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Der Schriftsteller Zoran Drvenkar hat den Stoff auch als Bühnenstück am Grips Theater herausgebracht.

© Peter-Andreas Hassiepen

Sommerbücher - für Kinder und Jugendliche: Keine Angst vor falschen Helden

Zeitreisen und Generationenliebe. Zoran Drvenkars tolle Großvater- und Enkel-Geschichte „Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück“ macht Schluss mit Lebenslügen.

Eine Zeitreise von hundert Jahren, Jahreszeiten, die wie im Zeitraffer wechseln, ein elfjähriger Junge, der Soldat wird, sein hundert Jahre alter Großvater, der den Enkel knebelt und fesselt. Die Unwahrscheinlichkeiten überschlagen sich in diesem wundersamen Kurzroman nur so.

Und doch hat Zoran Drvenkar in „Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück“ keine Fantasy geschrieben, sondern eine zutiefst literarische Erzählung, in der die Dinge genauso im Kopf wie in der Realität geschehen und sich Fantasie und Fiktion durchdringen. Gespickt mit gelungenen Sprachbildern wie der Beschreibung des Großvaters. „Er ist so alt, dass sein Schatten ungeduldig von hinten schiebt, weil ihm der alte Mann zu langsam geht.“

Nicht nur die Schritte von Opa sind unsicher, auch sein Gehirn funktioniert nicht mehr gut. Deswegen hat er Kai, der ihn besucht, auch gefesselt. Der demente Greis erkennt seinen Enkel manchmal nicht. Und weil er in seinem Haus auftaucht, hält er ihn für einen Einbrecher. Opas merkwürdiges Benehmen hindert Kai, den naseweisen Helden, aber nicht daran, ihn wie verrückt zu lieben. Die beiden sind ein Team, ein unzertrennliches Gespann.

Drvenkas abenteuerliche Geschichte ist eine warmherzige Hommage an den generationenübergreifenden Bund, der Großeltern und Enkelkinder verbindet. Eine Beschreibung der selbstverständlichen Komplizenschaft zwischen Alten und Jungen, die nicht mehr oder noch nicht über die volle Lebenssouveränität verfügen und beide von der Fürsorge der Eltern-Generation abhängig sind.

Zugleich räumt der Roman mit den Mythen der Erwachsenen auf, die in Familien immer weiter erzählt werden. Deren persönliche Geschichtsklitterung lässt die Biografie häufig besser aussehen, als sie tatsächlich verlaufen ist. Drvenkars Geschichte, die 2021 bereits am Berliner Grips Theater uraufgeführt wurde und dort nach wie vor zum Repertoire gehört, paraphrasiert nicht von ungefähr die Redewendung „Opa erzählt vom Krieg“. Opas Lebenslügen, die Kai auf ihrer gemeinsamen Reise in dessen Erinnerung schmerzhaft registriert, demontieren gleichzeitig die Heldengeschichten des Soldatentums an sich.

An der Front herrscht alle Tage Sonnenschein

Alle Tage Sonnenschein, nirgends Tote und häufig Schnitzel auf dem Tisch. So stellt Kai sich nach Opas Erzählungen die Front vor. Doch weil der Großvater die Kriegsgeschichten immer weniger zusammenbekommt, glaubt Kai, sie seien der Schlüssel zur Reparatur seiner Erinnerungen. „Ich bin dein Gedächtnis“, sagt Kai zu Opa.

Obwohl Kais Mutter die beiden bald abholen will und sich immer wieder per Handy in Erinnerung bringt, verlassen sie Opas Haus und ziehen mit der 52. Kompanie in den Krieg. In einen weder geografisch noch historisch verorteten Konflikt übrigens. Das Thema ist so universell wie das der Großeltern-Enkel-Liebe, was dem Buch Tiefe und Fallhöhe gibt.

Den Wechsel von Ort und Zeit fängt Drvenkar durch die dialogische und lakonische Erzählweise auf, die auch Impressionen der Front einschließt. In Winterszenen, in denen der Hunger in Kais Buch wühlt, die Kameraden sterben, auf sinnlose Durchhalteparolen des Generals Gefangenschaft folgt und Kai, der alles erlebt, was Opa in Wahrheit widerfahren ist, auf der Flucht aus dem Lager ein Auge und beinahe das Leben verliert. „Augenklappe ist kein Spaß“, stellt Kai gegen Ende der Reise in Opas Kopf fest. „Das kannst du laut sagen“, stimmt Opa zu. Dass der Krieg auch kein Spaß ist, haben beide endgültig begriffen.

Am Ende von „Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück“ steht ein Abschied, der ungemein tröstlich ausfällt. Nicht nur, weil das Opa- und Enkel-Gespann weiterbesteht, sondern weil Zoran Drvenkar bis zum letzten Satz die Balance der ernsten Themen und guten Gefühle traumwandlerisch sicher gelingt.

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