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Inspiriert vom Jazz: Der Siebdruck „Le lanceur de couteaux“ (Der Messerwerfer) von Henri Matisse, 1947.

© bpk, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, Jörg P. Anders

Ausstellung im Kupferstichkabinett: Mit den Augen hören

In der Sommerausstellung „Wir geben den Ton an“ zeigt das Berliner Kupferstichkabinett Musikalisches auf Papier, von Mantegna bis Damian Hirst.

Kann man Musik malen? Natürlich nicht, sie ist ein Luftgeist, existiert immer nur im Augenblick, als Klang. Alle Versuche, sie anders denn akustisch einzufangen, bleiben auf dem Weg zu einem Ziel stecken, das sie nie ganz erreichen kann. Wie bei Morgan O’Hara, die in der Serie „Live Transmissions“ (2014) die Bewegungen des Flötisten Roy Amotz auf Papier mitgezeichnet hat, während er Luciano Berios „Sequenza“ spielte: ein Knäuel aus Linien ähnlich den Ausschlägen des Seismografen während eines Erdbebens, ein Spiel mit der Illusion, Musik könne beim Blick aufs Papier hörbar werden. Zu sehen ist das Werk neben rund hundert anderen in der Sommerausstellung des Berliner Kupferstichkabinetts mit dem schönen Titel „Wir geben den Ton an“.

Die Ausstellung widmet sich dem Thema Musik in der Kunst auf Papier, als Lithografie, Kupferstich, Radierung, Holzschnitt oder Siebdruck und reklamiert damit zu Recht eine gewisse Logik für sich, denn gerade das Material Papier ist häufig die erste Heimat für den künstlerischen Impuls, sei er zeichnerisch oder musikalisch. Dominiert wird die Ausstellung von gegenständlicher Kunst, von Musikerporträts, allegorischen Illustrationen oder Szenen aus dem Konzertsaal. Auf einer aufgeschlagenen Buchseite prunkt eine prachtvoll ausgemalte Initiale B in Gold auf blauem Untergrund, im oberen Bogen des Buchstabens zeigt sie die Krönung Marias, im unteren den harfespielenden David. Ein unbekannter Künstler hat um 1230 den biblischen Text – leider erfährt man nicht, um welche Passage es sich handelt – mit dieser herrlichen Malerei illustriert.

Werke, in denen der Klang selbst zum Bild wird

Mythos, Melodie, Märchen: Sie besitzen nicht nur wegen der Alliteration eine starke Affinität zueinander. Orpheus war der berühmteste Musiker der griechischen Mythologie, Benedetto Montagna zeigt ihn in einem Kupferstich von 1510 sinnend unter einem Baum. Daneben lässt Andrea Mantegna wohlbeleibte, Flöte spielende Silen um ihren Gott Bacchus tanzen. Die Ausstellungsmacher haben eine Parallele entdeckt zwischen der musikalischen Etüde, der Übung, und dem Skizzenhaften, dem Flüchtigen und Ausprobierenwollen, die für Kunst auf Papier typisch ist. Adolph Menzel etwa hat sein berühmtestes Gemälde, das „Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci“, mit mehreren Studien vorbereitet. Zwei Kreidezeichnungen zeigen den in sein Spiel versunkenen Monarchen und eine Rückenansicht des klavierspielenden Carl Philipp Emanuel Bach.

Am überzeugendsten ist die Ausstellung dort, wo sie sich der Musik nicht über die Umwege Allegorie, Porträt oder Karikatur nähert, sondern Werke präsentiert, in denen der Klang selbst zum Bild wird: In dem großformatigen, titellosen Siebdruck aus Horst Bartnigs „Graphischen Etüden“ (1982) etwa oder in „Black Listens to Red“ (1999) von Rolf Julius, den beiden größten und auffälligsten Werken der Ausstellung. Sie spielen mit Abfolge und Variation und reproduzieren dabei musikalische Muster.

Eine Studie von Giovanni da Udine zu verschiedenen Musikinstrumenten, 1514-1515.

