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So sieht Zukunft aus. Mila (Friederike Kempter) bestellt sich in „Tender Hearts“ einen Androiden (Madieu Ulbrich).

© Nik Konietzny/Sky

Wie arbeiten Green Consultants?: Grüner Glam mit Bioschminke

Für mehr Nachhaltigkeit in der Film- und Fernsehbranche: Wie Green Consultant Chiara Noack den Dreh der Serie „Tender Hearts“ begleitet.

Dass Orte, an denen neue Welten entstehen, immer so betont unscheinbar aussehen. Der Flachbau liegt an der Ausfallstraße nach Adlershof. Hier, im Johannisthaler Filmatelier, dreht Odeon Fiction eine Fernsehserie im Auftrag des Senders Sky. Acht Folgen à 30 Minuten, 57 Drehtage. „Tender Hearts“ spielt in der nahen Zukunft.

In einer positiven Zukunft, in der Frauen sich die Einsamkeit mit „Lovedroids“ versüßen. Gerade läuft Hauptdarstellerin Friederike Kempter vorbei. Sie spielt Mila, eine Spieleprogrammiererin mit Hang zu Vintagemöbeln. Ihre Wohnung ist das Zentrum des Studiogewusels. Kameracrew und Beleuchter sind dabei, die nächste Szene einzurichten.

Studiert hat sie an der Filmuni Babelsberg

Anders als in der Fiktion sind die ökologischen Herausforderungen der Realität keineswegs glücklich gelöst. Sichtbares Zeichen dafür ist Chiara Noack, 25, die Nachhaltigkeitsberaterin der Produktion. Die studierte Producerin hat ihre Abschlussarbeit an der Filmuni Babelsberg über das Thema „Nachhaltige Produktion“ geschrieben.

Und als Zusatzqualifikation eine Ausbildung zum Green Consultant absolviert. Seit einem Jahr arbeitet sie als Freiberuflerin. Langeweile kenne sie keine, freut sich Noack. Im Gegenteil. Die Nachfrage nach den Diensten des wenige Jahre alten Berufsbildes, das erst seit einem halben Jahr mit halbwegs verbindlichen Standards arbeitet, sei groß.

Der Arbeitskreis Green Shooting, in dem sich gewichtige deutsche Sender, Produktionsfirmen und Fördergremien selbst zum Grünen Drehen verpflichten, hat die Regeln mit dem Siegel „Green Motion“ gesetzt. Ab Januar 2023 soll es mit den Nachhaltigkeitskriterien der Filmförderung von Bund und Ländern vereinheitlicht werden.

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Schon jetzt habe eine ganze Reihe von Regionalförderern das Label „Green Motion“ zur Voraussetzung gemacht, sagt Fabian Klaus von Sky, der den Sender im Arbeitskreis Green Shooting vertritt. „Insofern sind die ökologischen Mindeststandards bei der Vergabe von Fördermitteln bereits sehr relevant.“ Bei Produktionen im Auftrag seines Senders sowieso.

Sky hat sich 2017 in Zusammenarbeit mit Philipp Gassmann, der das Berufsbild der Nachhaltigkeitsberater in Deutschland maßgeblich entwickelt hat, eigene Ökostandards gesetzt. Durch Grünes Drehen ließen sich bis zu 50 Prozent CO2-Emissionen einsparen, hat Klaus seither festgestellt. Gassmann setzt den Wert etwas niedriger an.

So sieht Zukunft aus 2. Chiara Noack berät die Produktion in Sachen Nachhaltigkeit.

© Nassim Rad

Bei Gassmann hat auch Chiara Noack gelernt, die gerade mit dem Handy Fotos macht. Von den Cola-Flaschen, die auf den Cateringtischen stehen. Weil Softdrinks eines US-Multis an nachhaltigen Filmsets verboten sind? Noack schüttelt den Kopf. Sie dokumentiert die Glasflaschen für ihren Abschlussbericht.

Gewissermaßen als Beweis, dass ihre Arbeit fruchtet. Genauso wie Einweggeschirr sind Einwegflaschen aus Kunststoff bei Green Motion verboten. In 15 Bereiche sind die Standards des Labels unterteilt. Sie betreffen in Muss- und Soll-Vorgaben alle Gewerke, von Ökostrom und Generatoren bis zu Reisen, Unterbringung und Bio-Makeup. Auch ein Green Consultant, der den Dreh von der Vorbereitungsphase bis zur Postproduktion begleitet, gehört zum Muss.

Ein James-Bond-Film emittiert richtig viel

Der CO2-Soll-Bilanz, die Chiara Noack zu Beginn eines Drehs veranschlagt, steht am Ende eine Abschlussberechnung gegenüber. Eine deutsche „Tatort“-Produktion mit 22 Drehtagen bewege sich bei 100 Tonnen CO2-Emission, ein James-Bond-Blockbuster bei mehr als 2000 Tonnen, sagt Noack.

