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BBC-Moderator Gary Lineker

© dpa/Mike Egerton

ARD-Korrespondentin zum Fall Lineker: „Ein massiver Fehler der BBC aus Angst vor Druck der Regierung“

Die Londoner ARD-Korrespondentin Annette Dittert sieht die BBC-Spitze durch die Suspendierung des Top-Sportmoderators Lineker am Scheideweg. Wie kann es weitergehen?

Frau Dittert, der bestbezahlte BBC-Moderator und ehemalige Stürmerstar Gary Lineker hat in einem Tweet die Verschärfung der britischen Einwanderungspolitik scharf kritisiert und dabei die Sprache der konservativen Regierung mit der des Deutschlands der 1930er-Jahre verglichen. Was folgte, waren Suspendierung und ein Tsunami der Empörung auf vielen Seiten. Wer regt sich über wen am meisten auf? 
Es gibt im Prinzip zwei Lager in dieser Debatte. Das eine ist die zunehmend rechtspopulistisch agierende Tory-Partei, die die BBC seit Jahren immer stärker politisch unter Druck setzt und die immer mehr ihrer Parteifreunde in zentralen BBC-Management-Posten platziert hat. Da ist zum einen der Chair, Richard Sharp, der umgerechnet eine halbe Million Euro an die Tories gespendet hat, bevor er den Posten bekam, und Tim Davie, der Generaldirektor, ebenfalls ein Tory-Parteimitglied. Der wiederum hat nun ganz offenbar in vorauseilendem Gehorsam die Entscheidung getroffen, Gary Lineker wegen eines privaten Tweets zu suspendieren.

Und das andere Lager, das sind die vielen Briten, denen das jetzt wirklich zu weit geht, einer YouGov Umfrage zufolge die Mehrheit des Landes. Hinzu kommt, dass diese Krise ja nun richtig eskaliert ist, nachdem sich so gut wie alle BBC-Sportreporter mit Lineker solidarisiert haben und viele BBC-Sportprogramme in der gewohnten Form gar nicht mehr ausgestrahlt werden konnten.

Der Vorwurf der BBC-Spitze lautet, er habe die Neutralitätsregeln verletzt. Hat er?
Darüber kann man lange diskutieren, weil die Neutralitätsregeln der BBC sehr schwammig sind und durchaus unterschiedlich ausgelegt werden können. Grundsätzlich aber ist Lineker ein freier Sportreporter, für den die Neutralitätsregeln der Festangestellten so nicht gelten. Und außerdem hat er seine Kritik auch nicht im Rahmen seiner Arbeit für die BBC gemacht, sondern als Privatmensch auf seinem Twitter-Account.

Ihn dafür von seinem Job zu suspendieren, ist schon deshalb absurd, weil es zig andere Moderatoren der BBC gibt, die noch viel deutlicher politisch Stellung bezogen haben, auf Twitter und anderswo, dafür aber nie auch nur in leisesten Tönen abgemahnt wurden. Der Unterschied war, dass diese Moderatoren die Politik der Regierung unterstützt haben. Man kann es leider einfach nicht anders sagen, aber das BBC-Management hat hier aus Angst vor dem Druck der Regierung einen massiven Fehler gemacht.

Annette Dittert leitet das ARD-Studio in London.

© Promo

Aus Angst vor den Tories?
Ein Fehler, der ironischerweise aber jetzt gerade das offenlegt, was bislang immer stillschweigend geduldet wurde: Nämlich die Tatsache, wie massiv der Einfluss der Tories auf die BBC wirklich ist, und wie massiv die so viel diskutierten Neutralitätsregeln vor allem als Waffe gegen unliebsame Kritiker der Regierung eingesetzt werden. Lineker ist ja nicht der erste Fall dieser Art. Eine ganzes Heer an prominenten Journalisten, Emily Maitlis, Andrew Marr und andere haben in den letzten Jahren das Handtuch geschmissen, weil sie den Druck aus der Regierung nicht mehr ausgehalten haben.

