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Umsonst & draußen. Eine bunte Menge genießt den Sommerabend im Brooklyn Bridge Park.

© Etienne Frossard

Ausstellung in der Akademie der Künste: Hier bin ich Mensch

Herzkammer der Gesellschaft: Die Ausstellung „Demopolis“ in der Akademie der Künste erforscht den öffentlichen Raum, ob physisch oder virtuell.

2010 wurde bei den Protesten gegen den milliardenteuren Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs die Figur des „Wutbürgers“ geboren. Dass aus der Mitte des Honoratioren-Bürgertums ausdrücklich Widerstand gegen die Staatsmacht geleistet wurde, war in solcher Schärfe ein neues Phänomen.

Der Protest von Stuttgart machte schlagartig deutlich, dass der „öffentliche Raum“ sich nicht in Flanierzonen oder Marktständen erschöpft. Das ist lediglich sein Ruhezustand, den die Artikulation von Forderungen und Protesten mit einem Mal zur Herzkammer einer Gesellschaft verdichtet. Das geschieht, wie man sieht und weiß, nicht ohne Konflikte. „Das Recht des Einzelnen auf öffentlichen Raum und auf Schutz dieses Raums als interessenfreie Zone“ sei „bedroht und offensichtlich ständig neu zu verhandeln“, heißt es im Vorwort des Katalogs zur Ausstellung „Demopolis“. Mit ihr wagt sich die Akademie der Künste auf ein schwieriges Terrain, wollen die Kuratoren um Wilfried Wang und Barbara Hoidn doch nicht nur den physischen Raum, sondern auch den virtuellen des Internets auf seine jeweilige Tauglichkeit und Gefährdung als öffentliche Sphäre hin untersuchen.

Jeder kann teilnehmen, Gleichgesinnte finden, womöglich sogar steuern

Der Vergleich von physischem und virtuellem Raum überrascht zunächst, zumal wenn er von Architekten und Stadtplanern wie Wang und Hoidn unternommen wird. Doch natürlich, die ungebremste Veröffentlichung privater Meinungen, Ansichten und Bilder im Internet über soziale Netzwerke konstituiert einen öffentlichen Raum. Da kann jedermann teilnehmen, kann Gleichgesinnte finden, beeinflussen und womöglich sogar steuern. All das kennzeichnete im vor-elektronischen Zeitalter den physischen Raum der zumeist als Platz bezeichneten Areale inmitten bebauter Gebiete, idealerweise in der Mitte einer Stadt.

Dass dies keine notwendige Bedingung darstellt, zeigt exemplarisch das Tempelhofer Feld, das nach jahrzehntelanger Abschottung als Flugplatz plötzlich zum öffentlichen Raum und als solcher gegen die technokratischen Pläne einer ihren Bürgern entfremdeten Stadtregierung verteidigt wurde. Die bewusste Aneignung eines Areals ist ein Merkmal öffentlicher Räume. Umgekehrt verrät sich deren Privatisierung dadurch, dass bürgerschaftliche Aneignung untersagt und unterbunden wird. Beispielhaft geschieht das bei Malls und Plazas, die öffentlichen Raum als Versammlungsstätte der Bürger bloß simulieren, um stattdessen zu pausenlosem Konsum zu nötigen.

Das Beispiel des Tempelhofer Feldes findet in den Ausstellungshallen der Berliner Akademie am Hanseatenweg seinen Platz, wie auch – zum Missfallen mancher Besucher – die Planungen zum Alexanderplatz als Freifläche inmitten einer Ansammlung sehr ähnlicher Hochhäuser. Kontrastierend dazu die Ackerstraße zwischen Mitte und Wedding, die – historische Fotos belegen es – einmal eine sehr fußgängerbelebte, eben öffentliche Straße war, bei der zudem die anliegenden Mietskasernen in ihren tristen Hinterhöfen öffentliche Räume ausbildeten. Nun beschränkt sich die Ausstellung nicht auf Berlin, sondern zieht Beispiele aus aller Welt heran; dies jedoch unsystematisch und weder nach Chronologie noch Typologie geordnet. Was hat Norman Fosters Entwurf für den Umbau des Trafalgar Square in London – eine regelrechte Rückeroberung von missbrauchtem Stadtraum – mit dem „Raumordnungsplan für die Küste Galiziens“ zu tun? Wieso das Stadtzentrum des portugiesischen Städtchens Guimarães, aber keiner der Sehnsuchtsorte Italiens, dieser Urheimat öffentlicher und bürgerlich genutzter Plätze?

