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Mehr als nur eine politische Allianz. Der Staatsanwalt Emre (Selahattin Pasali, links) und der Journalist Murat (Ekin Koç).

© Cinemien

Der türkische Polit-Thriller „Burning Days“: Eine Gesellschaft steht am Abgrund

Mit Gesellschaftsparabeln taxiert Regisseur Emin Alper die Türkei. Im Provinz-Krimi „Burning Days“ geht es um die Ressource Wasser, aber eigentlich um die Kluft in seinem Land.

Von Andreas Busche

Die Wege in Emin Alpers „Burning Days“ führen immer wieder hinaus in die Wüste. Hier herrschen die klimatischen Bedingungen vor, denen der Polit-Thriller seinen Titel verdankt. Und hier befinden sich die Wasserlöcher, die für die Einwohner der türkischen Kleinstadt Yaniklar zum überlebenswichtigen Symbol der Gemeinde geworden sind. Wer über die knappe Ressource Wasser verfügt, besitzt die Macht: Auch darum wähnt sich der Bürgermeister Oztürk wenige Wochen vor den Wahlen so siegessicher in seinem Amt.

Begrüßung mit Gewehren

Für die Wasserversorgung von Yaniklar zapft er das Grundwasser an, was zur Folge hat, dass an den Außenbezirken regelmäßig Straßen und Häuser in Kratern versinken. Diese Dolinen haben sich Yaniklar inzwischen bedrohlich genähert. Wegen ihnen wird der junge Staatsanwalt Emre (Selahattin Pasali) aus Ankara in die türkische Provinz geschickt, nachdem sein Vorgänger unter mysteriösen Umständen verschwand. 

Mit seinen Anzügen und gestärkten Hemdkragen ist der idealistische Jurist aus der Metropole von Beginn an ein Fremdkörper in der patriarchalen Gemeinschaft, in der Deals noch mit Handschlag besiegelt werden. Und auch schon mal großzügig darüber hinweggesehen wird, wenn erwachsene Männer mit Gewehren in den Straßen auf Wildschweinjagd gehen. (So sieht das Begrüßungskommando aus.)

Der Jovialität der breit grinsenden Honoratioren – den ersten Besuch statten der örtliche Anwalt Şahin (Erol Babaoğlu), auch Sohn des Bürgermeisters, und der Zahnarzt Kemal (Erdem Şenocak) ab – begegnet Emre mit kühler Skepsis.

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Die Richterin Zeynep (Selin Yeninci), nur etwas älter als der Staatsanwalt und ihrem Äußeren nach zu urteilen auch nicht ganz freiwillig an diesem Außenposten gelandet, erklärt Emre in einem vertraulichen Gespräch am Rande eines dieser Sinklöcher die lokalen Gepflogenheiten: Es sei nichts dabei, ein Abendessen beim Bürgermeister anzunehmen.

Später greift sie vertraulich nach seiner Hand und erklärt ihm, er solle seine Überheblichkeit gegenüber den Menschen im Ort ablegen. Aber soziale Umgangsformen liegen dem jungen Staatsanwalt nicht. Seine Distanziertheit wird erschwert durch den Umstand, dass die Absichten der Menschen um ihn herum – etwa des gutaussehenden Herausgebers der oppositionellen Tageszeitung, Murat (Ekin Koç) – undurchsichtig bleiben.

Menschen am Abgrund

Der Offenheit und Weite der Landschaft steht in „Burning Days“ der zunehmend vertrackte Plot des Regisseurs und Drehbuchautors Emin Alper entgegen. Sein Kameramann Christos Karamanis arbeitet wie im klassischen Western mit Panoramen und tiefen Einstellungen.

Und immer wieder blickt die Kamera aus der Vogelperspektive auf das Land herab. Menschen, die in gewaltige Sinklöcher herabblicken: Das ist die ikonische Einstellung, auf die „Burning Days“ immer wieder hinausläuft. Die Ohnmacht des Individuums gegenüber der Natur; der Mensch, der das Wasser zu kontrollieren versucht, welches im Gegenzug den Menschen das Land nimmt.

Alliierte oder Gegner? Staatsanwalt Emre (Selahattin Pasali) und die Richterin Zeyneb (Selin Yeninci).
Alliierte oder Gegner? Staatsanwalt Emre (Selahattin Pasali) und die Richterin Zeyneb (Selin Yeninci).

© Cinemien

Eine Spur von „Chinatown“ klingt in Alpers Film an, nicht nur wegen der (auch politischen) Ressource Wasser. Ähnlich wie die Figur des Privatdetektivs Jake Gittes bei Polanski tappt auch Emre ahnungslos im Dunkeln. Die Verschwörung bleibt vage, weder modernste Forensik noch juristisches Procedere liefern Erkenntnis.

Mit nuancierten Gesellschaftsparabeln wie „Beyond the Hill“ und dem Familiendrama „Eine Geschichte von drei Schwestern“ hat sich Alper in den vergangenen zehn Jahren als pointierter Kritiker der türkischen Machtverhältnisse empfohlen. Deren soziale Codes unterläuft er etwas direkter als sein Landsmann und (großes Vorbild) Nuri Bilge Ceylan („The Wild Pear Tree“) – aber subtil genug, um auch in der Türkei noch ein Publikum zu finden.

Die Einstellungen zwischen Emre und Murat (sein Blick auf den nackten Hintern Emres nach einem Bad im See) suggerieren früh eine andere Allianz zwischen den beiden Männern als bloß durch ihren Status als politische Außenseiter in einer Gesellschaft, die Misogynie genauso verinnerlicht hat wie Homophobie.

Den gradlinigen Plot einer politischen Verschwörung um die Wasserressourcen Yaniklars verkompliziert Alper aber noch mit einem weiteren Komplott. Beim Abendessen mit dem Bürgermeister wird im Haus des Anwalts Şahin ein Roma-Mädchen (Eylül Ersöz) vergewaltigt: Emre, der am nächsten Morgen nur noch bruchstückhafte Erinnerungen an die Nacht hat, wird zum Bauernopfer der politischen Interessen. Seine Ermittlungen in dem Fall sind genauso kompromittiert wie seine Glaubwürdigkeit als Augenzeuge eines Verbrechens.

Doch Alper ist klug genug, seine gesellschaftliche Kritik nicht mit Genre-Konventionen zu unterlaufen. „Burning Days“ scheint für einen Moment in einem Belagerungszustand zu enden, aber der letzte Blick gilt wieder der gähnenden Leere. Menschen – eine Gesellschaft – vor einem klaffenden Abgrund.

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