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Theater: Der verlorene Klang der Seele

Füreinander bestimmt: Dramatikerin Dea Loher und Regisseur Andreas Kriegenburg über die Berliner Uraufführung der "Diebe".

Von Sandra Luzina

Dea Loher macht es sich nicht leicht beim Schreiben. Wo andere Dramatiker bedenkenlos fremde Biografien plündern, da fragt sie voller Skrupel, ob sie ein „Schreibrecht“ habe – was für sie ein ästhetisches und moralisches Problem darstellt. Die Autorin macht es auch Regisseuren nicht leicht. Ihre schmerzhafte Weltwahrnehmung hat sie bis an die Grenzen des Dramatischen geführt. Ihre Figuren, körperlich und seelisch Versehrte, bewegen sich am Rande des Verstummens.

Die in Traunstein geborene Dramatikerin zählt zu den wichtigsten Stimmen der deutschen Gegenwartsdramatik. Zuletzt wurde sie mit Preisen überschüttet. Für „Das letzte Feuer“ erhielt sie 2008 den Mülheimer Dramatikerpreis. Das Stück wurde zudem von der Kritiker-Jury der Fachzeitschrift Theater Heute zum Stück des Jahres gewählt. 2009 bekam Loher den Berliner Literaturpreis und den Marieluise-Fleißer-Preis.

Seit zwanzig Jahren lebt die Autorin in Berlin, hier hat sie Szenisches Schreiben bei Heiner Müller studiert. Komisch nur, dass sich bislang keine der großen Bühnen in der Hauptstadt an eine Uraufführung gewagt hat. Mit Ulrich Khuon leitet nun ein langjähriger Förderer von Dea Loher das Deutsche Theater. Eine seiner ersten Taten war es, ein Stück in Auftrag zu geben. „Diebe“ hat am 15. Januar Premiere, mit der Inszenierung wurde Andreas Kriegenburg betraut.

Loher und Kriegenburg verbindet eine intensive Zusammenarbeit, ja Künstlerfreundschaft. Der breitschultrige Regisseur wirkt wie ein großer Bruder, der in die Bresche springt, um die scheue Autorin zu beschützen – auch vor aufdringlichen Fragen von Journalisten. Loher spricht leise, wägt jedes Wort ab. „Ich brauche einen Rückzugsort zum Schreiben“, betont sie. Doch man darf sich nicht täuschen lassen von ihrer fragilen Erscheinung. Bei ihr paart sich das Empfindsame mit Kompromisslosigkeit.

Kriegenburg sieht Lohers Stücke als Aufforderung, nach neuen Spiel- und Erzählmöglichkeiten zu suchen. „Nicht nur die Sprache, sondern auch die Intensität der Beschreibung von Welt hat sich verändert. Deas Stücke werden inhaltlich immer konzentrierter, entziehen sich immer weiter bestimmten dramatischen Konventionen, verweigern auch immer mehr die Imagination eines bestimmten Ortes. Die Figuren haben eine hohe Realität. Sie haben eine hohe biografische Intensität, aber man weiß nicht, wo sie leben. Es gibt nur das Angebot dieser sehr berührenden Existenzen.“

Beim Gespräch im Reinhardt-Zimmer des DT spielen die beiden sich die Bälle zu, sind sie Komplizen, die einander fordern und vertrauen. Der Regisseur erlöse ihre Sprache in die Körperlichkeit der Schauspieler hinein, schwärmt Loher. Dank Kriegenburg und seiner extremen szenischen Fantasie müsse sie ihren Text nicht so „anschmiegsam für die Bühne schreiben“. „So kann ich mich radikaler machen und Texte schreiben, von denen ich selber nicht weiß, wie man sie spielen soll.“ Sie wisse allerdings genau, wie der Text klingt. „Für mich ist das eher eine Partitur als ein Film.“

Von Dea Lohers Sprache war Kriegenburg sofort angetan. Eine Sprache, die knapp und hart ist, von einer kühlen Genauigkeit – und dabei sinnlich und hoch musikalisch. „Ich bin davon überzeugt, dass es eine sehr eigene Weise gibt, einen Text von Dea zu sprechen. Man muss aber einen bestimmten Klang zulassen, pathetisch gesagt: den Klang der Seele.“

„Das letzte Feuer“ war der vorläufige Höhepunkt ihrer Zusammenarbeit – nicht nur die Autorin räumte ab, auch Kriegenburg wurde für seine Inszenierung am Hamburger Thalia-Theater mit dem Faust-Theaterpreis 2008 ausgezeichnet. Das neue Stück „Diebe“ versammelt wieder Unglücksraben unterschiedlicher Couleur, Verlorene zu einem Gesellschaftsbild. Doch es steuert nicht auf einen Katastrophenwirbel zu wie „Das letzte Feuer“. Es schwingt sogar ein schnoddriger Witz mit. „Ich habe versucht, einen neuen Weg oder eine andere Abzweigung zu beschreiten, weil ich wusste, dass ich mit ,Feuer’ definitiv an eine Grenze gestoßen bin. Noch radikaler oder schmerzhafter kann ich nicht werden. Und dann hatte ich auch eine Sehnsucht danach, ein paar Schritte rückwärtszugehen und etwas Heitereres zu finden“, erklärt Dea Loher. Dass das neue Stück heiterer sei – das gilt bei dieser Autorin natürlich nur relativ. Doch nachdem sich die Kommunikation der Figuren zuletzt immer mehr reduzierte, wollte Loher wieder Dialoge schreiben. Das bedeutet nicht, dass „Diebe“ dramatische Konventionen erfüllt. Die Autorin stiehlt sich davon, legt falsche Fährten, die Szenenfolge hat etwas Schwebendes.

Ein Dieb im buchstäblichen Sinn taucht nur einmal auf. Aber allen ist etwas verloren gegangen: der Arbeitsplatz, der Ehemann oder ihr Platz im Leben, der Sinn des Daseins. Nicht von ungefähr heißen fast alle Figuren Tomason. Der Begriff geht auf den japanischen Fluxuskünstler Genpei Akasewaga zurück. Anfang der Siebziger zog er durch Tokyo und fotografierte Dinge, die ihren Zweck verloren haben. „Das habe ich auf die Figuren übertragen und auch zum dramaturgischen Prinzip gemacht“, sagt Loher.

Dass es gelingt, das bewährte Gespann endlich auch für Berlin produktiv zu machen, hofft man am DT. „Es ist eine lustvolle Aufgabe, mir Sachen zu überlegen, wo ich denke: Das weiß er jetzt auch nicht“, lächelt Dea Loher verschmitzt. Und Kriegenburg will es ihr „mit gleicher Münze heimzahlen“. Also szenische Lösungen zu finden, so dass die Autorin ihr eigenes Stück mit anderen Augen ansieht. Und doch weiß er: „Trotz all der Unterschiedlichkeiten sind wir zu sehr füreinander bestimmt.“

Premiere 15. 1. (ausverkauft). Weitere Vorstellungen: 16., 23., 24. 1.

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