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Ob Zwei-Prozent-Ziel oder Nord Stream 2 - Joe Biden hat vieles angekündigt, was auf Deutschland gemünzt war.

© Brendan Smialowski, AFP

100 Tage und viele verpuffte transatlantische Gesten: Deutschland hat den Neustart mit Joe Biden verpatzt

Vieles, was Biden ankündigt, klingt wie ein Berliner Wunschkonzert. Die Antwort darauf? Eine Fregatte im Südchinesischen Meer. Sonst nichts. Ein Gastbeitrag.

Thomas Kleine-Brockhoff leitet das Berliner Büro des German Marshall Fund, Andrea Rotter das Referat Außen- und Sicherheitspolitik an der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung. Die Autoren geben hier ihre eigene Ansicht wieder und nicht die ihrer Institutionen.

Als Emmanuel Macron 2017 an der Sorbonne-Universität zur Erneuerung des europäischen Projekts aufrief, sprach der französische Präsident vor allem die Bundesrepublik an, um gemeinsam Reformen voranzutreiben. Doch Deutschland, zuvörderst die Bundeskanzlerin, beschwieg die Initiative so lange, bis von der Aufbruchsstimmung nichts mehr übrigblieb. Deutschland hatte seinen wichtigsten europäischen Alliierten brüskiert und eine historische Chance vertan.

Als US-Präsident Joe Biden zum Amtsantritt im Januar 2021 die Reparatur des transatlantischen Verhältnisses proklamierte, sprach er vor allem die Bundesrepublik an, mit der er gemeinsam die Fundamente des Bündnisses erneuern wollte. Doch aus Deutschland, wo Biden mit überschwänglicher Erleichterung und der Ankündigung eines New Deal gegrüßt worden war, kam bislang – nichts. Kein Kompromiss, keine Geste, keine Initiative, keine Investition. Kein New Deal nirgends.

100 Tage Präsidentschaft, das sind für Joe Biden bislang 100 Tage Einsamkeit gewesen. Nicht mehr lange, dann wird Deutschland seinen wichtigsten außereuropäischen Alliierten brüskiert und eine zweite historische Chance verpasst haben.

Seit Amtsantritt zündet Joe Biden ein internationalistisches Feuerwerk: Amerika ist in allerlei Institutionen und Verträge zurückgekehrt, etwa in den UN-Menschenrechtsrat oder in die Weltgesundheitsorganisation. Der Beitritt zur Impfallianz Covax wurde von einer Milliardeninvestition begleitet, die Rückkehr in den Pariser Klimavertrag von einer ehrgeizigen amerikanischen Selbstverpflichtung. Das Nuklear-Abkommen mit dem Iran will Biden retten, den New Start Vertrag zur nuklearen Rüstungskontrolle hat er mit Russland schon verlängert.

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Einige Gesten zielen direkt auf die Bundesrepublik. Biden ließ den von Donald Trump angekündigten Truppenabzug aus Deutschland stoppen und als Draufgabe sogar die symbolische Aufstockung der Truppen in Deutschland ankündigen. Sanktionen gegen die Gaspipeline Nord Stream 2 will Biden künftig – gegen den Willen des eigenen Kongresses – auf Russland richten, nicht mehr auf Deutschland.

[Mehr zum Thema: 100 Tage US-Präsident: Wie Joe Biden seine Skeptiker widerlegt (T+)]

Seinen Außenminister ließ Biden kürzlich drei Botschaften öffentlich übermitteln, die allesamt an Berlin gerichtet waren, dort aber kaum Beachtung fanden: zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, wie lange in der Nato vereinbart, sei wichtig, aber nicht der einzige Maßstab, den Amerika an die Verbündeten anlege; wenn Verteidigungsanstrengungen rein „europäisch“ gerechtfertigt werden müssten, so werde es die Vereinigten Staaten nicht stören; und schließlich solle sich niemand zwischen China und den Vereinigten Staaten entscheiden müssen. Das alles klang wie ein Berliner Wunschkonzert.

Die Themen: Zwei-Prozent-Ziel, Nord Stream 2

Wie nun hat Deutschland auf Amerikas Vorleistungen repliziert? Deutschland lässt erstmals eine Fregatte durch das Südchinesische Meer fahren, was in Washington tatsächlich positiv aufgenommen wird. Doch daran hatte die deutsche Verteidigungsministerin schon länger als ein Jahr gearbeitet. Mit Joe Bidens Wahl hat diese demonstrative Reise nichts zu tun.

