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Eine wahre Geschichte. Oscar Grant (Michael B. Jordan) in der Silvesternacht 2008 auf dem Bahnsteig von Fruitvale Station, im Vorort von San Francisco. Der Moment, als ein Polizist einen tödlichen Schuss auf ihn abgibt, wurde mit zahlreichen Mobiltelefonen festgehalten.

© DCM

Rassismus im Film: Fruitvale Station: Endstation Neujahr

Der 22-jährige Oscar Grant wollte sein Leben ändern - doch in der Silvesternacht 2008 wurde er von einer Polizeikugel tödlich getroffen. In „Fruitvale Station“ rekonstruiert Regisseur Ryan Coogler die letzten 24 Stunden des jungen Schwarzen aus einem Vorort von San Francisco.

Neujahrsvorsätze, man weiß ja, wie wenig sie nützen. Oscars schöne Freundin Sophina will 30 Tage lang keine Kohlenhydrate essen. 30 Tage braucht der Mensch, um seine Gewohnheiten zu ändern, sagt Oprah Winfrey. Oscars Freundin glaubt alles, was Oprah sagt.

30 Tage legal bleiben, das ist Oscars Vorsatz an diesem 31. Dezember 2008. Was leicht gesagt ist. Noch vor einem Jahr saß er wegen Drogen im Knast, selbst seine Mutter, die heute Geburtstag hat, glaubt fast nicht mehr an ihn. Dass er seinen Job im Supermarkt verloren hat, weiß noch keiner.

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Oscar braucht Geld, für die Miete, für seine kleine, über alles geliebte Tochter Tatjana, für Sophina, die malochen muss und die er gern heiraten würde, wenn er es sich leisten könnte, für seine Schwester, die am Telefon fragt, ob er ihr etwas leiht. Also zieht Oscar doch wieder los, um zu dealen. Aber er besinnt sich und wirft die Ware ins Wasser, eine große Tüte Pot, viel Geld. 30 Tage legal bleiben? Ist kaum zu schaffen. Aber wann, wenn nicht jetzt.

Oscar Grant, 22, ein junger Schwarzer in der San Francisco Bay Area. Seinen Namen kennen viele in Amerika, denn Oscar hat diesen Tag, diese Silvesternacht nicht überlebt. Mit Sophina und den Kumpels fährt er zum Feuerwerk in die Stadt, auf dem Rückweg taucht dieser aggressive Typ aus dem Knast im überfüllten Vorortzug auf, es kommt zur Schlägerei. Die Polizei bugsiert die Männer auf den Bahnsteig der Fruitvale Station, alle sind aufgebracht. Und dann fällt ein Schuss ...

Nach einer wahren Begebenheit: „Nächster Halt: Fruitvale Station“ beginnt mit den realen Handy-Aufnahmen vom Bahnsteig, jenen Aufnahmen, die 2009 für Empörung, Proteste und Unruhen sorgten, nicht nur in San Francisco. Denn sie beweisen, dass da einer unschuldig erschossen wurde, einer, der sich nicht provozieren lassen wollte, der die Clique zur Ruhe mahnt und cool zu bleiben versucht.

Eine Chronik der vielen kleinen Zufälle, die zu einem tödlichen Ende führen

Regisseur Ryan Coogler, 27, war damals Filmstudent der University of Southern California. Für seinen in Sundance gleich mehrfach ausgezeichneten Debütfilm greift er nicht auf das Erregungspotenzial der Geschichte zurück. Der Polizist wurde nicht wegen Mord, sondern wegen fahrlässiger Tötung zu einer geringen Strafe verurteilt, aber "Fruitvale Station" interessiert sich weniger für rassistisch motivierte Polizeigewalt als für Oscar. Und er ist so klug – und das macht ihn umso erschütternder –, selber cool zu bleiben. Sorgsam rekonstruiert er jenen Silvestertag, die letzten 24 Stunden von Oscar Grant, der kein Heiliger war, aber auch kein hoffnungsloser Krimineller. Ein gefährdeter, aber hartnäckiger, lebenslustiger junger Mann und Familienvater, der Frau und Kind liebt, der weiterkommen will. Und der Film: ein Protokoll wie vor Gericht, Super-16, Lowbudget, kaum Wackelkamera, nur die aufmerksame, nüchterne Chronik der vielen kleinen Zufälle, die dazu führen, dass Oscar in dieser Nacht zur falschen Zeit am falschen Ort sein wird. Auf die kleinen Dinge, die das Leben ausmachen. Auf die Kostbarkeit eines einzigen gewöhnlichen Menschenlebens.

Der Zoff frühmorgens im Bett: Sophina ist immer noch sauer, weil Oscar sie einmal betrogen hat. Der Blick auf die Kühlschranktür: Miete bald fällig! Die Fahrt zum Kindergarten, bei der Oscar seiner Tochter Süßkram zusteckt: Mama ist da viel strenger. Der Besuch im Supermarkt: Der Filialleiter will ihn nicht wieder anstellen, wegen seiner Unpünktlichkeit. Die Kundin an der Fischtheke, die nicht weiß, was man für eine Fischpfanne braucht: Oscar ruft seine Oma an. Der Hund an der Tankstelle, der überfahren wird: der erste Tote an diesem Tag. Dass diese Szene wohl erfunden ist, hat in den USA allerdings auch für kritische Stimmen zum Film gesorgt: Der Film beschönige Oscars Charakter zu sehr.

Rhythmisiert wird „Fruitvale Station“ von Oscars Handytelefonaten und seinen authentischen SMS-Nachrichten. An die Mutter – „Happy Birthday!“ – , seine Liebste, die Kumpels, den Marihuana-Kunden. Sie markieren den fast unmerklichen Übergang von den kleinen Lebenslügen, mit denen Oscar sein Image und seine Selbstwahrnehmung schönt, hin zu mehr Ehrlichkeit. Und weil Cooglers Film lauter charismatische Schauspieler versammelt – Michael B. Jordan als Oscar, Melonie Diaz als Sophina, Oscar-Preisträgerin Octavia Spencer („The Help“) als Mutter –, werden aus den unscheinbaren Szenen große Kinomomente. Als Oscar es schafft, seiner Freundin zu gestehen, dass er seit Wochen arbeitslos ist. Als die Mutter sich verflucht, dass sie zum Vorortzug geraten hatte, wegen Alkohol am Steuer. Und als sie, am Morgen des 1. Januar, mit Sophina und den Freunden im Krankenhaus die Todesnachricht entgegennimmt und darauf besteht, den Sohn noch einmal zu sehen.

Man möchte schreien für sie. Und wäre niemals so tapfer.

Ab 1. Mai im Kino. OmU: Babylon Kreuzberg, FT am Friedrichshain, Hackesche Höfe, Kant Kino, Kino in der Kulturbrauereri, Odeon, OV Cinestar Sony-Center.

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