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Hermann Beyer 2021 im Filmmuseum Potsdam.

© MANFRED THOMAS TSP

Der Schauspieler Hermann Beyer wird achtzig: Die Wahrheit, und nichts als diese

Der Idealismus ist ihm nicht auszutreiben: Hermann Beyer hat in Potsdam, am Gorki, am Berliner Ensemble und bei Frank Castorf Theater gespielt. Und war in über 50 Filmen zu sehen. Jetzt feiert er seinen 80. Geburtstag.

Hermann Beyer gehört zu denen, die man kennt, auch wenn man ihn nicht kennt. Eine Stimme wie Reibeisen, thüringisch geölt. Wer sie einmal im Ohr hatte, der wird sie nicht mehr los. Nicht hart oder weich, sondern immer beides, und vom einen Moment zum anderen kann es vom Haarscharfen ins Zarte, gar Zärtliche kippen. Er ist ein Schauspieler, der auf sehr wache Art sehr klug wirkt. Kein Zufall, dass er oft die Analytiker oder Bauernschlauen spielt. Wissenschaftler, Forschergeister, Wahrheitssucher, deren größte Schwäche ihr Idealismus ist.

Geboren wurde Hermann Beyer am 30. Mai 1943, heute vor 80 Jahren, im thüringischen Altenburg. Als er 14 ist, zieht die Familie in die Nähe von Berlin, nach Kleinmachnow. Dort will seine Mutter die Familie des älteren Bruders unterstützen: Frank Beyer, einer der prägendsten, streitfreudigsten Köpfe der Defa.

Seit 1966 steht er auf der Bühne

Nach dem Studium an der Staatlichen Schauspielschule 1966 geht er zunächst ans Maxim-Gorki-Theater, dann unter Peter Kupke ans Hans-Otto-Theater Potsdam, von 1972 bis 1980 an die Volksbühne unter Benno Besson, wo die intensive Auseinandersetzung mit Heiner Müller beginnt. In Fritz Marquardts Inszenierung von „Die Bauern“ 1976 spielt Beyer nicht den anarchischen Säufer Fondrak, sondern Flint. Den kämpferischen Idealisten.

Von 1983 bis 1999 dann die prägenden Jahre am Berliner Ensemble: Beyer spielt Georg Büchner, aber immer wieder auch Volker Braun oder Heiner Müller. Mit Müller hat er nicht nur gearbeitet, sondern zeitweise in einer Straße gewohnt, beide in Plattenbauten in Tierpark-Nähe. Beyer im dritten Stock, Müller gegenüber im 14.

Heiner Müller als Nachbar

Sah man von unten Licht, erzählte Beyer mal, ging er manchmal mit einer Flasche Wodka nach oben. 1980 ist Beyer in der Uraufführung von Müllers „Auftrag“ im 3. Stock der Volksbühne dabei. Als der Bauer Galloudec, der die Französische Revolution auch nicht dann verloren gibt, als alles darauf hindeutet, dass sie es längst ist.

Nach 1999 arbeitet er wieder frei. 2009 ist er beim Wiederbelebungsversuch der kriselnden Volksbühne dabei, als Frank Castorf das Publikum eine Spielzeit lang auf Seesäcken lungern lässt und das mit Friedrich von Gagerns vergessenem Stück „Ozean“ einläutet. 2013 ist er in Castorfs Tschechow-Adaption „Das Duell“ der einzige Mann zwischen acht Frauen.

Beyers erste Filmarbeiten fallen in die 1980er Jahre. Es könne auf Anhieb genau zwei Filme nennen, die nicht zu machen verrückt gewesen wäre, sagte Hermann Beyer 2015. Rund 50 Filme hatte er damals bereits gemacht, etwa die Hälfte bei der Defa. Seitdem sind einige dazugekommen, die Hermann Beyer auch ins gesamtdeutsche Bewusstsein gerückt haben dürften. In „Unter Leuten“ von Matti Geschonneck nach Juli Zeh hatte er einer der raren Hauptrollen der letzten Jahre: Bauer Kron, ein ideologischer Grantler.

Hauptrolle in „Unter Leuten“

Für Überraschungen ist Hermann Beyer immer wieder gut, etwa als Christians Ulmens Filmvater in der Serie „Jerks“. Bekannter aber dürften ihn seine zehn Folgen „Dark“ gemacht haben. Da war er Helge Doppler, ein Demenzkranker mit dunkler Vergangenheit und seherischen Kräften. Dessen „Tick-Tack, Tick-Tack“ zurrte die Unausweichlichkeit, die Thema der Serie ist, auf zwei Worte zusammen. Und Beyer spricht sie so, dass man sie nicht vergisst.

Die zwei Filme, die Beyer zufolge nicht zu machen verrückt gewesen wäre, sind jedoch vor 1990 entstanden. „Treffen in Travers“, das Regiedebut von Michael Gwisdek von 1989, und „Märkische Forschungen“ von Roland Gräf, der am 2. Juni zur nachgeburtstäglichen Feierstunde im Filmmuseum Potsdam gezeigt wird. Ernst Pötsch in „Märkische Forschungen“ ist vielleicht das, was man Beyers Paraderolle nennen kann: Ein Dorflehrer und Hobbyforscher, der im Alleingang den Kampf gegen die akademische (und auch politische) Elite der DDR aufnimmt. Weil er nicht anders kann, als die Wahrheit zu wollen, und nichts als die.

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