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Gastgeber Stephan Harbarth, Vorsitzender des Ersten Senats und Präsident des Bundesverfassungsgerichts, bei einer Urteilsverkündung.

© dpa/Uli Deck

Besuch der Bundesregierung in Karlsruhe: Die merkwürdige Unbefangenheit von Verfassungsrichtern

Kanzler und Minister lassen sich zum zwanglosen Gespräch einladen, man feiert die Zusammenkunft als Aufleben guter Tradition. Ist sie das wirklich?

Eine Kolumne von Jost Müller-Neuhof

Am Mittwoch verkündet das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum Nachtragshaushalt 2021, mit dem Kreditermächtigungen für die Corona-Pandemie in einen Klimafonds verschoben wurden. Es ist ein Stück beherzte Ampelpolitik, das die Unionsfraktion allerdings als Verstoß gegen die Schuldenbremse vor das oberste Gericht gebracht hat.

Doch können Krisen wie der Klimawandel nicht auch als Motor der Staatsmodernisierung wirken? Auch wenn es auf Kosten der Generationengerechtigkeit geht?

Ups, so ein Zufall. Genau die Themen, die Olaf Scholz samt seiner Ministerriege soeben mit den Richterinnen und Richtern in Karlsruhe besprochen hat. „Interorganaustausch“, nennt dies das Gericht. Warum man das macht? Weil es Ausdruck des „Interorganrespekts“ sei, einen „Dialog der Staatsorgane“ zu führen.

Eigentlich dachte man, die laut Gericht „seit vielen Jahren bestehende Tradition“ habe sich überlebt, nachdem vor zwei Jahren Vorwürfe eines unguten Interorgangeists laut geworden waren. Im Streit um die „Bundesnotbremse“ in der Corona-Pandemie war von Befangenheit die Rede. Grund: Richterliche Interorgangespräche mit der Regierung über die Frage, wie man die richtige „Entscheidung unter Unsicherheiten“ trifft.

Der Dialog zwischen den Staatsgewalten gehört zur Demokratie. Wird die dritte Gewalt dabei einbezogen, kann jedoch ein Misstrauen entstehen, das im Fall der beiden anderen Gewalten fern liegt: Misstrauen in die Unparteilichkeit.

In der Politik gehört Parteilichkeit zum Wesenskern, im Recht ist sie des Teufels. Und weil das Problem schon mit dem Anschein beginnt, gilt es eigentlich, ihn zu vermeiden.

Um das Interorgangeschehen rechtsstaatsfreundlich zu gestalten, bedürfte es maximaler Transparenz. Damit tun sich die Beteiligten schwer, zumal Gerichtspräsident und Ex-Politiker Stephan Harbarth sich wie damals mit Angela Merkel auch mit deren Nachfolger Scholz unter vier Augen besprach. Näher und vertraulicher sind sich Organe selten.

Mehr als zwei Jahre hatte es eine Interorganpause gegeben, geschadet hat sie niemandem. Doch es muss ja weitergehen damit, es ist Interorgantradition. Befangen sind die, die hier den Anschein der Befangenheit erkennen. Unbefangen die, die ihn erzeugen.

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