Möge sich der Besucher bedienen, wo es ihm passt. Erst der Katalog – leider reichlich teuer, wie man hört aufgrund der Ablehnung eines angemessenen Druckkostenzuschusses – schafft eine gewisse Ordnung. Da versteht man dann, warum die durchkomponierte Flusslandschaft von Ljubljana durch den slowenischen Nationalarchitekten Joze Plecnik (ab 1930) als Beispiel für „Szenografie“ gewählt wurde und der noch nicht ganz fertige Brooklyn Bridge Park von Michael van Valkenburgh Associates mit seinen zahlreichen Sportanlagen als solches für „Substantielle Gestaltung“. Freilich, mit sage und schreibe 400 Millionen Dollar Baukosten und einem Unterhalt von 15 Millionen Dollar jährlich taugt die 34 Hektar messende Anlage kaum als Vorbild für weniger begüterte Städte, jedoch mit ähnlichen Problemen hinsichtlich der Integration unterschiedlichster Ethnien und sozialer Gruppen.

Die Nutzung der Stadt wird "kinderleicht" gemacht

Wie verhält sich nun der virtuelle Raum zu derartigen physischen, von den menschlichen Sinnen noch unmittelbar wahrnehmbaren Räumen? Einen wichtigen Hinweis gibt der Katalogbeitrag von Barbara Hoidn, die übrigens lange Jahre das Büro von Senatsbaudirektor Hans Stimmann leitete. Als „Gegenleistung“ für die Investitionen in Vorzeigeparks wie die High Line in Manhattan oder die Landschaftsparks der IBA im Ruhr-Emscher-Gebiet würden solche Areale mit Internetzugang ausgestattet, für „schnellere Verbindung zu den passenden Apps, die die Nutzung der Stadt und ihrer kommerziellen Angebote kinderleicht“ machten. Der angelsächsische Autor Andrew Keen geißelt die Entfremdung und Vereinzelung durch das Internet im Zuge der „zunehmend radikalisierten Individualisierung“ seiner Nutzer. Ein Maschinenstürmer ist Andrew Keen gleichwohl nicht, und für ihn führt kein Weg hinter das Netz zurück in die alte „analoge“ Welt. Es geht ihm vielmehr um die Wiedergewinnung des ursprünglich als öffentlich und unkontrolliert gedachten Netzes.

Architektonische und künstlerische Interventionen in den öffentlichen Raum ergänzen und überlagern sich. Da fransen Ausstellung und Katalog gegen Ende hin aus. Der Geniestreich der 80 Straßenschilder im Bayerischen Viertel zur Erinnerung an Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Mitbürger von Renata Stih und Frieder Schnock aus dem Jahr 1993 findet keinen gleichrangigen Nachfolger, und die Vorschläge von Studierenden der „Jungen Akademie“ in der Ausstellung bewegen sich auf dem erwartbaren Niveau spielerischer und eigensinniger Einfälle.

Manchmal genügt eine Maßnahme des örtlichen Bauamtes, um wie in Wismar aus einem als KfZ-Stellfläche missbrauchten Marktplatz als Herz des mittelalterlichen Stadtgrundrisses wieder einen öffentlichen Raum zu machen, der, wie es in der behördlichen Erläuterung rundheraus heißt, „den Menschen und seine Aktivitäten in den Mittelpunkt stellt“. Genau das kennzeichnet den öffentlichen Raum. „Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!“, heißt es dazu bei Goethe. Mehr kann man nicht verlangen.

Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, bis 29. Mai. Katalog bei Park Books, 48 €. Umfangreiches Veranstaltungsprogramm unter www.adk.de/demopolis

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