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Eingeschworen: Premierministerin Giorgia Meloni gratuliert ihrem soeben vereidigten Innenminister  Matteo Piantedosi. Neben ihr (rechts) Staatspräsident Sergio Mattarella.

© Quirinale Press/Francesco Amendola

Misstrauen auf Vorschuss: Die triumphierenden Erklärungen aus Melonis Kabinett lassen schaudern

Der Impuls zu glauben, es werde schon alles nicht so schlimm werden, ist menschlich verständlich. Er kann aber blind für die Wirklichkeit machen – wie jetzt in Italien.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Der übliche demokratische Seufzer nach mehr oder weniger langem Gezerre um Gewichte und Personen in einer Koalitionsregierung lautet: Nun lassen wir sie erst mal regieren, kein Misstrauen auf Vorschuss. Das hat Giorgia Meloni mit der Präsentation ihrer Kabinettsliste nun vollends unmöglich gemacht.

Die gute Konservative wirkte zunächst wie die wahre Gemäßigte, während Berlusconi und Salvini, die Männer an ihrer Seite über Tisch und Bänke springen: Davon war, kaum hatte Meloni die Ernennungsurkunde sicher, nichts mehr übrig.

Beispiel Klima: Selbst schüchterne Versuche einer grünen Wende Italiens will die Rechtsregierung abwürgen. Nicht, dass die Regierung Draghi, die den ersten „Minister für ökologischen Umbau“ beschäftigte, da besonders viel geleistet hätte. Aber das neue Ministerium, jetzt „für Umwelt und Energiesicherheit“, will selbst den Anschein von grünem Engagement zerstreuen.

Als sicher gelten der Ministerpräsidentin und ihren Partnern Atomkraft, Öl und Gas, alles aus heimischer Erde geholt natürlich. Die heimischen Energiequellen Sonne, Wind und Wasser, die Italien im Überfluss besitzt, dürfen weiter bestenfalls für die Notaufladung des Handys am Strand zum Einsatz kommen. Fragt sich, wann das Brüssel merkt, das 200 Milliarden eigens mit dem Verwendungszweck „nachhaltiger Umbau“ nach Rom überwiesen hat.

Hilfe wird abgeschafft statt Armut bekämpft

Auf dem andern brennenden Feld, der Armutsbekämpfung, hat Meloni längst beschlossen, nicht zu löschen, sondern zu zündeln. Der nicht ausreichende, aber wegweisende Versuch der Fünf-Sterne-geführten Regierung Conte wird abgebrochen.

Ihr Bürgereinkommen, der „reddito di cittadinanza“, von dem die Allerärmsten, nämlich Nichtstaatsbürger:innen, sowieso ausgeschlossen sind, soll abgeschafft werden. In ihrem jüngsten Bericht zählte Italiens Caritas inzwischen knapp ein Zehntel der Bevölkerung als absolut Arme.

Dies ist ganz sicher eine identitäre Regierung

Giovanbattista Fazzolari, Programmchef der Fratelli d’Italia

Und das ist nicht alles: Im Wahlkampf versprach die jetzige Regierungschefin, die Rechte von Frauen und LGBTIQ* nicht anzutasten - jedenfalls nicht die, die sie schon haben, wie das Recht auf Abtreibung und die Ehe für alle. Jetzt hat sie eine Ministerin geholt, die nicht einmal die existierenden Rechte anerkennt: Eugenia Roccella, Ministerin „für Familie, Geburtenrate und Gleichstellung“ ist sogar gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften.

Meloni muss entscheiden: Amtseid oder ihr Programm?

„Homopropaganda“ oder „Sexualisierung“ sind die Kampfbegriffe der extremen Rechten in Italien wie anderswo. Wer unter Meloni wichtige Stellen und Mikrofone besetzt, wird nun täglich Propaganda gegen Menschen anderer als heterosexueller Orientierung machen können.

Matteo Salvini wird kaum darauf verzichten, die Hetze gegen Migrant:innen aufzugeben, mit der er vor Jahren schon Stimmen einkaufen ging. Sie wird auch auf Kosten der Millionen Menschen im Land gehen, die in Italien aufgewachsen sind, sich voll und ganz italienisch fühlen, aber daran gehindert werden, es zu sein.

Meloni und alle ihre Minister:innen haben am Samstagvormittag vor dem Staatspräsidenten geschworen, „die Verfassung und die Gesetze getreu zu befolgen“. Dann aber müssen sie das Programm verraten, das sie jetzt erst recht uneindeutig öffentlich gemacht haben. Gleichheit und soziale Rechte sind in der italienischen Verfassung eher noch stärker verankert als etwa in der deutschen.

Ein Triumph, 100 Jahre nach Mussolinis Marsch auf Rom

Der Impuls zu glauben, es werde schon alles nicht so schlimm werden, ist menschlich verständlich. Er macht aber manchmal blind für die Wirklichkeit. Dass diese Regierung das, was sie verkündet, genau so umsetzen will, hat am Morgen der Vereidigung - auch hier ist der Zeitpunkt interessant - der Mann noch einmal betont, der als Melonis Chefideologe gilt.

„Ökologischer Umbau“ ist ihm ein Gräuel, ein „schrecklich hässliches Wort“, genauso wie die Idee, das Geschlecht nicht als Naturgeschenk, sondern als veränderlich anzusehen. Ja, man werde keine Regierung wie jede andere, so Giovanbattista Fazzolari, der Programmverantwortliche der FdI: „Dies ist ganz sicher eine identitäre Regierung.“

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Rechte Identitätspolitik an der Macht, Nationalismus, der Vielfalt homogenisieren und leugnen muss, was ohne Gewalt nicht geht. Nächste Woche sind es hundert Jahre, dass mit Mussolinis „Marsch auf Rom“ das Zeitalter des Faschismus für ganz Europa anbrach. Die triumphierenden Erklärungen der Sieger:innen vom 25. September kann man, gerade jetzt und gerade mit deutschen Ohren, nur mit Schaudern hören.

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