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Meinung: Keine Nullnummer

Die Piraten geben sich auf ihrem Parteitag pragmatisch.

W ar das nun verstörend? Oder süß? Unkonventionell? Oder peinlich? Bernd Schlömer, Bundesvorsitzender der Piratenpartei und eigentlich das Gegenteil eines Lautsprechers, war in einer Pause des Bundesparteitags der Piraten in Neumarkt in der Oberpfalz am Samstagvormittag plötzlich im etwas eng sitzenden T-Shirt vor dem Podium aufgetaucht und hatte ohne Mikrofon seiner Partei ein „Ich bin motiviert!“ entgegengeschrien. Die Mitglieder hatten daraufhin Din-A-3-Plakate hochgehalten, auf denen genau das stand: „#ichbinmotiviert“.

Hintergrund war eine Verwerfung aus der Vorwoche: Schlömer war mit dem Satz „Uns fehlt die Kraft und die Motivation für den Wahlkampf“ zitiert worden, das hatte an der Basis Unmut hervorgerufen. Mit der „#ichbinmotiviert“-Plakataktion der Basis ebenso wie Schlömers Einsteigen darauf wollte die Partei sich und der Welt zeigen: Seht her, wir machen Schwäche zur Stärke, Streit zum Event, und verlieren dabei weder den Mut noch den Humor.

Eigentlich könnte also alles gut sein – zumal die Piraten am Samstag zunächst mit Schwung durch die Antragsflut zum Bundestagswahlprogramm fetzten: Bereits um kurz nach elf waren die Module des zentralen „Massiven Wahlprogrammantrags“ durchgestimmt. Und völlig unabhängig von konkreten Fragen – davon etwa, dass ein Programmmodul zur Europapolitik durchfiel, das auch das Bekenntnis zu Schuldenschnitten für Staaten und zur Rekapitalisierung maroder Banken enthielt: Allein die Bereitschaft, sich mit einem solchen „Leitantrag light“ auseinanderzusetzen, spricht für einen Reifungsprozess der Partei von der reinen Basisdemokratie hin zu etwas mehr Pragmatismus.

Überhaupt: Dass die Piratenpartei eine inhaltliche Nullnummer ist, stimmt lange nicht mehr. Daran ändert auch nichts, ob die Partei sich auf dem Parteitag in Neumarkt für eine beschlussfähige ständige Mitgliederversammlung im Netz ausspricht. Wer der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens nahe steht oder, allgemeiner, soziale Gerechtigkeit mit der Ermutigung von Unternehmergeist kombinieren möchte, kann sie wählen. Wer die Machbarkeit von Wahlversprechen in Frage stellt, kann das auch bei anderen Parteien machen, die keinen bis zum Verschwinden schlanken Staat propagieren.

Doch Inhalte sind eben nur das eine. Ihre streng öffentliche Streitlust und auch ihre Begeisterung für Details demokratischer Verfahren lassen die Piraten in Krisenzeiten zu kindisch, ihre Anliegen wie Luxusprobleme erscheinen. Dass die Wellen beim Parteitag am höchsten schlagen, wenn es darum geht, wie sich bei netzbasierter Demokratie Nachprüfbarkeit und Anonymität vereinbaren lassen, ist außerhalb der Partei noch nicht als existentiellstes Problem der Zukunft anerkannt.

Unkonventionelle Demutsgesten wie jene Schlömers mögen die Parteimitglieder näher zusammenbringen. Ein Signal in die Richtung derer, die ihres heiligen Unernstes müde sind, ist genau das nicht. Denen könnten Köpfe helfen, die keine Angst vor der eigenen Basis haben. Mit Blick auf die Bundestagswahl ist das zentrale Problem der Partei nicht das Programm, sondern die destruktive interne Kommunikation, die permanent öffentlich beobachtet werden kann. Doch wehe dem Spitzenpiraten, der das vor Publikum sagt.

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