Fragt man, was die Bundesregierung tut, dass sie ohne Joe Bidens Wahl nicht täte, ist die Antwort Schweigen. Es scheint als breite Joe Biden die Arme zur Begrüßung aus, während die Bundeskanzlerin ihre Arme vor der Brust verschränkt und betreten zu Boden schaut. Naturgemäß sorgt die deutsche Salzstarre in Washington für Irritationen. Mehr noch: sie schwächt gerade jene, die Deutschland wohlgesonnen sind.

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Schon haben die Republikaner begonnen, sich auf Bidens Teddybär-Taktik einzuschießen. Sich anzukuscheln an die Europäer, besonders an die Deutschen, erbringe nette Bilder auf Wohlfühl-Gipfeln, aber keine handfesten Ergebnisse. „Transatlantische Bonhomie“ sei nicht genug, schreibt Wess Mitchell, der unter Donald Trump im Außenministerium Staatssekretär für Europa war und damit einer Regierung angehörte, die es für zielführend hielt, Verbündete zu quetschen bis sie quietschen.

Zu den Rätseln der Berliner Politik zählt, warum die Bundesregierung nicht in jene Politik investiert, die sie selbst fordert; immerhin ist die Reparatur des Transatlantischen parteiübergreifender Konsens der Sonntagsredner. Mag ja sein, dass die französische Lesart in Berlin Freunde hat, nach der sich Amerika unumkehrbar von Europa abwendet und Joe Biden nur ein Intermezzo ist, weshalb man nicht zu stark auf ihn setzen solle. Wer das glaubt, wird durch Passivität jedenfalls für eine selbsterfüllende Prophezeiung sorgen.

Und dann gibt es im Regierungsviertel jene, die annehmen, die Reparatur des Verhältnisses zu Amerika sei eine einseitig amerikanische Aufgabe, denn Amerika sei es gewesen, das unter Trump das Verhältnis nachhaltig beschädigt habe. Von deutschen Versäumnissen und Irrwegen (Stichworte: zwei Prozent und Nord Stream 2) haben diese Politiker offenbar noch nie gehört. Schließlich gibt es auch noch jene, die glauben, in Washington habe sich unter Biden nur Stil und Ton geändert.

Manche scheinen zu denken: Trump hat das Verhältnis kaputt gemacht, sollen die USA es auch wieder reparieren!
Manche scheinen zu denken: Trump hat das Verhältnis kaputt gemacht, sollen die USA es auch wieder reparieren!

© Mandel Ngan, AFP

Um die Salzstarre aufzulösen, bräuchte es nun dreierlei: ein Symbol, einen Kompromissversuch und den Beginn einer Positiv-Agenda. Zunächst müsste die große Geste des Joe Biden eine deutsche Antwort finden. Das kann nur eine Person tun: die Bundeskanzlerin. Sie müsste erklären, warum die Verbindung mit Amerika für Deutschland weiterhin essentiell ist und was Deutschland künftig einbringen will in diese Partnerschaft.

Es wird jedenfalls nicht ausreichen, die segensreichen Beiträge der Bundesrepublik aus der Vergangenheit aufzulisten – wie sie es zuletzt bei der virtuellen Münchener Sicherheitskonferenz tat. Zweitens müsste eines der Streithemen durch Kompromiss abgeräumt werden, vorzugsweise Nord Stream 2.

Dazu müsste die Bundesregierung die Kunst der kreativen Kompromissfindung entdecken und bereit sein, sich nicht vollständig durchsetzen zu wollen. Drittens müsste die deutsch-amerikanische Zukunft durch ein möglichst futuristisches Projekt erkennbar werden, etwa eine gemeinsame Forschungsanstrengung für ein G-6 Mobilfunknetz oder die Gründung einer transatlantischen Clean Energy Bank zur Finanzierung von klimaneutralen Energieprojekten. Noch ist Zeit, auf die amerikanische Eröffnung zu antworten. Aber historische Momente verfliegen. Zeitfenster schließen sich.

Thomas Kleine-Brockhoff, Andrea Rotter

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