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Ekaterina Bakanowa

© privat

Nachruf auf Ekaterina Bakanowa: Streng, aber aufopferungsvoll

Und wehe, wenn einer sie anlog. Dann sah sie ihn an, sagte seinen Namen, und er versank im Boden

Morgens zogen Kolonnen frischer Soldaten an die Front, abends kehrten abgekämpfte Truppen zurück, trieben Gefangene vor sich her. „Werft den Armen die Kartoffeln zu“, wies Ekaterinas Mutter ihre Kinder an. „Wir haben wenig, aber sie haben nichts. Vielleicht gibt es deutsche Mütter, die ein Herz für unsere gefangenen Männer haben.“

Ekaterinas Vater hatte in den Krieg ziehen müssen, er überlebte, kehrte heim zu seiner Familie nach Woronesch. Sie hatten Glück gehabt, die Stadt war unter der deutschen Besatzung fast vollständig zerstört worden, aber sie wohnten außerhalb, Haus und Familie blieben unversehrt.

Aus einem kleinen Dorf hinterm Ural waren sie hierhergezogen, denn dort war kein Bleiben mehr. Der Bruder des Vaters war erschossen worden von der Geheimpolizei, ohne Grund. Man hatte ihn denunziert, aus Missgunst, aus Neid auf den kleinen Wohlstand, den die Familie sich dort erarbeitet hatte. Die Vorfahren waren einst aus der Ukraine gekommen, in Erdhütten kamen sie unter, hielten ein wenig Vieh, wuschen Gold aus dem nahegelegenen Fluss. Hunger hatten sie nie gehabt, im ganzen Leben nicht, lieber nur ein Kleid am Leib, hatte die Mutter immer gesagt, aber ein voller Tisch.

An einem Ort ohne Namen, weit weg

In Woronesch ging Ekaterina zur Schule. Sie war ein kluges Mädchen, mochte Mathematik und Physik und würde es auch unterrichten, das war ihr früh klar. Wenn sie sich für etwas entschied, setzte sie das auch durch. Sie studierte an einer pädagogischen Hochschule, nur eine Tagesreise entfernt von zuhause, und erhielt eine Stelle in einem Ort ohne Namen, weit weg, wo in geheimer Mission Uran abgebaut wurde. Dass sie dort nicht einsam war, verdankte sich dem Mut Saschas, den sie eines Tages in ihrem Wohnheim traf, wo er sich vor einer Prügelei versteckte. Die beiden verliebten sich, und als Ekaterina wegzog, aber ihm nicht sagen durfte wohin, suchte er sie ein halbes Jahr und fand sie.

Ihre Tochter kam in dem Ort ohne Namen zur Welt, aber das Klima dort in Tadschikistan tat dem Kind nicht gut, und so kehrten sie zurück zu den Eltern. Sie hatten ihr Auskommen, denn Sascha hatte „zwei rechte Hände“, so die russische Redensart, wenn einer sehr anstellig ist. Sascha war tüchtig als Schlosser und Elektriker, so wie Ekaterina als Lehrerin tüchtig war. Aber es gab nicht genug Wohnungen in Woronesch, eng war es, und so nahmen sie das Angebot gern an, nach Nowodonezk zu ziehen, in die Ukraine, wo eine große Mine entstand und viele Arbeitskräfte gebraucht wurden. Ein schöner Ort, neue Häuser, junge Familien, ein Kino, ein Kulturpark, Geschäfte und Kindergärten. Es wurde viel gearbeitet und viel gefeiert.

Ekaterina unterrichtete an der neuen Schule streng, aber aufopferungsvoll, weil sie jedes Kind als ihr eigenes annahm. Nicht viele Mathematiklehrerinnen werden so geliebt, wie Ekaterina von ihren Schülern geliebt wurde. Noch Jahrzehnte nach ihrer Pensionierung erinnerten sich die Schüler an die Klassenfahrten mit ihr, es ging ans Meer, an den Fluss, alles hat sie organisiert, den Bus, die Zelte und etliche Helfer, notfalls musste der eigene Mann als Sportlehrer einspringen.

Sie war eine kleine Person, aber eine Autorität, und wehe, wenn einer sie anlog. Dann sah sie ihn nur an, sagte seinen Namen, und er versank im Boden. Aber wenn einer Hilfe brauchte, weil er keinen Anzug für die Abschlussfeier hatte, auf der er für seine guten Leistungen hätte geehrt werden sollen, gab sie ihm kurzerhand das nötige Geld.

Nach 30 Jahren ging sie vorzeitig in den Ruhestand. Sie hat es bereut, ein wenig. Aber für Ekaterina gab es immer nur ein Vorwärts. Sie erwarb eine baufällige Datscha mit einem großen Garten, da wuchs bald alles, Gemüse und Obst, Mais und Kartoffeln. Da waren Enten, Hühner und ein Schwein, und viele Blumen blühten. Wie früher in der Schule fühlte sie sich verantwortlich für jedes einzelne Gewächs. Und es roch so gut im Haus, nach Gekochtem und Gebackenem.

Ihr einziger Kummer, dass ihre Tochter ausgerechnet einen Deutschen heiraten wollte. Deutschland war so weit weg! Immerhin einer aus dem Brudervolk, der DDR. Die es dann nicht mehr gab, wie auch die Sowjetunion, deren Zusammenbruch sie um all ihre Ersparnisse brachte. Ihr blieb der Garten, den tauschte sie samt Datscha ein, gegen ein kleines Haus, in das sie mit ihrem Mann zog. Sie waren immer schon gern auf Reisen gegangen in den langen Sommerferien, Moskau und St. Petersburg, später Ost-Berlin und dann endlich Paris. Dort spazierte sie allein umher, als die anderen längst müde waren, so verliebt war sie in die Stadt.

Als ihr Mann starb, blieb sie allein mit ihrer Trauer, weil sie kein Visum bekam für Deutschland, wo ihre Kinder und Enkel wohnten. Die Geburt des ersten Urenkels, die Hochzeiten der beiden Enkel, sie durfte nicht reisen. Da musste erst wieder der Krieg in die Ukraine kommen, den sie so gar nicht verstand. „Mein vierter Krieg. Ich bleib im Haus, der Friedhof ist ja um die Ecke.“ Da lag ihr Mann, da wollte auch sie beerdigt werden.

Aber vorher musste sie ihre Familie wiedersehen, und so floh sie in letzter Minute mit ihrer Tochter, die zufällig auf Besuch war, als die Kämpfe begannen, nach Berlin. Aus der Wohnung hier ging sie nur noch ungern, viel lieber saß sie auf dem kleinen Balkon, die Nachbarn grüßten sie, und sie grüßte die Nachbarn. Weil gute Nachbarschaft so einfach sein kann. Vor allem wenn die Urenkel zum Rezeptbuch griffen, und der Geruch eines der berühmten Gerichte alle Nasen des Hauses schnuppern ließ: „Kochen mit Babuschka Katja.“

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