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2019 wurde Margit Carstensen in Berlin mit dem Götz George Preis ausgezeichnet.

© imago images/Eventpress

Zum Tod von Margit Carstensen: Der unterschätzte Star der „Fassbinder Factory“

Der größte deutsche Regisseur lebte seine sadomasochistischen Fantasien oft an Margit Carstensen aus. Aber sie fand in dieser Beziehung eine persönliche Freiheit. Ein Nachruf auf die eigenwillige Schauspielerin.

Von Andreas Busche

Von all den Frauen, die in den vergangenen vier Dekaden immer wieder als „Musen“ von Rainer Werner Fassbinder bezeichnet wurden, war Margit Carstensen am ehesten die Darstellerin, die der Regisseur als sein Alter Ego vor der Kamera betrachtete. Das gilt besonders natürlich für sein Melodram Die bitteren Tränen der Petra von Kant“, in dem Fassbinder seine eigene toxische Liebesbeziehung zu Günther Kaufmann verarbeitete. Carstensen erzählte später, unter anderem in Annekatrin Hendels Dokumentarfilm „Fassbinder“, dass er ihr dieses pikante Details bei den Dreharbeiten vorenthalten hatte.

Es war 1972 bereits ihr dritter Film mit Fassbinder innerhalb von zwei Jahren, mit den kleinen seelischen Grausamkeiten war sie bestens vertraut. In gewisser Weise zog sie sogar ein wenig Selbstbestätigung aus der Aufmerksamkeit des Regie-Zampanos, weswegen sie auch die ideale Projektionsfläche für Fassbinders sadomasochistische Anwandlungen war.

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Die bis zur Selbstaufgabe an der Untreue ihrer Geliebten leidende Petra von Kant, die nahezu stimmlose Martha in dem gleichnamigen Drama an der Seite von Karlheinz Böhm, der seine Frau in die körperliche Abhängigkeit treibt, die depressive Margot, gefangen in einem spießbürgerlichen Albtraum, aus „Angst vor der Angst“: Margit Carstensen besaß vielleicht nicht den Hollywood-tauglichen Glamour der jungen Hanna Schygulla, die immer Fassbinders Objekt der Begierde blieb, oder die mondäne Präsenz einer Ingrid Caven.

Aber im Kreis der Frauen, mit denen Fassbinder sich umgab, schien ihre makellose Alabasterhaftigkeit immer eher dazu angetan, latente Gewaltfantasien auszuleben. Keine dankbare Rolle. Aber oft diejenige, die in seinen Filmen die emotional stärkste Resonanz hervorrief. Über ihr Verhältnis zu Fassbinder sagte sie noch vor einigen Jahren, dass es in der Natur von Schauspielern liege, ausgenutzt werden zu wollen. „Das ist der Himmel!“ 

Was manchmal vergessen wird: Es gab für Margit Carstensen noch eine Karriere nach 14 Filmen mit Fassbinder – auch wenn die Rollenangebote seltener wurden. Es ging schon 1981, ein Jahr nach dem Großwerk „Berlin Alexandrplatz“, vielversprechend los mit dem Bodyhorror-Film „Possession“, in dem sie die beste Freundin von Isabelle Adjanis Hauptfigur spielt, die in ihrer Wohnung mit Blick auf die Berliner Mauer eine furchterregende Kreatur gebiert. Da schien es, als könnte Carstensen sich aus dem Bannkreis Fassbinders lösen. Es folgten Filme mit Werner Schroeter, Agnieszka Holland und Peter Zadek, den sie noch aus ihrer gemeinsamen Zeit in Bremen kannte.

Grenzen überschreiten mit Fassbinder und Schlingensief

Die 1940 in Kiel geborene Margit Carstensen zog es in den späten 1950er Jahren für ein Schauspielstudium nach Hamburg, wo sie von 1965 bis 1969 zum Ensemble des Schauspielhauses gehörte. Von dort ging sie 1969 nach Bremen; hier traf sie Fassbinder, der ihre Karriere prägen sollte. 1977 erhielt sie ein Engagement an den Staatlichen Schauspielbühnen in Berlin. Im Ensemble der „Fassbinder Factory“ gehörte Carstensen zu den wenigen klassisch ausgebildeten Darstellerinnen.

Szene aus „Martha“ von 1973, den Margit Carstensen als ihren Lieblingsfilm mit Rainer Werner Fassbinder bezeichnet.

© PICTURE ALLIANCE

Die Freiheit, die sie in diesem Kreis zu schätzen lernte – und die sie auf der Bühne nur selten ausleben konnte –, fand sie fast zehn Jahre nach Fassbinders Tod erst wieder in der Zusammenarbeit mit Christoph Schlingensief, der sie für „100 Jahre Adolf Hitler“ und „Terror 2000“ erneut vor die Kamera holte. Mit Schlingensief schließt sich gewissermaßen auch ein Kreis. In der Kontinuität des deutschen Kinos über die Durststrecke der 1980er Jahre hinaus spielt Margit Carstensen eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Das führte letztlich auch dazu, dass sie in den 2000er Jahren für Leander Haußmann, mit dem Carstensen auch häufig am Theater in Bochum arbeitete, Romuald Karmakar, Chris Kraus, Oskar Roehler und Frauke Finsterwalder wieder vor der Kamera stand. Ihre Filmografie ist rückblickend nicht sehr umfangreich, die Wahl ihrer Rollen aber überaus speziell.

Bereits am Donnerstag ist Margit Carstensen im Kreis ihrer Familie im Alter von 83 Jahren gestorben, in ihren letzten Jahren hatte sie zurückgezogen in Schleswig-Holstein gelebt. Ihr letzter Auftritt vor der Kamera war 2016 eine Rolle im „Tatort“: im angemessenen Rahmen an der Seite ihrer Fassbinder-Mitstreiterinnen Eva Mattes, Irm Hermann und Hanna Schygulla.

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