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Denis Scheck, ARD-Literaturkritiker, präsentiert während der Frankfurter Buchmesse auf der ARD-Buchmessenbühne in der Festhalle ein "Best of Druckfrisch". Die «Sonderedition» der Buchmesse findet vom 14. bis 18. Oktober statt.

© picture alliance/dpa/Arne Dedert

Die erfolgreichsten Bücher im Juli: Im Jahr der aufgeschwemmten Bleienten

Literarische Durchfälle und Bücher voller Klischees, aber auch sehr gelungene feministische Unterhaltungsromane und Klimawandelgeschichten: Literaturkritiker Denis Scheck bespricht gewohnt unerbittlich oder hellauf begeistert die Romane der „Spiegel“-Bestsellerliste.

10.) Shelley Read: So weit der Fluß uns trägt (Deutsch von Wibke Kuhn, C. Bertelsmann, 368 S., 24 €.)

Eine Coming-of-age-Geschichte in den USA nach Ende des Zweiten Weltkriegs, in der ein junges Mädchen mit dem Rassismus und Chauvinismus ihrer Gesellschaft konfrontiert wird. Niemand wird den Geschmack der besonders süßen Pfirsiche aus Colorado je wieder vergessen, der diesen späten und um so beeindruckenderen Debütroman der Literaturprofessorin Shelley Read gelesen hat.

 9.) Kerstin Gier: Vergissmeinnicht - Was man bei Licht nicht sehen kann (S. Fischer, (Fischer, 480 S. 20 €.)

Romeo und Julia heißen in diesem ersten Band einer deutschen Fantasyreihe Matilda und Quinn – das ist aber schon die größte kreative Leistung dieses langweiligen, ausrechenbaren und phantasielosen Jugendbuchs.

ARCHIV - 17.08.2020, Hessen, Frankfurt/Main: Ein Stapel neuer Bücher liegt auf einem Verkaufstisch in einer Buchhandlung im Stadtteil Bornheim. (zu dpa Zweiter Lockdown belastet Jahresbilanz des Buchhandels) Foto: Frank Rumpenhorst/dpa/Frank Rumpenhorstdpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Frank Rumpenhorst

8.) T.C. Boyle: Blue Skies (Deutsch von Dirk van Gunsteren, Hanser, 400 S., 28 €.)

Die äußeren Umstände des Klimawandels zu beschreiben kann jeder. Aber was dieser Klimawandel in unseren Psychen anrichtet, das zu Papier zu bringen vermag keiner so gut wie T. C. Boyle. In der nahen Zukunft, in der dieser Roman spielt, gefährden Dauer-Waldbrände Kalifornien, und die Meeresküste Floridas ist so sehr von Überschwemmungen bedroht, dass vom Strand so gut wie nichts mehr übrig ist – außerdem herrscht dort Dauerregen, während in Kalifornien die Dürre regiert. Spätere Generationen werden Boyles Romane lesen, um zu erfahren, wie es war, zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu leben.

7.) Bonnie Garmus: Eine Frage der Chemie (Deutsch von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel, Piper, 464 S., 22 €.)

„Kochen ist Chemie“, erklärt die Naturwissenschaftlerin und unverhoffte Fernsehköchin Elizabeth Zott. „Und Chemie ist Leben. Ihre Fähigkeit, alles zu ändern – Sie selbst eingeschlossen – beginnt hier.“ Ich glaube, der anhaltende Erfolg dieses feministischen Unterhaltungsromans erklärt sich an seinem ermutigenden Appell an unsere Selbstwirksamkeit.

6.) Martin Suter: Melody (Diogenes, 336 S. 24 €.)

„Jedermann erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält“ – Martin Suter illustriert diese Erkenntnis von Max Frisch mit einem kurzweiligen Roman über das Leben und die Lügen einer grauen Eminenz der Schweizer Politik.

5.) Caroline Wahl: 22 Bahnen (Dumont, 205 S., 22 €.)

Eine alkoholkranke depressive Mutter, ein abwesender Vater, eine kleine Schwester und die eiserne Disziplin eines vom Schwimmen, Mathematikstudium und der Arbeit als Supermarktkassiererin bestimmten Alltags: Caroline Wahls bemerkenswertes Romandebüt ist eine Milieustudie über deutschen Klassismus – und eine betörende Liebesgeschichte.

4.) Robert Seethaler: Das Café ohne Namen (Claassen, 288 S., 24 €.)

Kann ein Café eine Persönlichkeit, gar eine Seele entwickeln? So wie Robert Seethaler das unscheinbare Kaffeehaus in einem Wiener Arbeiterviertel beschreibt in jedem Fall. Sein Wirt Simon macht die gastronomische Urerfahrung schlechthin: „Mietmahnungen, überhöhte Lieferantenrechnungen, geplatzte Bierschläuche, im Winter die zähen Nachmittagsstunden und im Sommer der Vogelmist, der die Terrasse mit weißen Fleckenmustern sprenkelte. Es war nervenaufreibend und mühsam, aber jedes Mal, wenn er versuchte, sich ein anderes Leben vorzustellen, kam er zu dem Schluss, es mit seinem gar nicht so schlecht getroffen zu haben.“

3.) Kerstin Gier: Vergissmeinnicht - Was bisher verloren war (S. Fischer, 528 S. 20 €.)

Auch Band Zwei dieser Young-Adult-Fantasy ist nichts als ein schlimmer Fall von literarischer Diarrhoe.

2.) Lucinda Riley, Harry Whittaker: Atlas – die Geschichte von Pa Salt (Deutsch von Sonja Hauser, Karin Dufner, Sibylle Schmidt und Ursula Wulfekamp, 800 S., Goldmann, 24 €.)

Nach dem Tod von Lucinda Riley erzählt ihr Sohn Harry Whittaker die Geschichte des Adoptivvaters der adoptierten D’Apliése-Schwestern, und er macht das so tumb und klischeestrotzend, daß keinerlei qualitativer Unterschied zu den sieben Vorgängerromanen feststellbar ist.

1.) Rebecca Yarros: Fourth Wing – Flammengeküsst (Deutsch von Michaela Kolodziejcok, dtv, 768 S., 24 €.)

Nichts gegen gut geschriebene Drachengeschichten – Anne McCaffrey und Marion Zimmer-Bradley haben das feministische Potential dieses Fantasygenres genial aufgezeigt. Reichlich flügellahm wirkt dagegen dieser durch Bubble-Tea-Sprache aufgeschwemmte Auftaktband einer militaristischen Bleienten-Saga.

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