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Mascha und ich. Dota vertont zum zweiten Mal Gedichte des Lyrikstars der Weimarer Republik.

© Annika Weinthal

Dota Kehr und ihr Album „In der fernsten der Fernen“: Kein Wort zuviel

Pandemie war’s und das Album „Kaléko“ von Dota einer der wenigen Lichtblicke. Nun hat die Liedermacherin und Folkpopsängerin ein zweites Mal Gedichte der Lyrikerin vertont.

Auf nichts war Verlass, nur auf Wunder. Das ist ein Satz, die hängenbleibt. Weil er auch auf schwankenden Grund trotzdem auf Hoffnung beharrt.

Die Zeile stammt aus Dotas Song „Die frühen Jahre“, der eine Vertonung des gleichnamigen Gedichts von Mascha Kaléko ist. Platz acht in den Albumcharts für „In den fernsten der Fernen“, die zweite Hommage der Liedermacherin an den Lyrikstar der Weimarer Republik? Das ist bei Dota, die 2021 mit dem spacigen Album „Wir rufen Dich, Galaktika“ ebendort auf Platz sieben landete, zwar kein Wunder, aber eine Überraschung schon. Lyrik im Folkpop-Gewand hat offensichtlich eine treue Fangemeinde. Und Dota sowieso.

Als im Pandemiejahr 2020 Dota Kehrs erste Vertonungen von Kalékos Berliner Großstadtlyrik erschienen, war das ein Lichtblick in trüben Zeiten. Die Liedermacherin und Medizinerin mit Südamerika-Faible, deren Albumdebüt „Kleingeldprinzessin“ 2003 noch unter ihrem Namen als Straßenmusikerin erschien, singt aber sonst ausschließlich eigene Texte. Und bringt sie auf dem eigenen Independent-Label heraus.

Duett mit Dirk von Lowtzow

Für Mascha Kaléko, die Dichterin der Neuen Sachlichkeit, die als Jüdin 1938 ins Exil getrieben wurde, macht Dota da erstmals eine Ausnahme. Weil ihr ein Konzertbesucher den Kaléko-Band „Sei klug und halte dich an Wunder“ schenkt, in dem sie sich festliest. Ein Zeichen, dass die Sängerin jetzt schon zum zweiten Mal annimmt.

Um ein Erfolgsmodell zu wiederholen? Nein, anwortet Dota, die gerade mit ihrer Familie in Norditalien urlaubt, am Telefon. Sie sei noch während der Pandemie über so viele weitere Gedichte gestolpert, die es nach einer Vertonung drängte. Hinzu käme die Freude am Duett singen. „Bei einem fremden Text begegnet man sich stimmlich und interpretatorisch auf neutralem Terrain. Das hat mehr Spannung, mehr Perspektive.“ Auch weil viele Lieder so kurz sind wie die Gedichte. Oder wie Dota Kalékos Lyrik beschreibt: „Pointiert, präzise, gut verdichtet, da ist kein Wort zu viel.“

Die Hälfte der 25 auf dem Album „In der fernsten der Fernen“ vorhandenen Lieder singt sie allein. Bei den anderen ist das Lineup der Duettpartnerinnen illuster. Auf „Kaléko“ sangen neben Singer-Songwritern wie Max Prosa und Alien Coen auch Konstantin Wecker und Hannes Wader, also Vertreter der alten, politischen Liedermacherschule. Jetzt sind Popleute wie Tocotronic-Frontmann Dirk von Lowtzow, Malonda und Clueso neben Funny van Dannen, Gisbert zu Knyphausen und Musikkabarettistinnen wie Anna Mateur und Rainald Grebe vertreten. Nicht schlecht.

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Dotas Chanson-trifft-Pop-trifft-Jazz-Sound ist so eigenwillig wie ihr klarer Sopran hell. Trotz reizvollem Akustikbesteck aus Streichern, Holz- und Blechbläsern ist Kaléko 2 poppiger, teils auch elektronischer als das erste Album geraten. Eingängig wäre bei diesen detailverliebten Arrangements, in denen „In dieser Zeit“ mit einem Streicher-Intro beginnt, das wie eine Balaleika klingt, und das Fender Rhodes Piano ein dunkles Glühen unter „Die frühen Jahre“ legt, dann doch das falsche Wort. Nimmt man aber den Gesamthöreindruck, stimmt es.

Zusammen sind sie Dota. Dota Kehr und ihre Band, die mal Stadtpiraten hieß.

© Annika Weinthal

Und wieder gibt es Verse, in denen Mascha Kalékos Lyrik aus den 20er und 30er wirkt, als seien sie für die Gegenwart geschrieben. „Wir haben keine Zeit als diese / die uns betrübt mit halb gefüllter Scham“ singen Dota und von Lowtzow zum schwerblütigen Balladensound von „In dieser Zeit“.

„Man erschrickt darüber, wie sehr Kalékos Impulse und Gefühle ein Jahrhundert später unseren ähneln“, sagt Dota, die bei Klima- oder Friedensdemos singt und weitere zeitkritische Texte wie „Zeitgemäße Ansprache“ und „Der Fremde“ ob ihrer Relevanz ausgewählt hat.

Trotzdem besteht Dota - genau wie ihre Seelenverwandte Kaléko in ihrer bezwingenden Mischung aus melancholischer Klarsicht und trotzigem Witz - auf Heiterkeit. „Sozusagen grundlos vergnügt“ kommt als lustige Gitarrennummer daher, die von Synthie-Soundspäßchen akzentuiert wird.

Die zweite Strophe dieser Selbstermunterung zur Lebenslust mündet in die Verse „Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn. / Ich freue mich vor allem, dass ich bin.“ Glücklich die Lyrikerin, die solche klingenden Hommagen erhält.

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