Dass bei „Tender Hearts“ die meisten Drehtage hier im Studio absolviert werden, wo Solarpanels auf dem Dach Netzstrom erzeugen, wirkt sich günstig aus. Anders als Dieselgeneratoren, die beim Dreh „on Location“ erst allmählich gegen E- oder Hybrid-Generatoren ausgetauscht werden. Von denen gebe es deutschlandweit zurzeit sehr wenige, die immer ausgebucht seien, sagt Noack.

Immerhin schreitet die Technik voran. „Es existiert bereits ein Elektrogenerator für 130 Kilowattstunden, der ein Set einen ganzen Tag lang mit Strom versorgen kann. Eine rollende Powerbank in Anhängerform.“ Aber auch das Ding sei fast unmöglich zu kriegen.

LED-Wände leuchten selbstständig

Beim Blick in die Einraumwohnung von Serienheldin Mila wirken Zukunft und Vergangenheit zusammen, um die Illusion einer urbanen Aussicht zu erzeugen. Auf der einen Seite täuscht ein „Rücksetzer“, also eine mit Lampen ausgeleuchtete Kulisse vor dem Fenster Stadt vor.

Auf der anderen Seite besorgt das eine LED-Wand, die selbstständig Lichtstimmungen, aufflatternde Vögel oder eine vorbeisausende Bahn simulieren kann. Nachhaltigkeitskriterien fordern die Umstellung auf LEDs. Sie seien teurer in der Anschaffung, sparten aber auf Dauer Strom, sagt Noack. Auch beim Licht ist die Umstellung auf LED-Lampen in vollem Gange. Am Ende fallen ein bis vier Prozent Mehrkosten beim Grünen Drehen an.

Das Ändern der Routinen kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit, die beim Drehen wiederum Geld ist. „Der Rückbau eines Sets wird aufwendiger, wenn etwa Stellwände wiederverwertet werden sollen. Das ist der Widerspruch zwischen Theorie und Wirklichkeit der Produktion.“

Bloß kein Kontrolletti sein

Es schaffe keineswegs nur begeisterte Mienen, sagt Noack und beeilt sich, die Neugier und Aufgeschlossenheit der Crew zu preisen. Als Kontrolletti mit erhobenem Zeigefinger will sie hier sowieso nicht auftreten. „Es bringt nichts, als Besserwisserin rüberzukommen. Lieber biete ich Hilfe an, damit es funktioniert.“

Mit René Zulauf, der im Cateringwagen veganen Kartoffel-Gemüsestrudel anbietet, bespricht Noack den Ablauf des kommenden Komparsen-Tages, wo 76 Menschen zu verköstigen sind. Zulauf braucht etwa zusätzliches Miet-Geschirr, Einweg geht ja nicht. Ein Veggie-Day, besser noch zwei, sind für ihn Pflicht.

Der Anspruch, möglichst Gemüse aus der Region einzukaufen, trifft nicht immer seinen Beifall. „Da sieht es im Winter schnell langweilig auf dem Teller aus, wenn es nur Steckrüben aus Brandenburg gibt.“ Der Mann weiß: Mit dem Essen steht und fällt die Stimmung.

Kosmetik ohne Mikroplastik

Auch im Maskenwagen regiert Green Motion. Maskenbildnerin Sylvia Grave hält waschbare Abschminkpads für die Schauspieler:innen vor. Das reduziert Müll. Kosmetikprodukte mit Mikroplastik sind verboten. An der Wand hängt die „Facecard“, also der Schminkplan von Heike Makatsch, die Milas Schwester spielt.

Oft seien Schauspieler:innen auf Marken wie Chanel und Dior geeicht, sagt Grave, „aber die gehen gar nicht“. Bei Menschen, die von ihren Gesichtern leben, setzt die Umstellung auf BioMakeup mit anderer Textur durchaus Überzeugungsarbeit voraus.

Was tun gegen "Green Washing"?

Kostüm- und Requisitenwiederverwertung, Öko- Putzmittel, Bahn statt Auto fahren – Chiara Noacks Job gleicht einem Kampf gegen die Windmühlenflügel der Wohlstandsgesellschaft. Doch deren wachsendes Risikobewusstsein in Sachen Erderwärmung arbeitet ihr zu. Besonders in der imageverliebten Unterhaltungsindustrie, die mit „Green Washing“ nach Sympathiepunkten und Vermarktungsmöglichkeiten schielt.

Bei Set-Besuchen ließe sich leicht nachprüfen, ob eine Produktion mitmache oder nur so tue, weiß Noack. „Ich sehe Einkaufslisten, Tankquittungen, Stromrechnungen ein.“ Nervt sie das bürokratische Kleinklein nicht? Chiara Noack schüttelt den Kopf. Das Produktionsvolumen im audiovisuellen Bereich sei so immens. „Da kann man wirklich was umkrempeln.“

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