zum Hauptinhalt
Eva Kunz

© privat

Nachruf auf Eva Kunz: „Da prallten Welten aufeinander“

Sie kündigte an der Universität, wurde Hausmeisterin und zog in einer Kirche ein.

Eva schuf große Momente mit kleinsten Mitteln. Freunde lud sie nicht einfach zum Essen ein. Sie legte Tücher und Kissen auf den Boden, drapierte Reis in kleinen Schüsseln, dazu gab es Tee, und fertig war der chinesische Abend. Für ihren Sohn veranstaltete sie eine eigene Zirkusvorstellung und machte alles selbst, Bühnenbild, Akrobatik, Zauberei. Wenn sie eine Freundin besuchte, machte sie sich schön, zog ein selbstgenähtes Kleid an, im Arm trug sie einen Korb mit Stoffen. Mit wenigen Handgriffen gab sie der Kleidung, der Wohnung, der Dekoration den letzten Pfiff.

Wen man auch fragt, ihren letzten Lebenspartner, ihren Sohn, ihre Freundin oder die Kollegin, für sie alle Eva war etwas Besonderes: „Jemand, der wirklich zuhörte, der einen wirklich ansah“, sagt die Kollegin. „Quicklebendig, wie ein Fisch im Wasser“, sagt ihr Sohn.

Vielleicht war es die Lebendigkeit, die sie aus dem „Methodischen Zentrum für wissenschaftliche Bibliotheken“ der Humboldt-Universität herausgetrieben hatte. Oder die Engstirnigkeit des DDR-Betriebes. Obwohl sie ja Bücher liebte, sie Bibliothekswissenschaften und Psychologie studiert hatte, ihr Vater ebenfalls Bibliothekar war und ihre Mutter gelernte Buchhändlerin. Zuhause wurde diskutiert, kritisch und unangepasst. In die Partei trat man selbstverständlich nicht ein, auch wenn es förderlich für die Karriere gewesen wäre.

Pferdeäpfel für den Hiddenseer Efeu

Eva also verließ das „Methodische Zentrum“ und wurde Hausmeisterin in der Französischen Friedrichstadtkirche. 1983 war das, ihr offizieller Arbeitstitel lautete: Kirchmeisterin. Die Stelle war frei, die Gemeinde besuchte Eva sowieso schon, also zog sie ein. Die Kirchmeisterin wohnte in der Dienstwohnung zwischen Turm und Kirchenraum. Sie hatte einen separaten Eingang. Wenn Pferdekutschen mit Touristen vorbeifuhren, rannte Eva runter und sammelte die Pferdeäpfel mit dem Kehrblech auf. Die brauchte sie für den kleinen Garten vor dem Eingang. Den Efeu, der da heute noch wächst, soll sie vom Gerhard-Hauptmann-Haus auf Hiddensee mitgebracht haben. Ob das stimmt? Eva steckte voller solcher kleiner Geschichten.

Eva reparierte, wenn was kaputt ging. Bereitete die Gottesdienste vor, vermietet die Räume, und das Wichtigste: Eva organisierte das Kulturprogramm, Musikabende, Lesungen, Theater, Kleinkunst. Wenn die letzten Lieder gesungen waren, die letzten Noten verklungen, saßen alle noch beieinander, redeten und träumten. Eva und dieser Ort passten zusammen, frei in den Gedanken und Diskussionen, ganz anders als das Land drum herum.

Mit ihren Freunden musizierte sie, sie spielte Flöte, die anderen Cembalo, Cello, Geige. Oder sie lernte Gedichte auswendig und trug sie vor, Gedichte von Paul Verlaine zum Beispiel. Und immer musste sie ihre Hände beschäftigen, nähte Kimonos, bemalte goldene Eier mit zarten Blütenranken. Später, als sie in die Politik ging, faltete sie während langer Sitzungen Origami. Und weil sie auch sonst immer etwas in den Händen halten musste, rauchte sie jede Menge Zigaretten.

Zwei Kinder hatte Eva. Ihren Sohn hielt sie im Arm, da war sie kaum 20. Der Vater kam aus Guinea und studierte in Berlin. Kurz nach der Geburt des Sohnes musste er zurück, Eva und er sahen sich nie wieder. Sie hatte gerade mit dem Studium begonnen, ihre Eltern halfen bei der Betreuung. Eva machte mit ihrem Sohn Fahrradtouren, zeltete irgendwo, was verboten war, egal. 1971 kam die Tochter auf die Welt. Wieder hatte Eva sich in einen Mann aus der Ferne verliebt. Auch die meisten danach kamen von anderswo. Vielleicht war das spannender, lebendiger.

1989, die Mauer fiel, Eva war 42 und trat in die SPD ein. Als wenn sie nur darauf gewartet hätte, endlich frei sprechen zu können. Drei Monate lang war sie Abgeordnete der Volkskammer, im Juni 1990 wurde sie Stadträtin für Gleichstellung im Magistrat Groß-Berlin, 1991 dann Referatsleiterin für Arbeit, Frauen und Soziales im Land Brandenburg unter Regine Hildebrandt.

Informationen aus der Verwaltung

Ehegattensplitting? „Das fand ich schon 1990 ausgesprochen komisch“, sagte sie in einem Interview. Tatsächlich ließ es ihr keine Ruhe, dass mit der Wende auch viele gute Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt wurden. Dass Kinder in der Kita betreut wurden, dass alle Frauen am Berufsleben teilnahmen, dass Abtreibungen nicht bestraft werden. Eva sah ein Rollenverständnis aus dem Westen, bei dem die Frauen zuhause blieben, sich um die Kinder kümmerten, vielleicht ein bisschen dazuverdienten. „Da prallten Welten aufeinander“.

Evas Kampf galt der hohen Frauenarbeitslosigkeit in Brandenburg, der Situation Alleinerziehender. Mehr Frauenhäuser! 2002 wurden viele der Angebote für Frauen eingespart, die sie mitaufgebaut hatte. Da versorgte sie die entscheidenden politischen Stellen mit Informationen, obwohl sie in der Verwaltung das eigentlich nicht durfte. 20 Jahre blieb Eva in Potsdam, bis sie genug gearbeitet, sich genug gekümmert hatte.

Ihre Tochter wollte das Heimatland ihres Vaters kennen lernen, besuchte ihn und sein Dorf, blühte auf, verbrachte eine schöne Zeit. Dabei infizierte sie sich mit zwei verschiedenen Malaria-Erregern, damals konnte man ihr noch nicht helfen, sie starb. Da ist etwas in Eva zerbrochen, das nie wieder geheilt werden konnte. Ein Schmerz, für den es keine Worte gab.

Ihre Freunde hatten es schon länger bemerkt, Eva wurde tüdelig, vergaß Dinge, hatte Stimmungsschwankungen. Sie nahm dann allen Mut zusammen und ging, begleitet von einer Freundin, zum Arzt. Es war Demenz, sie hatte nur noch ein paar wache Jahre vor sich. Die wolle sie nutzen, ordentlich und fröhlich, sagte sie.

Ein letztes Mal sollte sich Eva verlieben. Und es gelang ihr. Der Mann tat ihr gut, mit ihm verreiste sie in die Türkei, nach Ägypten, sie gingen ins Theater, ins Kino.

Als die Demenz schlimmer wurde, musste Eva in ein Pflegeheim. Ihr Sohn und ihr Freund besuchten sie, saßen bei ihr und unterhielten sich miteinander. Eva konnte kein Wort mehr sagen, oder sie wollte nicht. Sie lächelte nur noch.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false