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Technofans beim Konzert.

© dpa

Erfundene Techno-Doku: Grenzdebile Legenden

Sie haben in den 1980er Jahren den Techno erfunden: Die Mitglieder der Band "Fraktus". Die gleichnamige "Mockumentary" erzählt die Geschichte des Trios, doch ansonsten sind die Techno-Vorreiter weitgehend vergessen. Warum? Weil es die Band nie gegeben hat.

Arme Pioniere: Von den Zeitgenossen verkannt, von der Nachwelt vergessen, gehen die wahren Erfinder großer Trends oft leer aus. Die Popgeschichte kennt viele dieser Dramen. Hank Ballard erfand den Twist, und Nachahmer Chubby Checker sahnte ab. Die Sonics schufen schon in den Sechzigern den Punk, schafften es aber nie auf eine große Bühne. Und die Band Fraktus erfand 1980 den Techno – lange bevor er zur aufputschenden Beschallung von Fitnessstudios und Schaumpartys verkam.

Der Fall von Fraktus ist besonders eklatant. Denn in den Achtzigern hat das Trio ziemlich alles richtig gemacht: Die Musik kam mit ein paar Schlägen aus, die Texte bestanden aus wenigen Vokabeln, und ihr Gesichtsfeld hatten die Musiker mit kantigen Rahmungen aus gebleichtem Haar verengt. Und obwohl Musiker wie Stephan Remmler (Trio), Blixa Bargeld (Neubauten) oder Jan Delay sich heute zu Fraktus bekennen, sind Stücke wie „Affe sucht Liebe“ oder „Gib mir deine alten Schuhe“ weitgehend vergessen.

Weil die Musikindustrie ach so schnelllebig ist? Nein, Fraktus sind vergessen, weil es sie nie gegeben hat. Das Mockumentary „Fraktus – das letzte Kapitel der Musikgeschichte“, von Lars Jessen („Dorfpunks“) liebevoll in Szene gesetzt, erfindet und entdeckt die Band neu. Hinter allem steht das Hamburger SpaßkunstTrio Studio Braun, das seine Karriere mit öffentlichen Telefonstreichen begann und inzwischen in Musik wie Roman und Theater gleichermaßen zu Hause ist.

Der neueste Streich hält sich streng an die Gesetze des Doku-Genres: Der Musikjournalist und Produzent Dettmer (schmierig: Devid Striesow) wittert das Geschäft seines Lebens, als er die lebenden Legenden entdeckt. Doch schnell wird klar, dass die Ex-Avantgardisten nicht mehr das sind, was sie einmal waren. Elektro-Pionier Dickie Schubert (Rocko Schamoni) gestaltet heute im eigenen Internetcafé pseudo-philosophische Websites in Airbrush-Ästhetik und steht ansonsten auf der Leitung. Frontmann Wand (Jacques Palminger) tritt nur noch im Hobbykeller seiner Eltern auf und leidet an eingebildeten Krankheiten wie Brombeerkopf oder Kongozunge. Einzig Bage (mit Minipli: Heinz Strunk) hat Erfolg: Er beschallt Großraumdiscos auf Ibiza mit deutschem Techno zum Mitgrölen. Die Re-Union auf seiner Finca droht zum Fiasko zu werden, denn die grenzdebilen Legenden sind so heillos zerstritten wie einst die Beatles.

Kein Klischee wird ausgelassen – vom immergleichen Geplapper der Musikjournalisten über die Geldgeilheit der Produzenten bis zur Mythisierung hohler Achtzigerjahre-Gesten als Großtaten der Ästhetik. Das ist zwar nicht ganz neu. Aber ein großer Spaß. Und gegen die grassierende Achtzigerjahre-Nostalgie so wirksam wie ein Impf-Serum.

Babylon Kreuzberg, FT Friedrichshain, Kant, Kulturbrauerei, Moviemento

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