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Alice Schwarzer nutzte ihren publizistischen Einfluss in vielen gesellschaftlichen Debatten.

© Foto: Cristina Perincioli

Dokumentarfilm über Alice Schwarzer: Feministin mit Ressentiments

Eine Form der Denkmalpflege: Sabine Derflingers Dokumentarfilm „Alice Schwarzer“ würdigt Deutschlands wichtigste Frauenrechtlerin. Auch viele ihrer fragwürdigen Positionen.

Die junge Frau trägt Hornbrille und rosa Bluse. Ihr Kopf liegt auf einem geblümten Kissen, während ein Gynäkologe eine Absaugkanüle in ihren Uterus einführt. Eine Abtreibung, im März 1974 übertragen im deutschen Fernsehen. Dafür verantwortlich war Alice Schwarzer, die in dem Beitrag neben der Frau sitzt und sie nach dem kurzen Eingriff fragt, warum sie diesen vornehmen ließ. Ganz ruhig erklärt die Frau, dass sie bereits drei Kinder hat und sich außer Stande sieht, für ein viertes gut zu sorgen.

Der Film war ein Coup, der mit großer medialer Aufregung einherging, auch innerhalb der ARD, in der sich NRD-Chefredakteur Peter Merseburger für den Beitrag stark gemacht hatte. Im Gegensatz zu der ebenfalls von Schwarzer mitinitiierten „Ich habe abgetrieben“-Ausgabe des Magazins „Stern“ ist diese Reportage weitgehend in Vergessenheit geraten – dabei dürfte sie große Wirkung in der damaligen Abtreibungsdebatte entfaltet haben. Die österreichische Regisseurin Sabine Derflinger holt das Material nun knapp fünfzig Jahre später noch einmal ans Licht und erinnert damit in ihrem Dokumentarfilm „Alice Schwarzer“ an einen der zentralen Kämpfe der bekanntesten deutschen Feministin.

Die Abschaffung des Paragrafen 218 wurde nicht erreicht

Schwarzer selbst kommt in dieser Hommage an sie selbst ausführlich zu Wort und betont, dass das eigentliche Ziel – die Abschaffung des Paragrafen 218 – nicht erreicht wurde. Zwar kam eine Beratungsregelung, doch Frauen können weiterhin nicht selbstbestimmt entscheiden. Für Schwarzer ein „unglaublicher Skandal“. Ein kurzer Blick nach Polen und den USA, wo die Abtreibungsrechte gerade verschärft wurden, sollte als Warnung dienen.

„Alice Schwarzer“ zeichnet das Leben der achtzigjährigen Publizistin in artiger Fernsehmanier nach: geht mit ihr zurück nach Wuppertal, wo sie aufwuchs, skizziert ihre prägende Zeit in der französischen Frauenbewegung und natürlich die Arbeit für das von ihr gegründete feministische Magazin „Emma“. Die erste Hälfte ist vor allem wegen des historischen Bildmaterials spannend, das die selbstgerechte Mackerkultur der siebziger und achtziger Jahre veranschaulicht. Sieht man die Bräsigkeit, mit der ein Henri Nannen den Sexismus von „Stern“-Titelbildern verteidigt, oder die Herablassung, mit der ein Rudolf Augstein zu Alice Schwarzer spricht, lässt sich erahnen, wie hart diese Zeiten waren. Der unermüdliche Einsatz der "Emma"-Gründerin hat hier einiges verändert.

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Ihr dickes Fell, ihre rhetorischen Fähigkeiten, auch ihre Fröhlichkeit – all das fängt Derflinger trefflich ein. Privates reduzierte sie auf ein Minimum, wobei immerhin Schwarzers Ehefrau, die Fotografin Bettina Flitner, zu Wort kommt – und auch persönliches Filmmaterial zur Verfügung gestellt hat. Keinen Platz gibt es in „Alice Schwarzer“ hingegen für Kritik. Stattdessen werden fragwürdige Positionen der Kölnerin zu Themen wie Prostitution und Verhüllung von Frauen einfach noch einmal ausgebreitet.

Dabei kommen auch zahlreiche Weggefährtinnen zu Wort. So spricht Sabine Constable, Gründerin des Vereins „Sisters – für den Ausstieg aus der Prostitution!“, länglich über Prostitution als Herrschaftsinstrument, das „gleichzeitig mit der Sklaverei entstanden“ sei. Zwei Sexarbeiterinnen, die sich selbst nicht als ausgebeutet verstehen, kommen nur kurz am Rande einer Demo zu Wort.

„Emma"-Redakteurin Chantal Louis darf hingegen darüber schwadronieren, dass Deutschland bald zu einem Sammelbecken für Sextouristen werden könnte, wenn immer mehr europäische Nachbarländer die Prostitution verbieten. „Man braucht Thailand gar nicht mehr, man hat ja Deutschland. Und ich glaube, das wird die deutsche Regierung nicht mehr lange machen können“, erklärt sie.

Ein Thema, bei dem sich Alice Schwarzer in den vergangenen Jahren lautstark hervorgetan hat, bleibt interessanterweise außen vor: die Rechte von trans Frauen. Zusammen mit Chantal Louis hat sie unter dem Titel „Transsexualität“ dazu im Frühjahr sogar eine Streitschrift veröffentlicht und Stimmung gegen die Pläne für ein Selbstbestimmungsgesetz gemacht.

Derflingers Film verliert darüber kein Wort. Mit ihren alarmistischen Kommentaren über einen angeblichen „Trans-Trend“ hat Schwarzer zu Recht viel Kritik aus der queeren Community auf sich gezogen. Ihr eigenes Denkmal hat sie damit ein weiteres Mal beschädigt. Der denkmalpflegerisch ausgerichtete „Alice Schwarzer“ wird das nicht ausbügeln können. (In sieben Berliner Kinos)

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