zum Hauptinhalt
Immer mit Pfeife. Georges Simenon in seiner Bibliothek.

© picture-alliance / dpa

Literaturtipps für die Sommerferien (4): Mord im Akkord

Ein Urlaub ohne Lektüre wäre keiner. Doch welche Titel kommen ins Gepäck; Neue Reisebekanntschaften - und alte Bekannte.

Wenn die Entscheidung mal wieder schwerfällt: Mit Simenon kommt man immer gut weg. Sein Werk ist riesig, der einzelne Band aber schmal. Eine Tagesration. 75 Maigret-Romane hat er geschrieben und gut hundert Non-Maigrets, die meisten noir. Er erzählt von unmöglichen Liebesaffären und verborgenen Passionen, und in der Regel sind es Männer, die dann nicht nur ihre eigene Existenz sprengen. Schauplatz ist Paris, die französische Provinz, die Welt. USA, Galapagos, Tahiti, Kongo.

Georges Simenon, geboren 1903 in Lüttich, gestorben 1989 in Lausanne, reiste leidenschaftlich und viel – so wie er arbeitete. Rastlos bewältigte er ein Wahnsinnspensum. Patricia Highsmith nannte ihn den „größten Erzähler unserer Tage“. Die Lektüre seiner Bücher hat etwas Beruhigendes, wie ein vertrautes Musikstück, das mit jedem Hören neue Abgründe und Untiefen offenbart.

„Ich habe die Grenze dreimal überschritten, das erste Mal widerrechtlich, gewissermaßen mit Hilfe eines Schmugglers, mindestens einmal auch rechtmäßig, und vermutlich bin ich einer der wenigen, die aus freien Stücken zu ihrem Ausgangspunkt zurückgekehrt sind.“ Ein Buch, das so beginnt, das wird man lesen: „Der Grenzgänger“, jetzt in neuer Ausgabe bei Atlantik erschienen. Über Jahrzehnte war es der Diogenes Verlag, der sich um Simenon verdient gemacht hat. Hoffmann und Campe und der Kampa Verlag stemmen jetzt eine deutschsprachige Gesamtausgabe.

Paul Celan übersetzt Kriminalromane

In den 1950er Jahren kamen die Titel des Belgiers, der damals in Frankreich lebte, bei Kiepenheuer & Witsch heraus. Was kaum bekannt ist: Simenon hatte einen Übersetzer, den man bei Krimis wahrscheinlich als Letzten erwartet. Der Dichter Paul Celan bekam 1954 den Auftrag, zwei Maigret-Romane ins Deutsche zu übertragen. Celan, aus Czernowitz gebürtig, war 1947 aus Rumänien nach Wien geflohen und im Jahr darauf nach Paris übergesiedelt. Zu der Zeit war er mit der jungen Dichterin Ingeborg Bachmann liiert. Celans „Todesfuge“ erschien erstmals 1948. „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“. Es ist ein berührender Gedanke, dass der Dichter des wirkmächtigen Poems über den Holocaust sein Geld als Krimi-Übersetzer verdiente. Und er hatte Glück, dass es Simenon war.

400 DM für einen Maigret

Paul Celan übersetzte den Roman „Hier irrt Maigret“ zur großen Zufriedenheit der deutschen Verleger. Er bekam dafür 400 Mark. Beim zweiten Simenon, den man ihm gab, lief es schlecht. Celan war säumig, lieferte nicht, und als seine Version von „Maigret und die schrecklichen Kinder“ beim Verlag eintraf, herrschte Entsetzen über die schlechte Qualität. Paul Celan soll auch Passagen vergessen und anderes hinzugefügt haben. So endete diese Fußnotengeschichte der deutsch-französischen Literatur. Die deutsche Erstausgabe wurde zum Sammlerstück. Selbst ein zerfleddertes Exemplar von Simenon/Celan kostet antiquarisch um die 70 Euro. Später gab es neue Übersetzungen.

Selbstportrait eines dauerpotenten Mannes

„Hier irrt Maigret“: Es handelt sich um einen Routinefall. Eine junge Prostituierte wird tot aufgefunden in Paris, Maigret übernimmt. Sie war die Geliebte eines berühmten Arztes, und dieser Halbgott in Weiß erscheint wie ein verzerrtes Selbstporträt Simenons: Er operiert ohne Unterlass, Frauen liegen ihm zu Füßen, er braucht ständig schnellen Sex, aber nur „physisch“, wie er sagt, ein kaltes Mannsbild, dauerpotent, ein Monster. Der Roman liest sich wie ein Drehbuch – brillantes Timing, knappe Milieubeschreibung. Man ist sofort im Film und glaubt das sprachliche Genie des Übersetzers Paul Celan im Dämmerlicht der großbürgerlichen Altbauwohnung, dem Tatort, zu erkennen. Es ist gut, der Gewohnheit nachzugeben und zwei, drei Simenons in den Urlaub mitzunehmen. Noch eine Empfehlung: „Die Ferien des Monsieur Mahé“. Dieses Drama spielt auf der Insel Porquerolles in Südfrankreich, wohin Simenon selbst gern zur Erholung fuhr und um zu arbeiten.

Bisher erschienen in unserer Sommerserie: Was man in Bahnhofsbuchhandlungen und am Flughafen findet. Lob der Provence. Und eine erschreckend aktuelle russische Biografie von Emmanuel Carrère.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false