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Wolfgang Kubicki

© imago/Revierfoto

Schlüsselroman „Der Sandkasten“ : Nassrasierer fürchten sich nicht

Christoph Peters verspottet in seinem Roman „Der Sandkasten“ den Berliner Politbetrieb. Mit dabei: ein eitler Oberliberaler und „sein lautester Stellvertreter“.

Vielleicht leidet Kurt Siebenstädter nur an einer Midlifecrisis, aber es ist wohl schlimmer. Nach außen mag es scheinen, als sei der Starmoderator einer Morgensendung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit Glück und Geld gesegnet. Hunderttausende Hörer kennen seine Stimme, seine zwölf Jahre jüngere Ehefrau und die 13-jährige Tochter lieben ihn, das Haus im Berliner Stadtzentrum ist fast abbezahlt. Aber innendrin sieht’s anders aus, da spürt er, wie ihm gerade sein Leben entgleitet.

Wenn Siebenstädter über Neuanfänge nachdenkt, fällt ihm nur ein, dass er bald 52 sein wird, also ein Prachtexemplar der Spezies ]alter weißer Mann. Wo sollte er hingehen? Bei einem privaten Dudelfunksender würde er nicht mal die Namen der Bands kennen, die er ansagen müsste. Mit seiner Sendung erreicht er zwar noch ein großer Publikum, aber es schrumpft und ist überaltert.

Außerdem wird ihm zugetragen, dass sich „etwas zusammenbraue“ gegen ihn, weil er in seinen gnadenlos geführten Interviews zu Provokationen neigt und mitunter Wörter benutzt, die als diskriminierend empfunden werden könnten. Für einen wirklichen Aufbruch fehlt ihm die Phantasie, deshalb macht er weiter, „obwohl er wusste, dass seine Zeit abgelaufen war“.

Siebenstädter ist der Held von Christoph Peters’ Politbetriebsroman „Der Sandkasten“. Für dieses menschliche Auslaufmodell in seiner ganzen Jammerlappigkeit müsste man sich nicht weiter interessieren, wenn sein Scheitern nicht symptomatisch wäre. Denn der abgehalfterte Großjournalist hatte durchaus mal Ideale. Fragensteller ist er geworden, „um die Gewissheiten auszuhebeln, zu zweifeln, zu spotten“. Lauter Eigenschaften, die sich nun, in Zeiten einer neuen „Hypermoral“ und eines „totalitären Transparenzwahns“, wie er es nennt, gegen ihn wenden können.

Sein Berufsethos, „an nichts zu glauben“ und „nichts zu meinen“, wirkt hoffnungslos anachronistisch. „Die ungehörige Frage war seine Form von Aufrichtigkeit, die einzige, der er sich verpflichtet fühlte.“ Siebenstädters persönliche Tragik liegt darin, dass er sich inzwischen schon nach dreißig Minuten nicht mehr an die Fragen erinnern kann, die er in seiner Sendung einem Politiker gestellt hat.

Das Problem von eng an der Wirklichkeit entlang geschriebenen Schlüsselromanen über den politisch-medialen Komplex wie Dirk Kurbjuweits „Nicht die ganze Wahrheit“ oder zuletzt Ulf Erdmann Zieglers „Eine andere Epoche“ ist, dass sich der Leser womöglich an manchen Twist im Plot noch aus der Zeitung erinnert.

Christoph Peters

© Peter von Felbert

Peters, der zuletzt mit seinem „Dorfroman“ zu den Kämpfen um den Schnellen Brüter in seine niederrheinische Heimat der Ära Helmut Schmidt zurückgekehrt war, beruft sich in einer Vorbemerkung lieber auf Wolfgang Koeppens im Adenauer-Bonn angesiedelten Zeitroman „Das Treibhaus“, gewissermaßen der Goldstandard des Genres. Wie Koeppen seinem Protagonisten, dem Bundestagsabgeordneten Keetenheuve, folgt auch Peters dem Untergeher Siebenstädter zwei Tage lang durch die Büros und Hinterzimmer der Hauptstadt. Und wie für Keetenheuve wird es auch für Siebenstädter nicht gut enden.

„Der Sandkasten“ spielt im November 2020, kursiv gesetzte Schlagzeilen begleiten wie ein Livestream die Handlung. Biden hat die Wahl gewonnen, ein schlimmer Corona-Winter droht, Merkel mahnt zur Vorsicht. In Siebenstädters Nahsicht zerbröselt das Pathos der Politikerworte zu hohler Rhetorik, der Betrieb kreist hauptsächlich um sich selbst, es geht um Eitelkeiten, taktische Manöver und alte Fehden. „Es war ein Spiel“, heißt es einmal, wie im Sandkasten rangeln die Kombattanten darum, wer das größte Förmchen bekommt. Politik als Intrigantenstadel, wobei sich die SPD-Zentrale als das „mit Abstand blutigste Schlachtfeld in der Parteienlandschaft“ erweist.

Peters versichert, dass seine Figuren nicht mit realen Personen identisch seien. Trotzdem lassen sich die Vorbilder für die Spitzenpolitiker, die Siebenstädters Weg kreuzen, leicht erkennen. Der Oberliberale Buchner, ein „eiskalter Machtmensch und eitler Schönling“, der seine Partei fast allein zurück in den Bundestag führte, trägt Züge von FDP-Chef Lindner. Bei „seinem lautesten Stellvertreter“, dem holsteinischen Lebemann Radunski, dürfte es sich um Wolfgang Kubicki handeln. Und der SPD-Professor Bernburger, ein Moralapostel im Tweed-Jackett, ist die Karikatur des SPD-Gesundheitspolitikers Karl Lauterbach.

Schwerer dechiffrieren lässt sich die eloquente, hardcore-feministische SPD-Linksflügelfrau Maria Andriessen. Vielleicht eine Mischung aus Saskia Esken und Sarah Wagenknecht? Siebenstädter findet sie hinreißend, und als Andriessen ihn zu einem Tête-à-Tête in ihr Abgeordnetenbüro einlädt, hofft er auf eine Affäre. Nicht sein letzter Irrtum. In Wirklichkeit will sie nur Gerüchte streuen, um ihren Lieblingsfeind von der CDU zu demontieren.

Der Gefahr, die News von gestern erneut in literarisierter Form aufzutischen, entgeht Peters, indem er sich mit Verve in die Satire stürzt. Das Treffen von Siebenstädter mit Bernburger in einem Drogeriemarkt am Bahnhof Friedrichstraße entwickelt sich zum kabarettistischen Glanzstück.

Siebenstädter will sich ein Deo besorgen, um seinen Angstschweiß vor der Begegnung mit Maria Andriessen wegzusprayen. Und Bernburger kauft sich Einmalrasierer und Rasierschaum, weil er fürchtet, dass seine Bartstoppeln unter der Coronamaske bis Mitternacht so lang sein würden, dass sie den Schutz vor Viren deutlich senkten.

Als Leser dieses bitterbösen wie hochkomischen Buchs glaubt man manchmal geradezu in Siebenstädters Kopf zu stecken. Allein der Auftakt, eine zwanzigseitige Heimfahrt vom Hauptstadtstudio an der Spree bis nach Prenzlauer Berg, gleicht einem Bewusstseinsstrom, in dem der Radiomann jedes Mal an Clankriminalität denkt, wenn er einen Menschen mit dunkler Hautfarbe sieht.

Sympathisch ist er nicht, trotzdem wächst er einem ans Herz. Vielleicht weil man die innere Einsamkeit förmlich riechen kann. Seine Karriere verdankt er dem Reden, aber für seine Ängste fehlen ihm die Worte.

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