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Buchcover zu Gertraud Klemms "Aberland".

© promo

Roman "Aberland" von Getraud Klemm: Von Müttern und Töchtern

Die Wiener Autorin Gertraud Klemms entwirf in ihrem neuen Roman "Aberland" ein sarkastisches Mutter-Tochter-Szenario.

Schon der erste Satz, der eine ganze Seite einnimmt, bevor er zum Luftschnappen innehält, spiegelt Franziskas zerrüttetes Nervenkostüm. Zur Feier des Muttertages will ihr Mann Tom die Biologin von der Hausarbeit und dem dreijährigen Sohn Manuel entlasten. Doch Franziska kann weder an der „mehrspurigen Bröselbahn“ ihres die Teller schief und einzeln zur Spülmaschine tragenden Gatten vorbeischauen noch den Frustgedanken abstellen, dass das Projekt der geteilten Elternschaft zu scheitern droht.

Während sich Tom beruflich weiterentwickelt und auf ein zweites Kind drängt, ruht ihre Dissertation über die „Bestimmung der akuten Toxizität von Nanosilber in Zebrafisch-Embryonen und -Larven“. Stattdessen fürchtet die junge Mutter panisch „eine Neuauflage des Schwarzbuchs Kind“ mit „Wäsche, Windeln, wachen Nachtstunden, Okkupationen im Bett“.

Gertraud Klemm beherrscht das selbstmitleidlose Beschweren

Die Wiener Autorin Gertraud Klemm, Jahrgang 1971, hat schon vergangenen Sommer in Klagenfurt gezeigt, dass sie die traditionsreiche österreichische Form der selbstmitleidlosen Beschwerderede vorzüglich beherrscht. Mit präziser Beobachtung, originellen Bildern, scharfsinniger Analyse und reichlich sarkastischem Humor fühlt sich die (ebenfalls) studierte Biologin nun in die Protagonistinnen ihres zweiten Romans „Aberland“ ein.

Im gleichmäßigen Wechsel mit der Mittdreißigerin kommt auch Franziskas Mutter, die 58-jährige Elisabeth, zu Wort. Wo die Tochter mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hadert, hatte die Mutter womöglich keine Wahl: Ihre Ehe mit dem Juristen Kurt hat ihr materielle Sicherheit und sozialen Aufstieg beschert, allerdings um den Preis der Freiheit. Als Hausfrau ist sie für das „Kochen und Liebhaben, Kümmern und Organisieren“ nie bezahlt worden, weshalb sie ihrem chronisch fremdgehenden Mann auf Gedeih und Verderb ausgeliefert bleibt.

Gnadenloser Blick auf die bürgerliche Wohlstandswelt

Elisabeths Blick auf ihre bürgerliche Wohlstandswelt ist ebenso gnadenlos – und gnadenlos komisch. Etwa wenn sie auf der Sonnenterrasse sich und die anderen alternden Frauenkörper scannt („Irgendwann werden wir in einer Art Lake liegen und gegen das Ablaufdatum anbaden wie Sauergemüse oder Mozzarellakugeln“) oder ein „Zauberkleid“ von Missoni beschreibt: „Der komische Fleischwulst, der wie eine Nacktschnecke zwischen Achselhöhle und Brustansatz herausgewachsen ist, lässt sich mühelos unter den breiten Trägern verstauen.“ Später tauchen die Tiere noch einmal auf, wenn Elisabeths Enkel Nacktschnecken sammelt. „Wir haben sie gemeinsam gesalzen und ihnen beim Sterben zugesehen: Das hat ihm Spaß gemacht. Franziska muss nicht alles wissen.“ Schädlingsbekämpfung und Körperkontrolle, Aggression und Zärtlichkeit liegen in diesem Gefühlshaushalt dicht beieinander.

Jedem der 15 Kapitel stellt die Autorin eine Einladungskarte voran – zu Kurts Pensionsfeier, einer sommerlichen Open-Air-Lesung, zur Baby-Shower der besten Freundin. Diese festlichen Unterbrechungen des Alltags nimmt Klemm zum Anlass, sich in die Bewusstseinsströme von Mutter und Tochter einzuklinken und sie punktuell zu verdichten: bei Franziska gehetzt bis zur Atemlosigkeit, bei Elisabeth mit epischer Gelassenheit.

Perfider Kniff: zwei Erzählperspektiven

Eher beiläufig erfährt man so von den wirklich einschneidenden Ereignissen, etwa Franziskas vorzeitig abgebrochener Schwangerschaft mit einem schwerstbehinderten Mädchen, oder Elisabeths präventivem Besuch bei einer Anwältin, um die Finanzlage im Scheidungsfall einzuschätzen. Und auch wenn Mutter und Tochter kritisch oder gar verächtlich aufeinander blicken, haben sie mehr gemeinsam, als sie ahnen: etwa den vom Ehebeuteschema abweichenden Künstler Jakob, mit dem sie beide schlafen.

Der perfideste Kniff in „Aberland“ ist jedoch Klemms Entscheidung für zwei verschiedene Erzählperspektiven: Elisabeth erzählt in der ersten Person, Franziska wird aus der dritten geschildert. Ein irritierender, ja paradoxer Tausch, denn die vermeintlich fremdbestimmtere Elisabeth erscheint so als ichsagendes Subjekt; illusionslos, aber ganz bei sich.

Franziska, die so heftig um ihre Integrität ringt, entfernt sich indessen innerlich immer weiter von ihren Nächsten und damit auch sich selbst: „Ich danke mir und ausschließlich mir, dass dieses Studium entgegen allen Widrigkeiten fertig geworden ist“, würde sie am liebsten in der Danksagung ihrer dann doch abgeschlossenen Doktorarbeit schreiben.Einmal, beim Flirt mit Jakob, fühlt sie sich „in ihrer Passivität auf eine fast fossile Weise feminin, was tut sie denn da, mit schiefem Kopf himmelt sie einen Mittsechziger an (…)“. Zum Glück kann die sonst so verkrampfte Franziska in diesem Moment den „fossilen“ Habitus spielerisch nutzen – ihrer Mutter wäre er wohl gar nicht aufgefallen.

Gertraud Klemms kluge feministische Prosa pinselt die versteinerten Überbleibsel überlebter Emotionen und Verhaltensweisen höchst unterhaltsam frei – und zeigt, dass auch das, was als Emanzipationsfortschritt gilt, seinen Preis hat.

Gertraud Klemm: Aberland. Roman. Droschl Verlag, Graz 2015. 184 Seiten, 19 €.

Eva Behrendt

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