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Mitarbeiter von Radio Free Europe sortieren 1960 Hörerpost.

© Münchner Stadtmuseum

Ausstellung zu Radio Free Europe: Bomben gegen Radiowellen

Eine Münchener Ausstellung erzählt die Geschichte von Radio Free Europe. Der Sender wurde im Kalten Krieg gegründet, um westliche Informationen in Osteuropa zu verbreiten. Heute sendet er verstärkt auf Ukrainisch.

Der Wimpel einer Baseball-Mannschaft, ein Tonband und ein wuchtiges Mikrofon aus poliertem Metall: Die Objekte in der Ausstellung „Stimmen aus München im Kalten Krieg“ wirken denkbar unpolitisch, sind es aber nicht. Sie gehörten Angehörigen von Radio Free Europe (RFE), das von 1950 bis 1995 an der Isar auf Sendung war.

Anders als die Antennen anderer amerikanisch geprägter Sender, etwa des Berliner RIAS oder des Militärsenders AFN, waren die der Sendeanlage auf dem ehemaligen Flughafen Oberschleißheim nicht nach Deutschland ausgerichtet, sondern nach Osteuropa.

Wie das klang, kann man in der Schau, in der das Münchner Stadtmuseum und das dortige Jüdische Museum an die Geschichte des Senders erinnern, in einer Soundinstallation hören: Louis Armstrong grüßt dort in seinem unverwechselbaren Bass seine Fans – in der Tschechoslowakei. Was vordergründig wie Radiounterhaltung klingt, war tatsächlich eine Waffe im Propagandakrieg.

RFE bot ein Vollprogramm mit Politik, Sport und Kultur, das aber gezielt die Zensur jenseits des Eisernen Vorhangs durchbrach. Neben den Radiowellen schickte man Ballons mit Flugblättern in den Westwind und platzierte auch mal Fake News, die im Informationskrieg auf beiden Seiten als legitimes Mittel galten.

Die Broschüre „Why Radio Free Europe“, 1970 herausgegeben von Radio Free Europe.

© Münchner Stadtmuseum

Ebenso wie Radio Liberty unterstand RFE dem 1949 gegründeten Free Europe-Komitee, einer nachrichtendienstlichen Tarnorganisation des amerikanischen Außenministeriums. Die Sender waren sein wichtigste Projekt: Rund 1400 Mitarbeitende aus 40 Nationen produzierten Programme in 20 Sprachen. Allein in die Sowjetunion wurde in 15 Sprachen gesendet.

Zwar kam das Geld von der CIA, doch saßen vor allem Dissidenten am Mikrofon, die auf oft dramatische Weise in die Bundesrepublik geflüchtet waren. Ein ehemaliger Mitarbeiter erinnert sich in einem Ausstellungsvideo daran, wie er mit einer Gruppe nachts durch einen Grenzfluss schwamm, als plötzlich Schüsse fielen. Am westlichen Ufer angekommen, fehlten drei der Flüchtenden. Über Auffanglager gelangte er zum multinationalen Radioteam.

Mikrofon von Radio Free Europe, um 1960.

© Münchner Stadtmuseum

Dessen Mitarbeitende genossen im zerbombten Nachkriegsdeutschland seltene Privilegien: einen Tempel für russisch-orthodoxen Migrierte, die Munich Elementary School und eine Junior High School. „Little America“ wurde die Siedlung am Perlacher Forst daher genannt. Etienne Bellay erzählt im Rahmen des Projekts „Nachkriegszeit und Migration in München“, dessen Auftakt die Ausstellung ist, wie er dort aufwuchs: Als Kind eines Dissidenten aus der ČSSR über Paris nach München geflohen, amerikanisierte er sich mitten in Bayern - mit T-Shirt, Blue Jeans und Rock’n’Roll-Turnieren im Zirkus Krone.

Solche Lebensgeschichten füllen nun auch Graphic Novels, für die Ausstellung gezeichnet von Studierenden der Ulmer Hochschule für Gestaltung.

Doch das privilegierte Leben in der amerikanischen Enklave hatte einen hohen Preis, denn der Kalte Ätherkrieg wurde immer wieder heiß. Auch auf der Gegenseite mobilisierte man enorme Summen: für Störsender und aggressivere Mittel. Eines Tages waren die Salzstreuer in der RFE-Cafeteria mit Gift gefüllt.

Mehrere Mitarbeitende starben unter mysteriösen Umständen, ein Bulgare durch eine vergiftete Regenschirmspitze à la James Bond. Im Februar 1981 detonierte im Radiogebäude am Englischen Garten eine 20-Kilo-Bombe des rumänischen Geheimdienstes Securitate, zerstörte das Gebäude und verletzte drei Tschechen schwer.

Und auch im Innern von RFE hatte die Gegenseite ihre Leute platziert. Im Videointerview berichtet die in Riga geborene Eta Katz, wie sie in Deutschland den Russen Oleg Tumanov heiratete, der für RFE arbeitete, sich ihr aber alsbald als KGB-Agent offenbarte. Um der Enttarnung zu entgehen, floh er 1986 nach Moskau – und ließ seine Frau ohne Warnung zurück.

Die Schülerband The Peasants bei Aufnahmen im Radiosender, um 1965.

© Radio Free Europe / Radio Liberty

Noch immer sichtlich erschüttert berichtet sie, wie Tumanov sich vor sowjetischen Fernsehkameras selbst enttarnte und als Spionageheld feiern ließ. Eta brachte das fünf Jahre auf Bewährung und ein halbes im Frauengefängnis ein. Als sie Anfang der Neunziger nach Moskau ging, erwartete sie statt eines Ruhmesordens die Obdachlosigkeit.

Geschehnisse, die man noch vor kurzem für kalten Kaffee aus der Epoche des Kalten Krieges hätte halten können. Doch RFE ist längst noch nicht Vergangenheit. Seit 1995 in Prag stationiert, sendet das Radio noch immer in 25 Sprachen, seit dem russischen Angriff auf die Ukraine von 2014 unter dem Namen Radio Swoboda auch verstärkt auf Ukrainisch.

Auch auf Youtube berichten RFE-Reporter derzeit von der Front. Und noch immer ist der Preis hoch: In der Nacht zum 29. April vergangenen Jahres wurde die RFE-Journalistin Vira Hyrych in Kiew bei einem russischen Bombenangriff getötet. Für manche bedeuten solche Nachrichten die Wiederkehr des Kalten Krieges. Für die Radioschaffenden von Radio Free Europe war er nie vorbei.

Bodo Mrozek ist Historiker am Berliner Kolleg Kalter Krieg des Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ).

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