zum Hauptinhalt
Blick in die Ausstellung „Evaporating Suns – Zeitgenössische Mythen vom Arabischen Golf“ in der Kulturstiftung Basel H. Geiger.

© Kulturstiftung Basel H. Geiger | KBH.G

Tränen aus Glas: Junge arabische Kunst in der Basel H. Geiger Stiftung

Kunst der Golfregion oder Keramik aus Siebenbürgen: Der Ausstellungsraum von Sibylle Piermattei-Geiger überzeugt mit einem spezifischen Blick.

Mikromotoren wurden in der Manufaktur mal gebaut, ein Symbol für Wissen und Technik. Nun geistert hier, neben diversen skulpturalen Fabelwesen, ein Dschinn herum, der sich selbst einen leicht exaltierten Schutzgott nennt. Die Exorzisten um ihn herum sehen das anders: Sie wollen den gefährlichen Plagegeist aus den Körpern von Muslimen treiben, die vermeintlich von ihm besessen sind.

Der Dschinn ist fiktiv, Farah Al Qasimi kreiert seinen Charakter nach der mythologischen Erscheinung Um Al Naar und macht ihn zum Protagonisten ihres 45-minütigen Films „Mother of Fire“. So richtig hell scheint sein Licht jedoch nicht. Die Menschen vergessen ihn allmählich – und je weniger sie an ihn glauben, desto geringer sind seine Chancen, etwas Chaos in ihr Leben zu bringen. Dabei sei das, meint der Dschinn-Darsteller unter zerschnittenen Laken, eine echte Bereicherung.

Koloniales Erbe der Golfregion

„Mother of Fire“ lohnt jede Sekunde in der Kulturstiftung Basel H. Geiger. Die Mischung aus Improvisation, Reality-TV, abgründigem Humor und larmoyanter Hauptfigur hält einen im Sitzsack. Ein bisschen benommen kommt man aus der Show, in der die Künstlerin nebenbei noch die koloniale Geschichte der Golfregion und ihre Folgen aufrollt. Vergangenheit und Gegenwart sind in der Ausstellung „Evaporating Suns“ keine separaten Sphären: Auch wenn es um „Mythen aus der arabischen Golfregion“ geht, schließt jedes Werk an das Jetzt an.

So bezieht sich Mashael Alsaie auf eine bahrainische Legende, nach der die Binnengewässer der Golfregion fruchtbare Paradiese verkörpern. Speziell geht es ihr um die Adhari-Quelle, die von weiblichen Tränen gespeist wird. Die Künstlerin macht sie zu hochästhetischen, transparenten Glasobjekten und gleichzeitig zur erstarrten Materie, die an das Versiegen der Quelle erinnert. Eine Folge von Umweltsünden und menschlicher Hybris. Die Ausstellung hat viel davon zu bieten. Das kritische Potenzial der insgesamt 13 Künstler:innen verbirgt sich in zarten Zeichnungen von Abdullah AlOthman ebenso wie in Mischwesen, die einem fremd scheinen. Und doch zeigt sich eine ikonografische Schnittmenge.

Stühle, wie sie Alaa Edris hat schnitzen lassen, können auch als Thron gelesen werden; selbst wenn man die mythologischen Kreaturen, die sich in den Rückenlehnen als Gesichter manifestieren, nicht kennt. Der Dschinn wiederum, den der Westen in seinen poppigen Adaptionen stets in Flaschen sperrt und zum Wunscherfüller macht, ist in der arabischen Mythologie ein Parallelwesen aus dem Zwischenreich – mit durchaus dämonischen Zügen.

Der Eintritt ist kostenlos – der Katalog auch

Kuratiert wurde „Evaporating Suns“ von Munira Al Sayegh, einer erfolgreichen Kuratorin, die in Abu Dhabi lebt und die Szene kennt. Fast jede der in Basel gezeigten Arbeiten ließ sie in Auftrag geben. Eine finanzielle Freiheit, die einiges über die Stiftung erzählt. KBH.G, wie sie abgekürzt heißt, verfügt über genügend Kapital, um den kostenlosen Eintritt zu ermöglichen. Wer mag, darf sich einen der aufwändig produzierten Kataloge zu jeder Ausstellung mitnehmen. Auch sie sind frei. Und irgendwie glaubt man in der Stiftung, die ihre 500 Quadratmeter große Halle 2019 eröffnet hat, ein leises Gegenmodell zum die Stadt dominierenden Kunstevent Art Basel zu entdecken.

Geld spielt natürlich (auch) eine Rolle für die nach dem Schweizer Unternehmer Hermann Geiger benannten Stiftung. Der Enkelin und Gründerin von Sibylle Piermattei-Geiger, die 2020 mit 90 Jahren verstarb, schwebte jedoch ein allen zugängliches Kulturforum vor. Dessen Ausstellungen bedienen nicht die Erwartungen an auf dem Markt gefragte Kunst, sondern gewähren Seitenblicke wie jetzt auf kritische arabische Positionen. Das ist ziemlich spannend und ein Beispiel dafür, was Basel jenseits der Messezeit zu bieten hat.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false