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Kultur: Regisseure sind nur halbe Künstler

Das glaubt der Bundesfinanzhof und entfacht einen Steuerstreit in Theater und Politik.

Man male sich das nur aus: In einer der Berliner Opern hat gerade ein Verdi, Wagner oder Mozart Premiere. Einige der Solisten sind ebenso wie der Dirigent und der Regisseur keine lohnsteuerpflichtigen Angestellten des Hauses, sie erhalten vielmehr als Gäste ihre Abendgage, ihr Honorar fürs Dirigat oder die Inszenierung. Möglich aber ist, dass jeder und jede nun anders besteuert wird. Die Sängerin zum Beispiel ist, wie das ganze öffentliche Theater als Institution, von der Umsatzsteuer völlig befreit, dem Dirigenten geht es meist ebenso, während der Regisseur statt des ermäßigten Umsatzsteuersatzes von 7 Prozent (der auch für Autoren und bildende Künstler bislang gilt) die volle Umsatzsteuer (alias Mehrwertsteuer) in Höhe von 19 Prozent an sein örtliches Finanzamt zu zahlen hat.

Möglich ist freilich auch, dass sie alle gar nicht zur Umsatzsteuer veranlagt werden oder der Regisseur gleichfalls nur 7 Prozent berappen muss. Ja, vermutlich ist es in der großen Stadt Berlin sogar so, dass von frei arbeitenden Opern- oder Schauspielregisseuren ebenso wie von freien Choreografen von Bezirk zu Bezirk und Finanzamt zu Finanzamt unterschiedliche Umsatzsteuersätze verlangt werden. Und diese Vielfalt, die jeder Steuergleichheit und Gerechtigkeit Hohn zu sprechen scheint, gilt zurzeit in ganz Deutschland.

Das aber könnte sich bald ändern, mit schwer absehbaren Folgen vor allem für den Berufsstand von Regisseuren und Choreografen – und für die Produktionsetats der Musik-, Tanz- und Schauspieltheater. Allein bei den öffentlich subventionierten Bühnen, deren über 2000 Neuproduktionen pro Jahr zu zwei Dritteln von freien Regisseuren (oder Choreografen) inszeniert werden, stünden insgesamt Gagenerhöhungen in Millionenhöhe an: für den Fall, dass Regisseure und Choreografen einen Ausgleich fordern für ihre durch die Umsatzsteuer um bis zu einem Fünftel gekürzten Einkommen.

Warum gerade Regisseure oder Choreografen? Bisher sind in Deutschland Theater (wie auch Museen, Orchester, Chöre) als „kulturelle Dienstleister“ von der Umsatzsteuer befreit. Dies gilt auch für die ihnen gleichgestellten Bühnenkünstler. Eine Übereinkunft, die nunmehr infrage steht. Erst kürzlich gab es den großen Aufschrei, weil die EU-Kommission dem Bundesfinanzminister ein Verfahren wegen Verletzung von europäischem Gemeinschaftsrecht angedroht hat. Dabei geht es darum, dass auf Werke der bildenden Kunst im Kunsthandel künftig der volle Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent erhoben werden soll. Bislang werden Kunstwerke in Deutschland nicht wie reine Konsumgüter behandelt, was die EU offenbar als Wettbewerbsverzerrung sieht. Monika Grütters, CDU-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Kulturausschusses, hat dagegen als Anwältin der Künste am 5. März 2012 im Tagesspiegel heftig protestiert. Es gehe nicht um „fiskalpolitische Kleinigkeiten“, sondern um „die Identität der Kulturnation Deutschland“.

Die Kulturnation Deutschland hat sich historisch am frühesten im Theater formuliert. Dort aber droht die Sache zur fintenreichen Posse zu werden. Und zum Konflikt zwischen dem Bundesfinanzministerium und dem Bundeskulturstaatsminister. Dabei geht es auch um den Steuerfall Steckel.

