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Birgit Rieger

© Tagesspiegel/Nassim Rad

Vom grüneren Gras auf der anderen Seite: Vernissage-Pirouetten

Vielleicht hat man die sozialen Events auch einfach ein bisschen verlernt. Neulich jedenfalls stand ich plötzlich allein da.

Eine Kolumne von Birgit Rieger

Vor vielen Jahren schrieb ich für ein Stadtmagazin einen ausführlichen Text über die Kunstszene in Berlin. Die These war: „Kunst ist Pop“. Immer mehr Menschen interessierten sich für Kunst, Vernissagen entwickelten sich von der drögen Abendgestaltung zum coolen Partyevent.

Dem Text war eine intensive Recherche vorausgegangen. Ich war in Galerien, bei der Berlin Biennale-Party, in der Neuen Nationalgalerie bei einer Eröffnung. In der Neuen Nationalgalerie beobachtete ich einen eindrücklichen Tanz, bei dem die Gäste sich in kreiselenden 360-Grad-Drehungen durch die Räume bewegen.

Alle und alles im Blick haben, jederzeit bereit zum Absprung

„Dieses langsame Drehen um die eigen Achse ermöglicht es, Umweltkoordinaten, wie die räumliche Nähe zu Botschaftern und Vorstandsvorsitzenden, ständig zu optimieren und gleichzeitig Small-Talk zu betreiben und die wichtigsten Bilder zu kommentieren“, schrieb ich damals ein bisschen prätentiös. Aber ist schon was Wahres dran: Wird eine interessantere als die aktuelle Gesprächspartnerin gesichtet, kann man sich über dieses Kreiseln aus der bisherigen Gruppe lösen, und über einen Abpraller an einer weiteren Person dem Wunschkandidaten annähern.

Die Zeiten haben sich verändert. Während der Pandemie waren große Vernissagen nicht an der Tagesordnung und im Moment freut man sich eigentlich über jede Art von Zusammenkunft. Auch habe ich das Gefühl, das die Menschen in dieser Hinsicht geschmeidiger geworden sind. Alle stellen alle einander vor und heben freundlich individuelle Features hervor: „Hey, kennst du schon Paul? Paul liebt Kunst, das Berghain und Halbmarathon.“

Neulich war ich bei einer Veranstaltung und musste an meine Beobachtung von damals denken. Ich betrat das Fest mit zwei Begleitungen die beide auf keinen Fall alleine zu dem Event hatten gehen wollen. Gingen wir also zu dritt. Kaum angekommen, kein gemeinsamer Drink war genommen, keine Neuigkeit ausgetauscht, reckten die beiden die Hälse und scannten mit diesem „mal schauen wer sonst noch da  ist“-Blick den Saal.

Ein Gespräch konnte in dem Moment zwischen uns schon gar nicht mehr stattfinden, weil die Körper zwar noch da, die Aufmerksamkeit aber längst woanders war.

Ein paar Sekunden später drehte sich die erste Person aus unserem Kreis hinaus, eine andere Zielperson fest im Blick. Und dann auch die zweite. Ich stand allein. Und fing meinerseits an zu kreiseln.

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