zum Hauptinhalt
Aus Haarfollikeln entsteht ein Modell menschlicher Haut, das bald auch Immunzellen enthalten soll.

© David Ausserhofer

Pharmakologie: Wenn Immunzellen aus der Haut fahren

Das Team von Pharmakologie-Professor Burkhard Kleuser entwickelt ein immunkompetentes Hautmodell, mit dem sich Allergieauslöser identifizieren lassen.

Von Catarina Pietschmann

Ob ein neues Arzneimittel oder Kosmetikum Hautschäden verursacht, lässt sich bereits heute ohne Tierversuche feststellen – an Hautmodellen aus menschlichen Zellen. Sie bestehen aus zwei verschiedenen Schichten: den Keratinozyten, die 90 Prozent der obersten Hautschicht, der Epidermis, ausmachen, und den Fibroblasten, der darunter liegenden elastischen Bindegewebsschicht. Doch um herauszufinden, ob Chemikalien und Arzneistoffe allergische Reaktionen auslösen können – etwa eine Nickelallergie –, müssen häufig noch Meerschweinchen herhalten und hohen Dosen der fraglichen Substanz ausgesetzt werden. „Das liegt daran, dass in die bisherigen Hautmodelle keine Immunzellen integriert werden konnten“, erklärt Burkhard Kleuser, Professor für Pharmakologie und Toxikologie an der Freien Universität Berlin. „Das wollen wir nun ändern.“

Auch Immunzellen befinden sich in der Haut, dendritische Zellen genannt, die die Hautschichten nach eingedrungenen Fremdstoffen absuchen. Entdecken sie etwas, nehmen sie es mit ihren langen Fangarmen auf und wandern damit zum nächsten Lymphknoten. Dort aktivieren sie die T-Zellen, was eine Entzündungsreaktion zur Folge hat. Das T steht für Thymus, einen Teil des Immunsystems im Brustkorb, in dem die Zellen ausdifferenziert werden. Zellen für Hautmodelle gewannen Forschende früher aus Operationsmaterial: aus abgetrennten Vorhäuten von Jungen, die unter Fimose litten. Heute werden dafür auch Haarfollikel verwendet. „Sie enthalten Vorläuferzellen, die wir zu pluripotenten Stammzellen reprogrammieren, um daraus die gewünschten Zellen für das Modell zu züchten“, erläutert Burkhard Kleuser.

Wir wissen zwar, dass Frauen anfälliger für Nickelallergien sind als Männer und dass dunkle Haut anders reagiert als helle. Aber sonst weiß man noch erstaunlich wenig über die Unterschiede.

Burkhard Kleuser, Professor für Pharmakologie und Toxikologie an der Freien Universität Berlin

Die einzelnen Haare werden in der Petrischale kultiviert. Daraus entwickeln sich Keratinozyten und Fibroblasten. Sie werden sortiert und getrennt weiter vermehrt. „Einen Teil der Keratinozyten reprogrammieren wir zu den Stammzellen, die sich dann durch Zugabe von verschiedenen Medien und Wachstumsfaktoren zu den gewünschten Immunzellen differenzieren“, erklärt Doktorandin Marla Dubau. Einmal gewonnen, lassen sich die Haut- und Immunzellen einfrieren, auftauen und viele Male erneut zur Teilung bringen.

Nun werden die Zellen schrittweise gewissermaßen wie Pflanzensamen ausgesät. Zuunterst kommen die Fibroblasten in das Nährmedium. Sie teilen sich weiter, wachsen wie in Rasen zusammen und produzieren dabei Kollagen, was diese Schicht elastisch macht. Darauf werden die Keratinozyten gesetzt; sie bilden die zweite Schicht und wachsen dabei in die Höhe: Sobald sie aus der Flüssigkeit herausragen und mit Luft in Kontakt kommen, beginnen sie, sich auszudifferenzieren und bilden mehrere feine Schichten – ganz wie in echter menschlicher Haut. „Nun werden noch die Immunzellen integriert“, erläutert Marla Dubau.

Ein entscheidender Schritt: alle Komponenten werden aus der gleichen Ursprungszelle gezüchtet

So der Plan, denn noch hat Kleusers Team diese Immunzellen nicht ins Modell eingebaut. Es gab schon vorher Versuche, immunkompetente Hautmodelle zu bauen, bei denen aber Immunzellen aus dem Blut verwendet wurden, erklärt Kleuser. Dies gestaltete sich jedoch schwierig. „Deshalb hatten wir die Idee, alle Komponenten aus der gleichen Ursprungszelle zu züchten, um optimale Bedingungen zu erhalten“, sagt der Pharmakologe. Er ist zuversichtlich. Der Bau des Zweischicht-Modells funktioniert reibungslos und die Bildung der Immunzellen auch. In Kürze will das Team den entscheidenden Schritt wagen. Ein gemeinsames Projekt mit Professorin Sarah Hedtrich vom Berlin Institute of Health in der Charité wurde in der Anfangsphase vom BMBF gefördert – aktuell aus dem Etat der Tierschutzbeauftragten des Landes Berlin.

Angenommen, es klappt: Was passiert, wenn das Hautmodell Fremdstoffen ausgesetzt wird? „Dann scheiden die Keratinozyten bestimmte Alarmstoffe aus, sogenannte Zytokine. Sie alarmieren die Immunzellen und ziehen diese an. Innerhalb von zwölf bis 24 Stunden wandern sie dann durch die Hautschichten nach unten.“ Normalerweise würden sie jetzt einen Lymphknoten suchen. Doch den gibt es im Hautmodell natürlich nicht. Was passiert in dem Fall?

„Wir denken, dass sie aus dem Modell in das Nährmedium austreten – und das können wir unter dem Mikroskop sehen“, sagt der Wissenschaftler. Der Grad der Aktivierung des Immunsystems ließe sich exakt messen, etwa indem eine bestimmte Menge des Nährmediums entnommen würde und die dendritischen Zellen darin ausgezählt werden.

Haarfollikel als Basis für Hautmodelle zu nehmen, hat einen großen Vorteil. Alle bisherigen Modelle basierten überwiegend auf Zellen junger männlicher Spender. Haare können jedoch ohne jeden invasiven Eingriff von Männern und Frauen, Jungen und Alten, Gesunden und Kranken sowie Menschen verschiedener Ethnien gewonnen werden. „Wir wissen zwar, dass Frauen anfälliger für Nickelallergien sind als Männer und dass dunkle Haut anders reagiert als helle. Aber sonst weiß man noch erstaunlich wenig über die Unterschiede“, betont Burkhard Kleuser. „Bald werden wir die Möglichkeit bekommen, all dies über entsprechende Varianten der Hautmodelle abzubilden.“ Ganz ohne Tierversuche.

Für den Inhalt dieses Beitrags ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false