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Der Autor Ralph Dohrmann

© Gerald von Foris / dpa

"Eine Art Paradies" von Ralph Dohrmann: Aus der Welt und wieder zurück

In Ralph Dohrmanns neuem Roman lässt ein Einsiedler sich wieder auf das Leben ein. Er trifft dabei auf die Herausforderungen der technologischen Moderne - und, natürlich, die Liebe.

In Zeiten, in denen Literaturdebütanten ihr Schriftstellerdiplom vor dem Führerschein zu erwerben pflegen, scheint jemand, der erst mit knapp 50 seinen Romanerstling vorlegt, fast schon als Pflegefall. Andererseits bietet das relativ hohe Gewähr auf einen ordentlichen Fundus an Lebenserfahrung. Und so, nämlich als ein ganz eigenes, auch sprachlich starkes Stück Lebens- und Zeitgeschichte, kam Ralph Dohrmanns „Kronhardt“ 2013 wohl auch auf die Liste des Leipziger Buchpreises.

Der Bildungsroman eines Erben. Nachkomme einer Stickerei-Dynastie, die, ob Hakenkreuz, ob Familienwappen, immer obenauf war. Willem allerdings entwickelte sich von deren Agilität geradezu systematisch fort, hin zu einer Bartleby-Oblomow-Existenz pfleglicher Selbstsorge. Ein so wuchtiges, so ganz eigenes Werk – immerhin 900 Seiten – wiederholt sich nicht so leicht.

Nun hat Ralph Dohrmann seinen zweiten Roman vorgelegt, in Umfang wie Anspruch bescheidener, doch kaum minder eigen, teils sonder-, teils wunderbar. Wieder so ein Einziger und sein bescheidenes Eigentum. Der Ich-Erzähler, Walter von Quant, war ein gefragter, angesehener Schuhmachermeister. Nach dem Freitod seiner Frau hat er das Geschäft an zwei Türken abgegeben, auch sonst allem entsagt und sich in eine Gartenkolonie zurückgezogen, wo er – von den anderen als Sonderling bemisstraut – unter einer Pappel zu sitzen, der Natur zuzusehen und vor sich hin zu sinnen pflegt. Nur einmal im Jahr, zum Todestag seiner Frau, kommt er in die Stadt, um die alten Freunde zu treffen. Diesmal stolpert er auf dem Weg dorthin über eine gestürzte Frau, deren Duft, schönes Schuhwerk und ägyptischer Spann ihn so vexieren, dass er, der kaum trinkt, vom aufgenötigten Alkohol der Freunde eben dies preisgibt, die Freunde eine Suchanzeige ins Internet setzen – und Walters Weg sich wieder zu winden beginnt.

Aus der Natur ins Netz

Er, der kein Telefon mehr besitzt, der seine Informationen aus der Lektüre beim Frisör bezieht – erstaunlich allerdings, was es da so zu lesen geben muss, denn Walter ist immer bestens informiert über die Dinge, die die Welt bewegen –, der den spitzen Dialogen von Pastor und Tierarzt, eine Art Naphta und Settembrini, zuhört und ansonsten der Natur nachlauscht, gerät an Tessa mit dem großen Busen, die ihm erklärt, was ein QR-Code ist, muss sich an ein Smartphone gewöhnen, gibt schließlich selbst eine Suchanzeige im Internet auf, gerät überhaupt immer stärker an die uns anderen allen handelsübliche Welt. Die Welt der anonymen, geheimen Kontrollmächte, gegen die Tessa und die Ihren kämpfen, indem sie mit dem QR-Code einen Supervirus in die Welt setzen wollen.

Er hilft der drogensüchtigen Kristina, die am Ehrgeiz ihrer Eltern zerbrochen ist, auf den rechten Weg, verliert dadurch aber die Freundschaft der Freunde. Nebenan in der Kolonie geschieht ein Doppelmord. Gerüchte, dass die Gegend zum Fracking freigegeben wird, machen die Runde. Die braven Bürger werden zu bösen. Dafür sind die Außenseiter und Einzelgänger die Guten, Tarkan, Ergün, Viktor aus Tschernobyl, auch der ehemalige Journalist, der nun Taxi fährt, die Punks, sogar der Polizist Witt ist ein wirklich Guter, der den Mord beiläufig aufklärt und gern bei Walter und einer Tasse Kaffee unter der Pappel sitzt.

Tessa und die Ihren sind sowieso auf der richtigen Seite. Walter zerhackt Smartphone und Handy (feine Unterscheidung!). Hat nun einen Hund, sehnt sich aber noch immer nach der Unbekannten mit dem ägyptischen Spann. Ein seltsamer Mensch, angeblich Landvermesser, hantiert satellitengestützt erst mit einem, dann vielen Glasaugen. Es kommt zum großen Auftritt der Fracking-Befürworter und Gegner. Und dann erscheint auch noch die Unbekannte … Der märchenhafte Schluss eines ungewöhnlichen Buchs.

Die andere Betrachtung der Welt

Ungewöhnlich, wie es so gar nicht irgend Bezug auf Literatur nimmt. Das ist kein Zauberberg, schon gar kein neuester Jonathan Franzen. Am ehesten erinnert es an Ernst Wiechert und das weiland einfache Leben. Doch so ganz ohne dessen religiöse Umgetriebenheiten. Walters einziges Buch ist die Natur. Und da zeigt Dohrmann wieder seine schon am ersten Roman so bewunderte Kunst der Naturbeobachtung. Die Bedächtigkeit und Bedachtsamkeit, mit der Walter die Welt sieht, sich aus ihr zurückzieht und mit ihr umgeht, sind von einer unantastbar arglos scheinenden Ernsthaftigkeit.

Das alles erscheint so handgemacht wie ehedem Walters Schuhe, bewegt sich zwischen ergreifender Weisheit und Binsenweisheiten à la Forrest Gump, ist mal dezent, mal aufdringlicher, mal höchst besorgt und dann wieder ungemein witzig – mit geradezu paranoiaparodistischen Episoden, pfiffigen Karikaturen der Wohlbürgerwelt, heiteren Begegnungen mit Sonderlingen. Und immer wieder Andacht zur Natur und ihrem Kreislauf, wie denn auch der Jahreszyklus den Ablauf des Romans strukturiert. Ein Buch so ganz neben der gewohnten Welt, die unter diesem stoisch entschleunigenden Blick am Ende doch, nimmt man sie nur richtig, recht bewohnbar erscheint. Eine Art Paradies.

Ralph Dohrmann: Eine Art Paradies. Roman. Arche Verlag, Zürich 2015. 350 Seiten, 22,99 €.

Erhard Schütz

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