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Ausdauernd. Der Mittdreißiger Daniel Zillmann steht seit 20 Jahren vor der Kamera.

© Doris Spiekermann-Klaas

Porträt Daniel Zillmann: Der Pfefferkuchenkönig

Zwischen Trash und Tiefsinn: Daniel Zillmann macht Musik, tritt vor der Kamera auf, spielt an der Volksbühne. Wenn es sein muss, auch mit Bänderriss.

Boris trägt Lederweste und Totenkopfringe, hat lange lockige Haare und arbeitet in einem hippen Berliner IT-Unternehmen. Er taucht nicht oft auf, aber wenn, dann gehört die Szene ganz ihm. Egal, ob er stumm und mit Schmackes in eine Möhre beißt. Oder ob er der von Clemens Schick gespielten Hauptfigur Thomas in der Bar das Telefon in die Hand drückt, damit der endlich seine Liebste Senta anruft (Nicolette Krebitz). Wobei sich 50 mögliche kleine Geschichten gleichzeitig in Boris’ Gesicht lesen lassen. Vielleicht ist er heimlich in Thomas verknallt. Vielleicht weiß er was über das Wesen der Liebe, das wir nicht wissen. Vielleicht schüttelt er innerlich auch bloß den Kopf über diesen zerquälten Hanswurst. Jedenfalls: interessanter Typ. Faszinierender Schauspieler.

Boris wird von Daniel Zillmann verkörpert, in Ulrike von Ribbecks Verfilmung des Iris-Hanika-Bestsellers „Treffen sich zwei“. Ein „Kleines Fernsehspiel“ (siehe Seite 23), eine klassische Sidekick-Rolle. Eigentlich ist Zillmann an einem Punkt in seiner Karriere, wo er mehr auf die Größe seiner Parts schauen könnte. Aber er mag das eben auch, „so feine kleine Figuren, die auftauchen und supporten“.

Da spricht nicht zuletzt die Gelassenheit von einem, dessen Terminkalender verlässlich voll ist. Der vor zwei Jahren aus dem Stand zu einem überragenden Protagonisten an Castorfs Volksbühne wurde, obwohl er mit Theater eigentlich nie viel am Hut hatte. Der daneben mit der Songwriterin Luci van Org das Musikprojekt King Mami betreibt, dessen Videos bevorzugt im Neuköllner Spätkauf „Dr. Billy“ entstehen und ein 60 000-fach gelikter Facebook-Hit sind. Und dem die Unterscheidung wichtig ist, dass er nicht zu diesen „singenden Schauspielern“ zählt, sondern Musiker ist und Schauspieler. Beides mit Leidenschaft.

Gerade Mitte 30 und schon 20 Jahre vor der Kamera

Zillmann ist Mitte 30 und steht seit 20 Jahren vor der Kamera. Am Vortag ist in Berlin die erste Klappe für den neuen Film von Lars Kraume gefallen (die Verfilmung von Horst Evers’ „Der König von Berlin“), am Morgen hatte er noch einen Job im Synchronstudio, jetzt sitzt der Schauspieler in einem Café gegenüber der Volksbühne und muss mit ansehen, wie eine korrekte Kellnerin ihm den übergeschwappten Kaffee wieder vor der Nase entführt, obwohl er so gerne eine rauchen würde zum Heißgetränk. Stattdessen beantwortet er geduldig und bestimmt nicht zum ersten Mal die Frage nach seinen Anfängen. „Mir war in der dritten Klasse klar, dass ich Schauspieler werden will“, erzählt Zillmann, „als ich einen König auf der Suche nach dem Pfefferkuchenrezept gespielt habe.“ Schon als Kind sagte er zu seinen Eltern: Ich brauche eine Agentin. Was in Künstlerfamilien vermutlich Standard ist, aber doch eher ungewöhnlich für den Sohn eines Neuköllner Krankenpfleger-Ehepaars.

Die Eltern, für die Zillmann nichts als liebevolle Worte hat (und für die er das Lied „Wenn ich mal reich bin, bezahl ich euer Haus“ schrieb), unterstützten ihn trotzdem. Harrten auch mal drei Stunden vor der Tür aus, während der Sohn sich drinnen beim Casting um eine Rolle in der RTL-Version von „Eine schrecklich nette Familie“ bemühte. Vergebens, übrigens.

„Die Caster konnte mich nicht wirklich einordnen, fanden mich aber irgendwie strange“, sagt Zillmann im Rückblick. So kam er nach und nach an kleine Rollen. Er hat böse Burschen gespielt, die kleine Kinder auf der Straße abziehen, war mit 16 schon Drogendealer in einer Vorabendserie, durfte zwischendrin aber auch den sympathischen Kumpel des Hauptdarstellers geben. „Schon stereotyp“, räumt er ein. „Aber immerhin verschiedene Stereotype.“

Schauspielschule? Brauchst du nicht.

