unsere Verwandten besuchen, wie es Brauch ist“, sagt Familienvater Hasan Kara. „Aber dies ist uns noch wichtiger.“

„Das ist der Albtraum der Deutschen“, sagt Busfahrer Mehmet Ünlü. Er sei stolz auf das Schiff und das Land.

© Susanne Güsten

Als Geschichtslehrer erinnert der 34-Jährige daran, wie die Briten im Ersten Weltkrieg zwei Kriegsschiffe beschlagnahmten, die das Osmanische Reich in England bestellt und bezahlt hatte. Und heute würden die USA der Türkei die F-35-Kampfjets verweigern, deren Entwicklung die Türken mitfinanziert hatten. „Wir wollen nicht mehr herumgeschubst werden, und dafür steht dieses Schiff“, sagt Kara. „Wir wollen keinen Krieg führen, wir wollen aber auf eigenen Beinen stehen können.“

Der Nachbar Griechenland habe von der „TCG Anadolu“ nichts zu befürchten, sagt auch Ömer Faruk Sari. Doch die amerikanischen Kriegsschiffe im Bosporus würden ihm schon lange auf die Nerven gehen. Mit seinem Pferdeschwanz sieht der Englischlehrer nicht aus wie ein typischer Wähler von Erdogans Regierungspartei AKP. Mit Parteien habe das alles nichts zu tun, entgegnet Sari. „Wir Türken schätzen einfach Männer, die Stein auf Stein setzen und etwas schaffen.“

Wir Türken schätzen einfach Männer, die Stein auf Stein setzen und etwas schaffen.

Ömer Faruk Sari, Englischlehrer

Mit ausladender Geste weist er auf das Panorama am Bosporus: „Sieh mal, den Fernsehturm, die große Moschee über der Stadt, dieses neue Schiff – das hat alles Erdogan geschaffen.“ Die Umstehenden stimmen eifrig ein und setzen die Aufzählung fort: das neue Elektroauto aus türkischer Produktion, das Erdgas aus türkischen Feldern, die Umwidmung der Hagia Sophia zur Moschee, in der Türken seither wieder beten dürfen.

Für die Kritik der Opposition an der hohen Inflation in der Türkei haben die meisten in der Schlange vor der „Anadolu“ nichts übrig. „Auch andere Länder haben unter der Pandemie gelitten, auch dort ist Öl und Gas wegen des Ukraine-Krieges teurer geworden“, sagt ein Mittvierziger namens Salih. Das sind die Argumente, die auch der Staatspräsident immer wieder vorbringt. „Unser Land muss sich verteidigen können“, sagt Salih. „Sonst kommen wir unter die Knute der imperialistischen Kräfte wie USA, England oder Israel.“

Der 27-jährige Ali Reza ist einer der wenigen, die nicht wegen, sondern trotz Erdogan in der Schlange stehen. Er interessiere sich für Militärtechnik, sagt der junge Mann in Basketball-Mütze und Sonnenbrille. Nur „ungebildete Leute“ verstünden das neue Schiff als Symbol nationaler Größe. Er wird am 14. Mai nicht für Erdogan stimmen, doch er erwartet, dass der Präsident siegen wird. „Leider.“

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