Nun ist der Moderator suspendiert worden. Daraufhin gab es eine breite Solidaritätswelle unter Kollegen und Sportler. „Match of the Day“, die traditionsreiche BBC-Sendung zur Premier League, lief statt 80 nur als Rumpfformat von 20 Minuten. Die BBC hat sich beim Publikum entschuldigt, Generaldirektor Tim Davie versichert, er wolle alles tun, damit Gary Lineker wieder moderieren wird. Wird es so kommen?
Es ist im Moment völlig offen, wie Tim Davie aus diesem selbst gegrabenen Loch wieder herauskommen will. Lineker ist ganz offensichtlich nicht willens, sich für seinen Tweet zu entschuldigen, warum sollte er auch, er ist jetzt für viele, die ihn vorher gar nicht kannten, ein Held. Ein Mann, der das prominent ausgesprochen hat, was viele hier denken, nämlich, dass die britische Regierung unter Premierminister Sunak eine unmenschliche Asylpolitik plant, die gegen alle humanistischen Grundwerte internationaler Abkommen verstößt, und wahrscheinlich deshalb auch gar nicht umgesetzt werden kann.

Und Tim Davie kann seinerseits natürlich auch die Uhr nicht einfach wieder zurückdrehen. Nach dem Motto, das war alles ein Fehler, sorry, und dann ist Lineker plötzlich wieder da, als sei nichts geschehen. Andererseits kann die BBC es sich auch nicht leisten, auch nur eine Woche länger auf ihre prominenten Sportprogramme zu verzichten, insofern habe ich derzeit keine Ahnung, wie das Ganze am Ende ausgeht, aber es ist nicht undenkbar, dass Davie am Ende wegen dieser selbst gemachten Krise zurücktreten muss.

Gary Lineker hat jetzt mehr Zeit für Spaziergänge mit seinem Hund.

© REUTERS/Henry Nicholls

Die linksliberale Öffentlichkeit inklusive Medien wie dem „Guardian“ sieht die BBC am Gängelband der Tory-Regierung, die Konservativen inklusive Medien wie „The Daily Mail“ wiederum sehen den Sender von woken und linkslastigen Journalisten beherrscht. Welche Einschätzung teilen Sie?
Ich verfolge die Debatte hier ja nun seit Jahren, und sehe und höre auch täglich die Programme der BBC. Was man dabei zunehmend deutlich spürt, ist, wie verängstigt viele der Reporter und Moderatoren geworden sind, wenn es um regierungskritische Themen geht. Der Brexit und seine Folgen werden möglichst gar nicht erst thematisiert, und wenn, dann werden oft Fakten ausgelassen oder verzerrt.

Als es kürzlich in einer Talk-Sendung darum ging, dass Boris Johnson immer wieder gelogen hat, ging die Moderatorin panisch dazwischen und rief, das sei aber doch eine sehr heftige Anschuldigung. Was natürlich völliger Blödsinn ist, da ein Großteil der vielen Lügen Johnsons längst klar belegt sind. In diesen prominenten Sendungen der BBC geht es aber immer weniger darum, die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen, was ja die eigentliche Aufgabe eines öffentlich-rechtlichen Senders sein sollte, sondern darum, dem Druck der Regierung möglichst auszuweichen, was automatisch für ganz schlechten Journalismus sorgt, und die Relevanz der BBC zunehmend in Frage stellt.

Untergräbt die BBC ihre eigene Glaubwürdigkeit, wenn der Verdacht aufkommt, sie habe sich dem Druck der Regierung gebeugt? Der BBC-Vorsitzende Richard Sharp soll ja dem damaligen Premierminister Boris Johnson zu einem Kredit von 800.000 Pfund verholfen haben. Dies soll Sharpe geholfen haben, BBC-Vorsitzender zu werden. 
Natürlich untergräbt sie damit ihre Glaubwürdigkeit, das ist ja das eigentlich Schlimme an der Art und Weise, wie die Tories die BBC zermürben. Es funktioniert. Denn vor allem diejenigen, die im Prinzip immer hinter der BBC standen, also die linksliberale und alte konservative Mitte des Landes, die wenden sich immer stärker ab von einem Sender, der sich nicht mehr frei bewegen kann. Und der Fall Richard Sharp setzt dem Ganzen die Krone auf.

Seit Wochen wird wegen des Kredits, den er für Johnson organisiert hat, gegen ihn ermittelt, und er denkt noch nicht einmal daran, zumindest für die Zeit der Ermittlungen von seinem Posten zurückzutreten. Das schafft auch jede Menge Frust bei den Mitarbeitern der BBC, die sich zunehmend unwohl fühlen, in einem Sender, in dem die Regeln, die für sie gelten sollen, nämlich strikte Neutralität, nicht für das Management gelten, vor allem dann nicht, wenn sie der ‚richtigen‘ Partei angehören.

