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Zwischen Wannsee und Karibik. Hans Christoph Buch.

© Marc Tirl/dpa

„Robinsons Rückkehr“ von Hans Christoph Buch: Die sieben Leben eines Schriftstellers

Hans Christoph Buch porträtiert in „Robinsons Rückkehr“ historische Figuren - und sich selbst. Als Enkel einer Haitianerin war er auf der Welt unterwegs.

Dieses Buch voller Geschichten trägt nicht den Untertitel „Erzählungen“. Der Berliner Schriftsteller Hans Christoph Buch hat seine Prosastücke „Robinsons Rückkehr“ überschrieben, und darunter steht: „Die sieben Leben des H.C. Buch“. Wobei in den katzenhaften sieben Leben wohl etwas von Märchen und Ironie mitschwingt.

Tatsächlich birgt Buchs neues Buch eine poetisch-essayistische, manchmal zwischen Romanansatz und Reportagefortsatz wechselnde Wundertüte. Eine in 15 episodischen Kapiteln weit in die Geschichte von Ländern und Kulturen, von Kuriosem, Welthistorischem wie auch hautnah Erlebtem ausschweifende Mischung.

Darin stecken die Porträts von sieben realen, längst verstorbenen und bei Buch doch geisterhaft nahen Figuren: vom römisch-burgundischen Autor Decimus Magnus Ausonius, der im 4. Jahrhundert die Mosel besang und bisweilen auch blonde Germaninnen; vom chinesischen Dichtermaler Su Dongpo aus dem 11. Jahrhundert, vom schottischen Seefahrer Alexander Selkirk, dem Daniel Defoe den Stoff von „Robinson Crusoe“ verdankte; von dem Haitianer Sylla Laraque, der im 19. Jahrhundert in Frankreich zum Lebemann und Tycoon avancierte; vom deutschen Piloten Günther Plüschow, der vor dem Ersten Weltkrieg von China aus als „Flieger von Tsingtau“ international berühmt wurde; vom Admiral Wilhelm Canaris, der als nazideutscher Abwehrchef erst von Hitler hofiert und dann auf dessen Geheiß als angeblicher Verschwörer noch im April 1945 zusammen mit Martin Bonhoeffer gehängt wurde. Letzte Figur in diesem Historienmix ist Monika Ertl, die Anfang der siebziger Jahre den für die Tötung Che Guevaras verantwortlichen bolivianischen Offizier und späteren Konsul in Hamburg erschoss.

Wie raffiniert dieses scheinbar zersplitterte Panorama in sich verwoben ist, zeigen manche Querverweise, die der Leser hier als Literaturdetektiv mit aufspüren kann. Schon beim lateinischen Dichter Ausonius heißt es einmal modern fingiert: „Wie alle ernst zu nehmenden Schriftsteller habe ich eine multiple Identität“ Einmal ist von Plutarchs berühmten Parallelbiografien die Rede, alle Figuren sprechen mit mehreren Zungen, und der Autor Buch redet aus dem Bauch der Zeugen von einst auch von sich selbst.

Wie in seinen beiden vorherigen Prosabänden „Elf Arten das Eis zu brechen“ (von 2016) und „Tunnel über der Spree“ (2019) verbindet Hans Christoph Buch, der bereits 1963 als Neunzehnjähriger bei der Gruppe 47 mit seinen frühen Texten auftreten durfte, das Autobiografische mit dem Fiktionalen. Geschichte mit Geschichten. Buch benutzt nicht das platte Wort „Robinsonade“, aber Robinson als Weltreisender, Schiffbrüchiger und dann als Hausbauer, Tier- und Pflanzenzüchter auf einer einsamen Pazifikinsel vor Chile ein Träumer der Tat, er durchgeistert das ganze Buch.

Das Persönliche wendet sich ins Zeithistorische

Da führen die Spuren zu Buchs eigenen Welt- und Abenteuerreisen als Enkel einer Haitianerin, als Verfasser karibischer Romane, als Kriegsreporter in Afrika und Asien oder Lehrer und Gastautor von Nord- und Südamerika bis Sibirien. Doch das Persönliche weitet sich immer wieder und oft überraschend ins Historische, Zeitgeschichtliche.

[Hans Christoph Buch: Robinsons Rückkehr . Die sieben Leben des H. C. Buch. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt/Main 2020. 255 Seiten, 20 €]

Wir erfahren, dass auch Canaris als junger Marineoffizier bei der authentischen Robinsoninsel mit einem Kreuzer gelandet war. Oder dass der italienische Verleger, Millionär und linke Revolutionsunterstützer Giangiacomo Feltrinelli der jungen Monika Ertl nicht nur die Pistole besorgte, mit der sie den Tod von Che Guevara rächte, sondern selbst (zur Finanzierung linker Bewegungen) angeblich „unter dem Pseudonym Robinson Crusoe ein Nummernkonto in Zürich“ besessen hatte.

Der polyglotte, vielgebildete Erzähler parodiert in seinem „Romanbaukasten“ zudem den faustischen Teufelspakt mit der Fabel, dass der diabolisch gerissene Kaufmann und Möchtegernromancier Daniel Defoe dem abgerissenen Seefahrer Alexander Selkirk die Haut eines Widders (anspielend auf Jasons goldenes Vlies) und damit dessen Seele und die in der Tierhaut mit dem eigenen Blut eingeschriebene Robinson-Geschichte abgekauft habe. Eine wunderbar freihändige Übersetzung des Mythos.

Und apropos Übersetzung: Am Ende des Canaris-Kapitels erfindet (?) Buch eine Bemerkung Hitlers am Vorabend seines Untergangs im Berliner Bunker. Der Diktator sagt, er habe Dolmetscher nie gemocht. Wer nämlich „mehr als nur seine Muttersprache spreche, sei ein Vaterlandsverräter“, denn er versetze sich „in das Denken des Feindes.“ Schon deswegen habe er mit dem vielsprachigen Canaris „kurzen Prozess gemacht“. Eine vielsagend symbolische Szene - auch für das Verhältnis von Kunst und Macht, von Politik und Poesie.

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