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Kultur: Die große Liebe

Michael Gielen mit dem Konzerthausorchester

Wie er den Blumenstrauß auf die Mahler-Partitur legt, macht Michael Gielen aus der förmlichen Künstlerbelohnung eine Konsequenz seiner Interpretation. Er hat uns die Partitur auf seine Weise vorgelesen. Als eine Botschaft der absoluten Musik wollte Gustav Mahler seine erste Symphonie schließlich verstanden wissen, die ursprünglich den Titel „Titan“ trug und Weisen aus den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ einschließt. „Mahler ist die große Liebe, weil er der erste moderne Komponist ist, dessen Inhalte im Grunde schon die Schönbergs sind“, hat Gielen in einem Interview zu seinem 80.Geburtstag 2007 gesagt. So dirigiert er die Zerrissenheit des Werkes formanalytisch von Schönberg aus, mit einer passionierten Sachlichkeit, die das Publikum nicht verfehlt.

Und das Konzerthausorchester spürt und realisiert, dass bei diesem Dirigenten Liebe Korrektheit bedeutet, dass in der Einleitung „Langsam. Schleppend“ jeder Einsatz zählt, Naturlaute und Weckrufe, bis sich das Hauptthema „Ging heut morgen übers Feld“ löst. In diesen Tagen ist die Musikwelt eingehüllt in Mahler, dessen 100. Todestag zu begehen ist, und Gielen ist einer der besten Kompositionslehrer für die Zuhörer. Seine Zeigefingertechnik erklärt und animiert zugleich, das Accelerando vor dem „gemächlichen“ Trio, das Kontrabasssolo „mit Dämpfer“ unaufwändig, gespannte Pausen, vulkanisches Finale. Im Konzerthaus herrscht lautes Bravo, ehrerbietig.

Gefeiert wird auch die Sopranistin Véronique Gens, denn ihre Stimme klingt schön wie ein Saitenspiel. Die Rarität aber, die sie singt, verpufft. Denn „Les nuits d’été“, die märchenhaft instrumentierten Orchesterlieder von Berlioz, wollen verstanden sein. Das bleibt aus, wenn das Programmheft die französischen Originaltexte, nuancierende Friedhofsromantik charmant et fatal von Théophile Gautier, verweigert, die man sich aus der abgedruckten deutschen Übertragung zusammenklauben muss. Daraus folgt nachlassende Aufmerksamkeit, Husten, Resignation. Sybill Mahlke

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