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Phoebe Legere trägt den Zauber der queeren New Yorker Subkultur der 1980er ins Jetzt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Phoebe Legere: Deutsche schmecken gut

Gesamtkunstwerk und „Transmedia-Wunder“: Phoebe Legere ist eine universelle Künstlerin. Nun gastiert sie in Berlin.

Phoebe Legere ist eine Prophetin. Ende der 1980er, als die New Yorkerin einige Monate in Afrika bei den Massai verbrachte und ihren Lebensunterhalt nebenher als Pianistin im Nairobi Hilton verdiente, ließ sie ihren Blick eines Tages über den roten Staub der Landschaft schweifen – und hatte eine Vision. Die USA würden einen schwarzen Präsidenten bekommen, einen, „der uns zurückführt zu den großartigen Ideen, auf denen dieses Land aufgebaut ist“. O.k., um genau zu sein war es in ihrer Erscheinung eine schwarze Frau als Führerin der freien Welt, nicht Barack Obama. Manchmal, sagt Legere, ändere sie beim Weissagen die Details. Jedenfalls schrieb sie im Nachklang das Musical „Hello, Mrs. President“. Und gab nichts darauf, dass die Leute sie für verrückt erklärten.

Phoebe Legere (kein Künstlername!), Legende des New Yorker Undergrounds, ist ein Gesamtkunstwerk. Ein Wort, das sie auf Deutsch beherrscht und mit an Wagner gemahnendem Donnergrollen in die Bar Gargarin am Prenzlauer Berg ruft. Legere, die sich auch – das nun weniger Wagnerianisch – als „Transmedia-Wunder“ bezeichnet, lässt keine Kategorien gelten und verschmilzt die Kunstsparten zu einem entgrenzungsbereiten Multitalentereignis, sie ist Musikerin, Malerin, Poetin und Performerin; war Komponistin bei der Wooster Group, kannte Hunter S. Thompson persönlich, hat eine Oper über die Häuptlingsfrau Queen Weetamoo gedichtet, ist Star und Autorin der Fernsehshow, „Roulette TV“, hat ihre Autobiographie geschrieben und ein Computer-Instrument für behinderte Kinder erfunden. Man könnte eine Weile so weiter machen, ohne ihr Schaffen auch nur halbwegs vollständig aufzulisten. Das Liveerlebnis würde alles Papier sowieso nicht ersetzen, was ihr Auftritt am kommenden Donnerstag im BKA-Theater beweisen dürfte, bei dem Legere ihre jüngste CD „East Village Berlin“ präsentiert, ihre mittlerweile zwölfte.

Dass die Künstlerin in Europa dennoch vergleichsweise unbekannt geblieben ist, mag daran liegen, dass sie ihre Karriere ohne Unterstützung der großen Konzerne anschieben musste. Zwar hatte sie schon als Teenagerin einen Plattenvertrag beim Major Label epic, wo auch Michael Jackson unter Vertrag war. Aber als sie ihren Song „Marilyn“ aufnahm, in dem sie unter anderem über innige Küsse mit der Monroe singt, wurde sie rausgeworfen. Ihre indianische Abstammung war den Bossen schon nicht geheuer gewesen, sagt sie, dann auch noch lesbische Fantasien, das war zu viel. Legere zuckt nur die Schultern: „Jedes Mal, wenn Leute mir übel mitzuspielen versuchen, erweisen sie mir am Ende einen großen Gefallen.“ Die mittelmäßige Kunst, die von den Konzernen für die Massen produziert werde, kitzle vielleicht die Zunge, wie ein Hamburger von McDonald's. „Aber sie hat absolut keinen Nährwert.“ Legere repräsentiert das Gegenteil.

Die Tochter eines Künstlerpaares aus Neuengland hätte sich indes wohl sowieso nie von ihrem Weg abbringen lassen. Mit drei Jahren gab sie ihr erstes Gesangskonzert, mit fünf begann sie zu malen, in Öl wohlgemerkt, mit sieben zeichnete sie ihre ersten Aktbilder, mit neun spielte sie Orgel in der Kirche. Später hat Legere Jazz bei John Lewis vom Modern Jazz Quartett gelernt, und sich ihre Virtuosität auf ungezählten Sessions in Bars und Clubs hart erarbeitet. „Ich musste stämmige schwarze Junkies von der Klavierbank schubsen, um meine Chance zu kriegen“, lacht sie. Was ihr gelang.