Frank-Patrick Steckel hat seinen Wohnsitz in Berlin-Zehlendorf. Der 69-Jährige ist freier Theater- und Opernregisseur, war einst einer der Protagonisten der Berliner Schaubühne zu Peter Steins Zeiten, war Schauspieldirektor in Bremen und als Nachfolger von Claus Peymann zehn Jahre Intendant in Bochum. Sein Fall könnte jetzt zum Präzedenzfall werden.

Steckel hatte im Jahr 2004 am Nationaltheater Mannheim Beethovens „Fidelio“ inszeniert. Regisseure die als (Mit-)Urheber einer Aufführung in ihr nicht leibhaftig mitwirken, können sich mittels einer behördlichen „Gleichstellungsbescheinigung“ ihre zumindest animatorische Präsenz und Unverzichtbarkeit für die Theaterproduktion bestätigen lassen. Eine solche Bescheinigung des Berliner Kultursenators legte auch Steckel vor. Seine Einkommenssteuererklärung 2004 aber wollte das Finanzamt Berlin-Zehlendorf nicht anerkennen. Steckels Widerspruch gegen die Forderung des vollen Umsatzsteuersatzes für die „Fidelio“-Gage hatte indes beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg Ende 2008 Erfolg. Das Gericht erkannte in Hinsicht auf die inzwischen maßgeblichen EU-Steuerrichtlinien an, dass der Regisseur der Institution Theater und seinen Solisten (Sängern, Schauspielern, Musikern, Dirigenten) steuerrechtlich gleichzusetzen sei.

Daraufhin ging das Finanzamt Zehlendorf in Revision, und am 4. Mai 2011 entschied der Bundesfinanzhof (BFH) gegen die Vorinstanz und gegen den Regisseur. Das in seiner Begründung verblüffend fahrig formulierte Urteil meint, dass der Regisseur auf der Bühne „gar nicht zu sehen“ sei, und selbst wenn sein künstlerischer Beitrag gegenüber anderen Solisten „gleichwertig“ sei, müsse er noch nicht als „gleichartig“ gelten. Letztlich stellt der BFH nun vieles ins Ermessen der einzelnen Finanzämter und öffnet der Ungleichbehandlung allerorts Tor und Tür.

Dies überrascht, zumal der Europäische Gerichtshof ( EuGH) 2003 in einem teilweise vergleichbaren Fall gegen den Bundesgerichtshof entschieden hatte. Damals ging es um den wegen Steuerhinterziehung inhaftierten Veranstalter der berühmten „Drei Tenöre“-Tournee. Erst der EuGH beschied, dass für das Trio Pavarotti-Domingo-Carreras keine Umsatzsteuer zu zahlen war und Künstler steuerlich nicht schlechter als die Kunstinstitutionen zu behandeln seien. Der Konzertveranstalter wurde hierauf aus dem Gefängnis entlassen und entschädigt.

Im Gewirr von nationalem Steuerrecht und EU-Richtlinien zeichnet sich so erhebliche Unsicherheit ab. Bundeskulturstaatsminister Bernd Neumann, konfrontiert mit dem Fall Steckel, hat sich mit der Bitte an Finanzminister Wolfgang Schäuble gewandt, das BFH-Urteil vom Mai 2011 nicht im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen. Dies ist bisher auch nicht geschehen. Andernfalls ergäbe sich eine mittelbare Bindungswirkung für die Finanzämter. Auch Ulrich Khuon, Chef des Deutschen Theaters Berlin, hat namens der Intendanten im Deutschen Bühnenverein bereits an Schäuble appelliert. Der Minister antwortete hierauf, dass der BFH die „geltende Verwaltungsauffassung lediglich bestätigt“ habe. Das aber kann nicht stimmen, wie der Fall Steckel und die unterschiedlichen Urteile zeigen. Helfen kann jetzt nur noch eine bundeseinheitliche Klarstellung des Steuergesetzgebers. Schäuble wirkt hier nicht abgeneigt, aber kulturfernere Ministeriale in seinem großen Haus und die Vertreter im Kulturausschuss halten den Regie-Steuerstreit offenbar nur für eine Art Regietheater.

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