zum Hauptinhalt
Auf Sicherheitsabstand: Bundespräsisdent Steinmeier diskutiert mit seinen Gästen Nadja Alzner und Joachim Huber.

© Michele Tantussi/Reuters

Genesene Covid-Kranke beim Bundespräsidenten: Atmen gegen eine unsichtbare Hand

Der Bundespräsident lud Menschen - darunter den Tagesspiegel-Kollegen Joachim Huber - ein, die Covid hinter sich haben. Oder doch noch nicht ganz.

Unmöglich, dem Virus nicht zu begegnen, seit Monaten. In Reden, Medien und beim Blick auf maskierte Münder und Nasen, auf Schritt und Tritt. Aber was ist mit denen, die Covid-19 tatsächlich erwischt hat, die das Virus ins Bett und auf die Intensivstation gezwungen hat: Was weiß man von ihnen? 

Zu wenig, fand Bundespräsident Steinmeier und lud in dieser Woche fünf von ihnen zum Gespräch ein – des sicheren Abstands wegen nur zwei ins Schloss Bellevue. Die anderen Gäste waren per Bildschirm aus Nordrhein-Westfalen und Berlin zugeschaltet. “Wir haben uns zu selten Menschen wie Ihnen zugewandt, die diese Krankheit durchgemacht haben. Das fällt mir ein bisschen zu sehr aus der Aufmerksamkeit heraus”, sagte Steinmeier in seiner Begrüßung. “Auch das Wissen über den Verlauf trägt dazu bei, dass wir erfolgreicher werden im Kampf gegen das Virus.” 

Für ein Aufklärungsprogramm über die Schrecken von Covid hätte er die Runde nicht besser besetzen können. Sie bot eine Stunde feinste Volkshochschule für Coronaleugnerinnen und -verharmloser. Der erste, der über seinen monatelangen und noch immer nicht beendeten Leidensweg berichten durfte, war der Tagesspiegel-Kollege Joachim Huber, der Leiter unseres Medienressorts. Er war Anfang März einer der ersten Covid-Kranken Berlins und musste einen besonders schweren Verlauf der Krankheit durchmachen. “Corona ist ein Arschloch”, sagt er heute. Ihn habe die Pandemie “mit nichts verschont”. Vier Kliniken, zwei Charité-Einrichtungen, fünf Wochen Koma, Nierenversagen und schließlich ein Herzinfarkt. Als Huber aus dem Koma erwachte, schien jeder Muskel verschwunden, “ich konnte nichts mehr bewegen. Wer so lange im Koma ist, dessen Muskeln schmelzen wie Butter in der Sonne.” 

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Kein Einzelfall, sagt dazu Heinz-Wilhelm Esser, Oberarzt und Leiter der Pneumologie einer Klinik in Remscheid. Er, der als “Doc Esser” auch über die Pandemie bloggt und selbst erkrankte, kennt aus seiner Praxis Organversagen wie auch die schrecklichen Alpträume, die Huber plagten, als “sehr typisch für schwere Verläufe”. Ihn selbst erwischte es, so schien es, nur leicht; er bemerkte die Krankheit zunächst nicht einmal. Aber sie könnte ihn fürs Leben zeichnen. Das Virus löste bei ihm eine offenbar schlafende Neigung zu Vaskulitis aus, einer Gefäßerkrankung, bei der das eigene Immunsystem die Blutgefäße angreift – mit der möglichen Folge schwerer Organschäden. Einmal “getriggert”, werde ihm diese Gefahr ein Leben lang bleiben, sagt Esser. Er hoffe zwar, dass die hohen Cortisongaben, die er verabreicht bekam, sie in Schach halten werden, aber: “Eine Garantie gibt es nicht.”

