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Reinigung von Stolpersteinen zum 73. Jahrestag der Befreiung vom KZ Auschwitz in Berlin-Kreuzberg und Neukölln am 27. Januar 2018.

© imago/Emmanuele Contini

Holocaust-Gedenktag: Im Hallraum einer sperrigen Geschichte

Wissen, was war, und aushalten, dass es nicht anders war: Je weiter der 27. Januar 1945 zurückliegt, desto größer werden die Zumutungen, die mit dem Gedenken verbunden sind.

Ein Kommentar von Malte Lehming

So war es bisher: Am 27. Januar wird der Opfer des Holocaust gedacht, vor Antisemitismus gewarnt und „Nie wieder!“ geschworen. Kränze werden niedergelegt, Kerzen entzündet. So wird es auch diesmal sein. Solche Gedenktags-Rituale bleiben wichtig - aus Respekt vor den Opfern, zur Selbstvergewisserung einer Gesellschaft, die ihre Vergangenheit nicht leugnet, und als Mahnung.

Doch in diesem Jahr wirkt der Jahrestag sperriger als sonst. Viele historische Wahrheiten formen sich nicht zu einem Bild oder einer erzählbaren Geschichte. Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee die letzten lebenden Inhaftierten aus Auschwitz. Kriegsgefangene aus der Sowjetunion waren in den Gaskammern als erste ermordet worden.

Es folgten Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Behinderte, Zeugen Jehovas, Widerstandskämpfer, Kommunisten, Sozialdemokraten. Der Gedenktag ist allen Opfern des Nationalsozialismus gewidmet. Eine Hierarchisierung verbietet sich.

In der Ukraine gab es acht Millionen Kriegsopfer

Es ist gut möglich, dass ein Soldat der russischen Armee, die in der Ukraine einen brutalen Eroberungskrieg führt, der Urenkel eines ehemaligen Soldaten der Roten Armee ist, die dabei half, Europa vom Hitler-Faschismus zu befreien. Demnächst könnte mit deutschen Panzern auf den Urenkel geschossen werden.

Mehr als 20 Millionen Sowjetbürger waren von den Nazis umgebracht worden. Kaum eine Familie blieb vom Terror der Wehrmacht und dem Wüten der SS-Schergen verschont. Vorausgegangen war der Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939, der den Überfall der Wehrmacht auf Polen erst ermöglichte. Vorausgegangen war auch der Holodomor, die von Stalin verursachte Hungersnot, durch den Millionen Ukrainer ums Leben kamen.

In der Ukraine gab es acht Millionen Kriegsopfer, darunter fünf Millionen Zivilisten. Zur Wahrheit gehört auch, dass ukrainische Nationalisten, die ihr Land von sowjetischer Herrschaft und polnischer Bevormundung befreien wollten, an der Seite der Wehrmacht kämpften und mit dem Deutschen Reich sympathisierten.

Geschichte gebiert Widersprüche und Absurditäten. Donald Trump, der Ex-Präsident Amerikas, empfängt einen Antisemiten und Holocaust-Leugner. Marjorie Taylor Greene, eine Abgeordnete und Antisemitin, möchte an der Seite von Trump für das Amt der Vizepräsidentin kandidieren. Die USA gelten als Inbegriff des freien Westens.

Wissen, was war, erzählen, was war, und aushalten, dass es so und nicht anders war: Je weiter der 27. Januar 1945 zurückliegt, desto größer werden die Zumutungen, die mit dem Gedenken verbunden sind.

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