Zu Beginn der 80er dann wurde Phoebe Legere Teil der schillernden Subkultur des Pyramid-Clubs im East Village. „Jeder Tag war Karneval, alles war möglich“, sagt sie über diese Zeit. Die meisten ihrer Freunde haben sie nicht überlebt. In ihrem Song „East Village Berlin“ rappt sie: „Everybody died except me and Joey / so I went on tour with David Bowie.“ Mit Joey ist der Cabaret-Künstler Joey Arias gemeint. Der einzige außer ihr, der nicht an Drogen oder Aids starb. Legere sagt, dass sie erstens zu schüchtern gewesen sei, um mit einem Haufen Leuten Sex zu haben. Und dass ihre Eltern ihr schon als sie fünf war eingeschärft hätten: „Tu’ nichts, was sich nicht rückgängig machen lässt.“ Weswegen sie die Finger vom Heroin ließ.

„Die Seligkeiten vergangner Zeiten“ –so besingt sie diese Ära heute, deren Andenken sie im selbst gestifteten „New York Underground Museum“ bewahrt. Ihre 2005 erschienene Autobiographie hat Legere „American Weimar“ getauft. Weil sie Parallelen zwischen der East-Village-Libertinage und der kurzen Blüte der Weimarer Republik sieht: Auf den Glanz der Pyramidentage folgte die Reagan-Dämmerung. Aber die Muse, glaubt die Künstlerin, verweile ohnehin nie lange an einem Ort.

Phoebe Legere liebt das Berlin der Gegenwart und sie liebt die 20er- und frühen 30er-Jahre, diese beseelte Epoche. Sie hat auch ein Hommagealbum an Marlene Dietrich im Repertoire, von dem die Diva noch erfahren haben muss. „Ich will nicht behaupten, dass ich sie umgebracht habe, aber gleich danach starb sie“, sagt die Sängerin mit gewitztem Funkeln im Blick. Die Dietrich ist aber nur eine ihrer vielen Verbindungen nach Berlin. Legere hat eine Menge Freunde an der Spree, darunter Regisseur Rosa von Praunheim, mit dem sie einen grandiosen Kurzfilm über Kannibalismus improvisiert hat („Germans taste the best“, ein Youtube-Hit). Und in dessen jüngstem Werk „New York Sisters“ sie ebenfalls auftritt, als eine gewisse „Rosette“. Der Film läuft zur Feier von Praunheims 70. Geburtstag im Babylon Mitte. In ihrer eigenen Show im BKA-Theater wird Legere zudem eine gerappte Version des Marlene-Dietrich- und Hildegard-Knef-Hits „Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin“ performen, eben jenen Song „East Village Berlin“. Sie hat sich für den Auftritt schon einen bezaubernden Koffer besorgt, „der aussieht wie eine Klitoris“. Die CD-Aufnahme des Tracks, erzählt Legere, beendete sie um 7:58 Uhr am Abend des verheerenden Hurrikans in New York. Um 7:59 Uhr ließ Sandy die Lichter im Studio ausgehen. Wenn das kein Zeichen ist.

Fragt man Phoebe Legere, ob es für sie unvermeidlich war, Künstlerin zu werden, schaut sie erstaunt. „Wenn es das nicht ist, wäre man ein Idiot, sich für die Kunst zu entscheiden“, gibt sie zurück. Schließlich sei das ein knallharter Weg, „jede Minute hast du einen Stiefel im Gesicht“. Aber bei dieser Frau ist jeder Widerstand zwecklos. Und das hat sie selbst bestimmt vorausgesehen.

Legendär – Phoebe Legere: BKA-Theater, Do., 22. November, 20 Uhr. Gala zum Geburtstag von Rosa von Praunheim: Babylon Mitte, Fr., 23. November, 20 Uhr

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