© bpk, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, Jörg P. Anders

Henri Matisse ist mit dem farbenfröhlichen „Le lanceur de couteaux“ (Der Messerwerfer) vertreten. Der spontane Gestus dieses Schablonendrucks ist vom Jazz inspiriert, Damien Hirst fängt in der Radierung „My Way“ (2002) die charakteristische konzentrische Ausdehnung von Schallwellen ein, und auch Wassily Kandinsky scheint 1911 in „Drei Reiter in Rot, Blau und Schwarz“ eine ganze Komposition aus Farben und Linien aufs Papier gebracht zu haben.

Punkt und Linie: Diese Grundelemente sind grafischer Kunst und Musik gemeinsam. So kann auch die Notenschrift selbst Gegenstand künstlerischer Ausformung werden, besonders prachtvoll im Mittelalter, wie ein Stundengebetsbuch aus dem Veneto zeigt, in dem die Töne mit schwindelerregender Sorgfalt und Schönheit auf die Linien gesetzt sind und die Initiale V (von „Valde Honorandus est“) zusätzlich mit dem Porträt des Evangelisten Johannes verziert wurde. Nebenbei erfährt man, dass die erste Lithografie überhaupt ein Notenblatt war. Es hängt ganz unscheinbar gleich daneben: Der „Feldmarsch der Churpfalz-bayrischen Truppen“, von Alois Senefelder 1796 komponiert und sogleich vervielfältigt.

Musik besteht auch aus Pausen, aus Stille

Eine eigene, berührende Sektion ist der Tatsache gewidmet, dass Musik nicht immer „schön“ klingt, dass sie Schmerz bereiten und voller Dissonanzen sein kann. Das kalte Grausen packt einen beim Anblick von Dürers Holzschnitt „Die sieben Posaunenengel“, in dem Musik ein Mittel ist, die Apokalypse auf Erden anzukündigen. Eher Mitleid empfindet man mit den „Musikanten, im Sturm wandernd“ (1837), eine Radierung von Adolph Schroedter, die ahnen lässt, was der peitschende Regen jeden Moment mit den ungeschützten, zerbrechlichen Instrumenten anstellen wird.

Dass Musik auch aus Pausen besteht, aus Stille, wird oft vergessen. Adolph Menzel zeichnet Konzertbesucher, das Bein lässig auf der Brüstung ausgestreckt und doch konzentriert zuhörend. Edvard Munch fängt in einer Kreidelithografie von 1903 die englische Geigerin Evangeline Muddock und ihre Lebenspartnerin, die Pianistin Bella Edvard, in einem intimen, zerbrechlichen Augenblick ein: Muddock hat die Geige abgesetzt und blickt ihre Partnerin an. Unterbrechen sie das Konzert nur für einen Moment, oder ist der letzte Ton bereits verklungen? Die Stille ist tatsächlich zu sehen.

Versunken im Klang. Studie zu Adolph von Menzels Gemälde „Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci“, um 1852.

© bpk, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, Jörg P. Anders

Das Kupferstichkabinett, sich selbstironisch als „Kammermusiksaal der Berliner Museen“ bezeichnend, setzt mit „Wir geben den Ton an“ seine Serie von Sommerausstellungen fort, die wie „Wir gehen baden“ oder „Wir suchen das Weite“ populäre Themen auf unterhaltsame Weise aufbereiten wollen. Das gelingt, wenn auch die thematischen Grenzen im Raum nicht immer genau gesetzt sind – und der Besucher Mühe hat zu erkennen, welcher Sektion ein bestimmtes Werk zugeordnet sein soll. Was aber auch ein Vorteil sein kann, es weitet den Blick für die überwältigende Detailfülle. Für die es auch genug Platz gibt, denn da die Exponate meist kleinformatig sind, kommt die Ausstellung ohne große Leuchtturm-Objekte aus, die die Aufmerksamkeit ablenken. Nein, Musik kann nicht gezeichnet werden. Trotzdem macht es Spaß, sie zu betrachten.

Kulturforum, bis 5. November. Di, Mi, Fr 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr, Sa+So 11-18 Uhr

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