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band bipolar feminin, der credit ist Apollonia Theresa Bitzan

© Apollonia Theresa Bitzan

Rockmusik aus Wien: Bipolar Feminin und ihr Debütalbum „Ein fragiles System“

Aus Wien kommt frische Musik, die aus dem Reibungsfeld verstörender Pointen und Eingängigkeit hervorgeht. Mitgrölen könnte ein Reflex sein.

Bipolar Feminin steuern selbstbewusst durch das weite Spektrum von Eingängigkeit und Herausforderung. Schon der Bandname mag irritieren: Einerseits mutet er plump an. Feminismus und mentale Gesundheit – als hätte man aktuelle Buzzwords herausgesucht, in denen sich die sogenannte linksgrün versiffte Jugend sonnen kann.

Die Musik, die von der Wiener Band dazu gemacht wird, ist wenig überraschender und eingängiger Grungepunk: Stromgitarren und ordentlich Scheppern, aber mit leicht verdaulichen Refrains. Manchmal erinnert das an 90er-Mitsinghymnen à la Oasis oder 4 Non Blondes. Ihr Debütalbum „Ein fragiles System“ ist dennoch reizend und reizvoll, weil die Poesie der Songtexte radikal authentisch ist und weil die Komplexität der Musik sich aus ihrer Naivität speist.

„Es ging uns beim Bandnamen auch um zwei Pole, die sich aneinander aufreiben, aber dennoch eins sind“, erklärt Leni Ulrich am Telefon. Damit fasst die 27-Jährige das Schaffen ihrer Band ganz gut zusammen: Es ist das Reibungsfeld, das die vier Wiener:innen interessiert, nicht nur die bloße Ablehnung.

Und Leni Ulrich reibt sich an vielem: Im Song „Attraktive Produkte“ kotzt sie sich über den Kapitalismus aus, in dem der Mensch zum bloßes Konsumwesen herabgewürdigt wird; in „Tüchtig“ wird neoliberaler Fortschrittsmanie eine Absage erteilt; „Mami“ verhandelt Weiblichkeit als Imperativ.

Besonders großartig reißt einen die Verweigerungshymne „Am Boden“ mit sich: „Willkommen am Boden, das heißt Party für dich!“ verspricht Ulrich. Die Lust am Untergang feiert man hier mit Körperausscheidungen: Auf alles soll geschissen werden und die Hörer:innen werden eingeladen, doch mal gepflegt in die Ecke zu kacken. Kotze und Popel kommen auch vor.

Mal eben eine Band gründen

Bipolar Feminin haben sich 2019 in Wien gegründet. Das war laut eigenen Angaben alles keine große Sache: Man kannte sich sowieso, ist miteinander befreundet oder gar verschwistert, Bassist Max ist der Bruder von Sängerin Leni Ulrich.

Im vergangenen Jahr erscheint die erste EP „Piccolo Family“, auf der es noch um einiges roher zugeht, als auf dem nun erschienenen ersten Album, wo die Songs gründlicher ausgearbeitet sind. Das alles arrangiert sich aber nach wie vor um die Stimme Ulrichs: Sie schreit, sie krächzt, ihr Gesang ist wie eine Naturgewalt, losgelöst durch die Wut in ihrem Bauch. „Ich verarbeite meinen Alltag in meinen Texten. Oft kommen die auch schwallartig aus mir heraus“, sagt sie.

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Vor allem aber sind ihre Worte eine Form der Selbstermächtigung, sie holt sich ihre persönliche Autonomie zurück, in dem sie bestimmt, wie sie über ihre Umwelt singt. Das ist die klingende Antithese dazu, dass sie als Frau jenseits gängiger Schönheitsideale permanenter Bewertung ausgesetzt ist. Es geht aber nicht nur um sie: Sie singt von dem universellen Gefühl des abgehängt Seins und der Ausgrenzung.

Das sind alles geläufige Themen, nichts ist neu. Aber es ist so wunderbar radikal und unapologetisch dargeboten, dass es guttut, zuzuhören, sich selbst wiederzufinden, vielleicht mitzugrölen.

Und während man das macht, beschleicht einen die Erkenntnis, dass mit dem fragilen System, von dem Bipolar Feminin erzählen, nur bedingt die Strukturen gegenwärtiger Gesellschaft gemeint sind. Es geht vor allem um die Zerbrechlichkeit der Individuen, auch kleine Systeme, die darin bestehen müssen. Die guten Nachrichten: Zerbrechlich heißt noch nicht kaputt, vor allem nicht, wenn man noch darüber schreien kann.

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