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Nicht hoch, aber nadelspitz. David Lama kämpft mit dem Cerro Torre.

© redbull

Bergfilm: Das Wie entscheidet

Der Extremkletterer David Lama erklimmt einen der schwierigsten Gipfel der Welt: „Cerro Torre“.

Es ist der Fluch des Cerro Torre, dass sich an ihm alles wiederholt. Betrug und Selbstbetrug und der Wunsch der Wiedergutmachung. Dabei ist der Berg im Süden Patagoniens an der argentinisch-chilenischen Grenze – mit 3128 Metern nicht einmal sonderlich hoch, aber spitz und schrecklich wie eine Nadel – von jeher Ziel der extremen Charaktere. Jedes Jahr öffnet sich ein tückisch schmales Wetterfenster für den, der ihn erklimmen will. Viele Typen mit Egokomplex hat der Berg auf diese Weise zermürbt.

Aber es selbst über die glatten, grifflosen Wände hinaufzuschaffen, bedeutet noch lange nicht, es geschafft zu haben. Cesare Maestri musste zweimal hinauf. Er war 1959 der Erste auf dem Gipfel, Beweise hatte er nicht, so erzwang er den Triumph elf Jahre später erneut, diesmal mit Gewalt über die so genannte Kompressorroute. 360 Haken trieb er in den Fels und hangelte sich so an ihm hoch.

Nun ist der „unmögliche Berg“ das Schicksal von David Lama geworden. Der Kletterer gilt als das neue Wunderkind der Szene. Im Himalaja und in den Alpen aufgewachsen, Sohn eines Sherpas und einer Österreicherin, unendlich begabt und willensstark. Mit 19 Jahren ist er der beste Wettkampfkletterer der Welt, das Leben in der Senkrechten ist für ihn ein Hallensport. Über alpine Erfahrungen verfügt Lama kaum. Da bricht er 2009 ausgerechnet zu dem für viele seines Kalibers am meisten frustrierenden Berg auf, zum Cerro Torre. Er will den Erfolg, wie, ist ihm egal. Nach seinem Meisterstück 2011 hat er plötzlich ein Imageproblem.

Eine Seillänge unterhalb des Ziels hatte er sich an den berüchtigten Kompressor geklammert, den Maestri dort 1970 zurückgelassen hatte und der seither als Mahnmal eines falschen Ehrgeizes in der 1500 Meter hohen Wand rostet. Maestri hatte sich den Weg nach oben mit Pressluftbohrern gewissermaßen „freigeschossen“. Und auch Lama hat versagt.

So kommt es zu der – auch für die Filmhandlung – eigentümlichen Situation, dass Lama ein Jahr darauf die Route, die er schon gemeistert hatte, noch einmal durchsteigt, diesmal aber richtig, im „freien Stil“. So nennt man es, wenn auf äußerliche Hilfsmittel verzichtet wird. Warum tut er sich das an? Und für wen sonst? War er es sich selbst schuldig oder dem Sponsor Red Bull, der die bessere Geschichte vermarkten will?

Schon Werner Herzogs „Schrei aus Stein“ von 1991 kannte den Kletterertypus des Freeclimbers, damals verkörpert von dem athletisch-jungen Stephan Glowacz. Der strebte ebenfalls aus der Wettkampf-Arena der Hallenkletterer in die wilde Natur. Aus dieser Hybris entwickelte Herzog am Cerro Torre das fiktive Duell zweier Alpingenerationen, Glowacz gegen Maestri. Was kann Regisseur Thomas Dinshofer mit seiner Dokumentation da noch wollen?

Vielleicht ist es an der Zeit, über den Bergfilm nachzudenken. Jetzt, da mit „Cerro Torre – Nicht den Hauch einer Chance“ eine weitere von Red Bull finanzierte Kletter-Dokumentation ins Kino kommt. Es wird so weitergehen.

Früher erzählten Bergsteigerfilme von dem Drama, einen Gipfel zu erreichen. Und der Kletterer war automatisch ein Held, wenn er oben angelangt war. Um Gipfel geht es heute nicht mehr, sondern um etwas höheres: Moral. Man muss auf die richtige Weise oben ankommen. Welches die richtige ist, hat die Szene der Extremkletterer in den vergangenen 40 Jahren seit Erfindung der so genannten Rotpunkt-Routen, die ohne technische Hilfsmittel durchstiegen werden müssen, exakt definiert. Es ist ein strenges Regime der Freiheit.

David Lama weiß davon nichts, als er sich nach Patagonien begibt. Man sieht ihn in  „Cerro Torre – Nicht den Hauch einer Chance“ von einem Hubschrauber umkreist den glatten Fels hinaufstreben, begleitet  von seinem Seilpartner Peter Ortner. Atemberaubend, die Blickwinkel, die Tiefe, der kleine Mensch. Dirnhofer lässt Besserwisser wie den Amerikaner Jim Bridwell zu Wort kommen, die das Unternehmen abermals als „unmöglich“ abtun. Als glaubte heute wirklich noch jemand, dass irgendetwas nicht machbar wäre. Und die Kamera ist dabei, wenn Lama und Ortner morgens verkatert aus einem Bierrausch erwachen und beinahe die einzige Schönwetterperiode verpassen.

Bis dahin ist es das Porträt eines Jungstars, dessen Kühnheit ganz vortrefflich zum Red-Bull-Spirit passt. Aber Lamas Leistung ist keine, solange sie nicht den ethischen Maßstäben der sauberen Höchstleistung entspricht.

Als die Häme der Kletterwelt über den Jungen hereinbricht, lernt er die Grenzen kennen, die sich das Extremklettern gesetzt hat. Und plötzlich geht es in „Cerro Torre“ gar nicht mehr um den Berg und was er einem, der auf ihn hinauf will, bedeutet. Sondern um einen ethischen Rigorismus, dem sich unterwirft, wer zu den Besten zählen will. Und um einen naiven Helden, der aus seinen Fehlern lernt.

Das hat David Lama auch tatsächlich getan. Im vergangenen Jahr reiste er ins Karakorum, um seinen ersten Siebentausender zu machen. Wieder waren Kameras dabei, an Drohnen montiert. Es ist ja auch wirklich kein Spaß, an einem so zivilisationsfernen Ort wie einer Steilwand über sich ständig das Knattern des Hubschraubers zu hören.

Central, Cinemaxx, Cubix, Cinestar Hellersdorf, FaF, Kant, Kulturbrauerei; OV (englisch untertitelt) im Cinestar SonyCenter und im Neuen Off

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