 Atemnot, Müdigkeit, schwaches Gedächtnis als Folgen

Schwerstpatient Huber, den das Virus in Lebensgefahr brachte, freut sich dagegen wieder über Herz und Nieren, die sich “wunderbar erholt” haben, über die wiedergewonne Kraft und die Aussicht, bald wieder tanzen zu können. Der Verlust von 25 Kilo Gewicht haben seine leichte Diabetes und den hohen Blutdruck gesenkt.  “Mir fehlt nur noch Kondition”, sagt Huber. Sein tagesspiegelnotorischer Humor hat nicht gelitten, weswegen er seine ersten Artikel für die Zeitung so kommentiert: "Eines hat Corona nicht erreicht. Ich bin nicht blöder geworden.” 

Es scheint, als schade “Arschloch Corona” seinen Opfern nicht nur schwer, es will sie offenbar auch verspotten: Während der 62-jährige Huber nach härtesten Monaten wieder auf dem Damm ist, schildern Steinmeiers viel jüngere Gäste Folgen der  eigentlich überwundenen Krankheit, die eher zu sehr alten Menschen zu passen scheinen: Die Yogalehrerin Nadja Alzner, die ebenfalls Anfang März erkrankte, leidet bis heute an großer Müdigkeit, findet oft die passenden Worte nicht. Die sportliche und bisher völlig gesunde junge Frau sagt, an Kardiosport sei überhaupt nicht zu denken, ihr Atem nach wie vor nicht tief: “Ich atme immer noch wie gegen eine Hand an.” Die junge Clarissa Engels, die sich während einer Karnevalsveranstaltung im frühen nordrhein-westfälischen Hotspot Heinsberg ansteckte, ging nach sechs Wochen zwar wieder zurück an ihren Arbeitsplatz beim Technischen Hilfswerk in Bonn, doch: “Ich bin längst nicht zurück auf meinem früheren Leistungsniveau, mein Kurzzeitgedächtnis ist schlechter”, Zurufe von Kolleginnen und Kollegen vergesse sie oft rasch. Die seien zum Glück verständnisvoll, und zum Glück müsse sie sich am Schreibtisch nicht körperlich anstrengen – auch das macht ihr Schwierigkeiten.

Der 20 Jahre junge Berliner Popsänger und Songwriter Mike Singer hat Ähnliches erlebt: Früher machte er ganze Nächte hindurch Musik, Corona machte ihn dann so müde, “dass ich schon um neun abends im Bett war und einfach nicht wachbleiben konnte”. Er isolierte sich völlig zu Hause, mit Rücksicht auf Freunde und Verwandte. Ja, er bekomme viele Reaktionen aus seiner Generation, die zweifelten, dass man in ihrem Alter in Gefahr sei: “Aber viele denken nicht daran, dass sie ihre Eltern und Großeltern gefährden.”

"Der Lockdown ist ein Stoppzeichen"

Der Bundespräsident hatte es in seiner Begrüßung zuvor ähnlich gesagt: “Es geht nicht nur um die Freiheit von der Maske, es geht auch um die Freiheit der andern. Wir leben nicht als Eremiten, sondern als Teil einer Gesellschaft.”

Und die könnte in die Knie gehen, wenn die Infektionszahlen richtig nach oben schießen. Lungenarzt Esser erinnert an die letzten Influenza-Höhepunkte, als man 1000 bis 12000 Kranke stationär versorgen musste. “Das war schon hart, aber jetzt haben wir 2500 Coronapatienten, und der Peak ist noch nicht erreicht.” Dass der R-Faktor kleiner werde, die Neuansteckungen pro infizierter Person, klinge zwar schön, aber er sage nichts über lokale Katastrophenszenarien: “Ein einziger Hotspot kann ein Krankenhaus binnen Stunden in den Ausnahmezustand versetzen.” 

Den kleinen November-Lockdown habe er selbst anfangs kritisch gesehen, sagt der Arzt. Inzwischen sei er überzeugt: “Wir müssen diese Corona-Müdigkeit durchbrechen. Der Lockdown ist ein Stoppzeichen.” 

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false