Mit Anfang 20 hat Zillmann überlegt, die Schauspielschule zu besuchen. Regisseur Leander Haußmann, mit dem er die DDR-Militärklamotte „NVA“ gedreht hatte, riet ihm ab: „Brauchst du nicht.“ Zillmann unterbricht sich selbst und lächelt: „Das klang jetzt eitel, oder?“ Dabei will er sich wahrlich nicht als Naturgenie feiern. Er beschreibt einfach seinen Weg, und der hieß: Erfahrungen sammeln.

Es gibt diese schöne Szene in der Making-of-Sitcom „Bully macht Buddy“ auf Pro7: Darin versucht der große Michael Bully Herbig den jungen Kollegen für einen Auftritt in seiner Kinokomödie „Buddy“ zu gewinnen und schwärmt ihn an: „Daniel Zillmann! Allein dieser Name klingt wie – Daniel Zillmann!“ Der Umworbene bleibt allerdings cool, weil er schon ein besseres Angebot von Til Schweiger auf dem Tisch hat. Lustige Selbstparodie. Bloß gar nicht so realitätsfern.

Immer wieder mal dachte Zillmann im Laufe der Jahre: Das ist jetzt der Durchbruch! „Nur hatte ich ein falsches Bild davon, was der Durchbruch ist.“ Eher nicht: Paparazzi, rote Teppiche, Anrufe aus Amerika. Sondern: Castern auffallen, sich in der Filmwelt etablieren, kontinuierlich arbeiten. Dann öffnen sich schon Türen. Wie zum Beispiel durch den Berlin-Kultfilm „Schwarze Schafe“, in dem er unvergesslich komisch einen Satanisten gespielt hat. Das Wichtigste aber: Beim Dreh lernte er Marc Hosemann kennen, der ihn vor zwei Jahren an die Volksbühne empfahl.

Plötzlich hing ein Kleid in seiner Garderobe

Zillmanns Theaterpremiere sollte die Rolle des Ragnar sein, in Frank Castorfs Ibsen-Inszenierung „Baumeister Solness“. Eines Tages auf der Probe fand er ein Kleid in seiner Garderobe vor, das Bühnenbildner Bert Neumann ihm hingehängt hatte. Ist Ragnar jetzt eine Transe?, wunderte sich Zillmann. Kann ja sein, an der Volksbühne. Die Idee war aber, dass er versuchsweise auch den Part der Frau Solness übernehmen sollte. Und wie er diese betrogene Gattin dann auf die Bühne gebrettert hat, sagt alles über Zillmanns Kunst: in perfekter Balance zwischen Trash und Tiefsinn, schrill und leise, komisch und berührend.

Es wirkte, als wäre der neue Gast schon immer Teil der Volksbühnen-Familie gewesen. Castorf hat ihn dann auch für seinen furiosen Dostojewski-Trip „Karamasow“ engagiert und jüngst für seinen Molière-Abend „Die Kabale der Scheinheiligen“. Bei René Pollesch hat Zillmann im Antidienstleistungsabend „Service/No Service“ gespielt – in typischer Volksbühnen-Verausgabungsbereitschaft bei der Premiere noch mit einem Bänderriss, den er sich beim Dreh zum Oliver-Hirschbiegel-Dreiteiler „Same Sky“ in Prag zugezogen hatte.

Klar, in den Beschreibungen über ihn taucht ziemlich häufig die Vokabel „schwergewichtig“ auf. Früher hat ihn das noch genervt, und wenn Leute sagten, er sei so ein Bärchen, dachte er nur: „Ich bin überhaupt kein Bärchen. Ich bin ein Wolf oder ein Löwe.“ Ihm fällt dazu Beth Ditto ein, die ja Aktivistin und eine „Hammer-Sängerin“ sei – und eben nicht bloß die „Wuchtbrumme“, als die sie inflationär betitelt wurde. Andererseits sind Zillmann solche Oberflächlichkeiten heute auch egal. Er fühlt sich wohl mit sich, und das strahlt er aus.

Zillmann erzählt, dass er kürzlich einen Mini-Synchronjob für den neuen „Ghostbusters“-Film ergattern konnte. Als jugendlicher Stubenhocker in der Kellerwohnung seines Neuköllner Elternhauses hat er die originale Geisterjägerkomödie ungefähr jeden Tag geschaut. Und jetzt saß er also hier im Studio, ganz entflammt, exklusiv die Szenen zu sehen und dabei zu sein. Zillmann lächelt: „Alles richtig gemacht.“

„Treffen sich zwei“ läuft am 3. August um 23.15 Uhr im ZDF

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