Die Konservativen setzen der BBC seit längerem zu. Die Rundfunkgebühren wurden eingefroren, am Ende könnte deren Abschaffung stehen. Ist diese britische Institution im Kern gefährdet?
Da bin ich immer noch optimistisch, die BBC hat schon so manch eine Krise überlegt. Aber das, was hier jetzt gerade geschieht, ist ohne Zweifel wirklich ernst. Das Ganze könnte aber auch dazu führen, dass der nun bloßgelegte rücksichtslose Einfluss der Regierung zurückgenommen werden muss. Das muss man jetzt abwarten. Und dann sieht es zumindest derzeit so aus, als würden die Tories bei der nächsten Wahl in ca. anderthalb Jahren ganz klar abgewählt. Mit einer Labour-Partei in der Downing Street dürfte das Leben für die BBC dann wieder deutlich leichter werden. Sollten die Tories die nächste Wahl allerdings doch wieder gewinnen, dann würde ich nicht ausschließen, dass es die BBC danach in ihrer jetzigen Form nicht mehr lange geben wird.

Das schafft auch jede Menge Frust bei den Mitarbeitern der BBC, die sich zunehmend unwohl fühlen

Annette Dittert

Tory-Innenministerin Suella Braverman hat den Gesetzentwurf vorgelegt, der irregulär eingereisten Menschen das Recht auf Asyl verwehren soll. Auch mit dem Argument, es gebe eine „Invasion“ von Bootsflüchtlingen. Was sagen die Zahlen, wie viele Menschen nimmt Großbritannien im Jahr auf?
Eben deutlich weniger als andere europäische Länder. Auf der Liste der europäischen Länder rangiert Großbritannien ziemlich weit hinten, auf Platz 19, Deutschland im Vergleich auf Platz 9. Das war ja auch einer der Punkte in Linekers Tweet, dass er genau darauf hingewiesen hat, was Sunak und seine Innenministerin eben besonders ärgert, da ihre ganze Strategie darauf besteht, den Briten zu suggerieren, sie seien von einer Invasion bedroht, die die ganze Insel überfremden könnte. Braverman sprach sogar von Milliarden, die nach GB drängen könnten. Wirklich gefährlicher Unsinn, der die eigentlich traditionell tolerante britische Gesellschaft auf diese Weise versucht, in Angst zu versetzen.“

In Deutschland ist der Eindruck entstanden, die britische Gesellschaft sei mittlerweile so gespalten wie die amerikanische. Täuscht der Eindruck?
Ganz so schlimm ist es noch nicht, aber das, was die Tory-Partei hier derzeit versucht, geht in die Richtung. Kulturkampf und fremdenfeindliche Stereotypen sollen die Gesellschaft spalten und von den Eingriffen in die demokratischen Grundrechte ablenken. Die große Frage ist nun, wie weit die britische Gesellschaft das mitmacht. Die Solidarisierung mit Gary Lineker, der genau das angeprangert hat, lässt da aber jetzt schon hoffen, dass es in GB nicht ganz so radikal kippen könnte wie in den USA.  Ich bleibe auch da erstmal vorsichtig optimistisch.

Halten Sie einen derartigen Vorgang auch in Deutschland für möglich?
Nein, ein derart direkter Zugriff auf die Chefetagen von ARD oder ZDF ist in Deutschland nicht möglich. Das liegt vor allem daran, dass - ausgerechnet- die Briten gemeinsam mit den Amerikanern nach dem Zweiten Weltkrieg dafür gesorgt haben, dass kein öffentlich-rechtlicher Sender in Deutschland jemals wieder direkt einer nationalen Regierung unterstellt sein darf.

Dadurch haben wir vor allem bei der ARD das föderale System, das natürlich auch Nachteile hat, aber vor einem solch direkten Zugriff einer Regierung sind wir dadurch geschützt. Leider haben die Briten eine solche Absicherung damals zu Hause für nicht nötig gehalten. Die BBC ist, was Finanzierung und Programm angeht, weiter direkt dem Kulturministerium und damit der Regierung unterstellt, die im Prinzip mit dem Sender weitestgehend machen kann, was es will. Wie wir jetzt gerade sehen.

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