zum Hauptinhalt
Der Krisensommer in Europa geht dem Ende entgegen. Die Krise bleibt allerdings.

© Michael Kappeler/dpa

Griechischer Alltag (12): Nach dem Krisensommer: Die Zukunft des Landes

Um die griechische Gesellschaft stehe es nach dem von Krisensommer wie um einen Kranken, meint unsere Autorin. Und der scheint das Bett nicht verlassen zu wollen.

Ich lese gerade Virginia Woolfs Essay „Über das Kranksein“. Die Schriftstellerin beschreibt darin mit satanischem Humor, wie außerirdisch Kranken das alltägliche Leben erscheint. Woolfs Bemerkungen über die Verfassung des Bettlägerigen, der sich von Unbedachtheit, Imponiergehabe und Leichtsinn in den Bann ziehen lässt, treffen auch auf Gesellschaften zu, die an tückischen Krankheiten leiden.

Etwa auf die griechische, der unerklärlicherweise schon wieder Wahlen bevorstehen: „Es gibt in der Krankheit … einen kindischen Freimut. Dinge werden gesagt, Wahrheiten sprudeln heraus, die die vorsichtige Respektabilität der Gesundheit verbirgt“. Freimut oder Dreistigkeit? Der Verlust der politischen Respektabilität ist einer der Hauptgründe, weshalb Griechenland systematisch rückfällig wird. Und obwohl dem Land von außen und innen ständig neue fiebersenkende Therapien verordnet werden (von Krediten bis zu Wahlen), macht der Kranke nicht die geringsten Anstalten, das Bett zu verlassen.

Woolfs Essay kam 1930 heraus, unmittelbar nach der Weltwirtschaftskrise, er trägt die Spuren der zermürbten Gesellschaften jener Zeit. Die Autorin spricht voller Sehnsucht von der Literatur, die das Leben von Familien, von Gruppen nachzeichnet: „Es war ein Gespinst, ein Netz“, sagt sie. Auch wir imaginieren Gesellschaften, die wie Sicherheitsnetze funktionieren und nicht wie eine Ansammlung anmaßender Egos.

Halt durch Humor und Sarkasmus

In Athen kann nach diesem ereignisreichen Sommer niemand mehr von gesellschaftlichem Zusammenhalt sprechen. Alles ist zerstreut, gespalten, verworren. Nach der Volksbefragung im Juli soll der Gang zur Wahlurne nun schon wieder für die Begleichung innerparteilicher Rechnungen sorgen. „Unverständlichkeit hat während der Krankheit eine gewaltige Macht über uns“, argumentiert Woolf.

Wie die Schriftstellerin sucht auch Griechenland Halt in Humor und Sarkasmus. Der griechische Comicautor Arkas (ein geistreicher Intellektueller, der unter Pseudonym arbeitet) lässt Männer mit Krawatte sagen: „Ich habe Vertrauen in die Regierung. Es sind Menschen, die mit beiden Beinen fest in der Luft stehen.“ Oder: „Die Quallen haben 650 Millionen Jahre ohne Gehirn überlebt. Was veranlasst euch eigentlich zu glauben, dass unser Land keine Zukunft hat?“

Ersticken unter Tonnen von Profilierungssucht

Zumindest der Humor hat offenbar keine. Im Sommer bat Arkas die Betreiber seiner Website, deren Betrieb nach einer Flut von Beschimpfungen und Drohungen seitens der Antieuropäer unter den Syriza-Mitgliedern einzustellen. Das Ganze dauerte nur wenige Stunden, aber der Schaden war groß, zeigte sich doch schon da deutlich, dass die Syriza-Abspaltung, die neue Anti-Euro-Partei Laiki Enotita (Einheit des Volkes) an unheilbarer Borniertheit leidet. Extreme Denksysteme haben häufig keinen Funken Humor. Im Moment drohen wir jedenfalls unter Tonnen von Profilierungssucht und Taktiererei zu ersticken, statt die Krankheit offen anzugehen. Wie sagt Arkas? „Das Bildungsministerium hat heute die Abschaffung des Ausrufezeichens verkündet, nachdem es festgestellt hat, dass uns nichts mehr vom Hocker haut.“

Hiermit endet unsere Sommer-Serie der in Athen lebenden Schriftstellerin Amanda Michalopoulou, Jahrgang 1966, zur Griechenlandkrise. – Aus dem Griechischen von Birgit Hildebrand. Die letzten Folgen waren "Zyklus der Idiotie", "Inseln lieben kann doch jeder!" und "Wanderer, kommst du nach Donoussa".

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false